Deutschlands neues Selbstbewusstsein für Europa
Die deutsche Politik zeigt zum Bundestagswahlkampf stärkere Bereitschaft für flexible und selbst unpopuläre europäische Lösungen
Deutschlands neues Selbstbewusstsein für Europa
Die deutsche Politik zeigt zum Bundestagswahlkampf stärkere Bereitschaft für flexible und selbst unpopuläre europäische Lösungen
International hohe Wellen geschlagen hat Angela Merkel mit ihrer Forderung nach einem eigenständigen Europa, die sie Sonntagnachmittag bei einer Wahlkampfrede vorbrachte. Die Aussage der Bundeskanzlerin ist nicht neu. Sie reiht sich ein in eine europapolitische Wende Deutschlands, die bereits 2016 mit dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eingesetzt hat. Diese Studie beschreibt die veränderte Stimmungslage der Deutschen gegenüber Europa. Trotz aller Unkenrufe über den Zustand der EU: Deutschland hält nicht nur an seinem Bekenntnis zur EU fest, sondern will wieder ehrgeizigere Ziele verfolgen.
Die aktuelle und künftige deutsche Bundesregierung steht vor einem Trilemma: Wie kann sie die deutsche Öffentlichkeit zufrieden stellen, die EU nach fast einem Jahrzehnt der Krisen wieder stärken und ein deutschen Interessen entsprechendes internationales Umfeld aufrechterhalten – und das alles am besten gleichzeitig? Deutsche Politiker sind zunehmend bereit, für ein starkes Europa mit flexibleren Formen der europäischen Zusammenarbeit einzustehen und politisch riskante Themen wie die Reform der Währungsunion anzuschneiden, argumentiert Almut Möller, Leiterin des Berliner ECFR-Büros, in der Analyse „Germany votes: European Dilemmas in the federal election“.
Die bisher im Bundestag vertretenen Parteien verpflichten sich – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten – weiterhin für ein starkes deutsches Engagement in der EU, um Deutschlands Interessen auch international wirksam zu verstärken. Euroskeptische Strömungen innerhalb der deutsche Gesellschaft, auf die nicht zuletzt die Partei Alternative für Deutschland (AfD) setzt, können dieser positiven Grundhaltung kaum gefährlich werden.
Mit Blick auf die öffentliche Meinung führt die Studie verschiedene Umfragen an, die auf einen stabilen Rückhalt innerhalb der deutschen Bevölkerung für stärkere europäische Zusammenarbeit und selbst eine tiefere EU-Integration hinweisen. Hinter Europa-kritischen Aussagen stecken häufig pro-europäische Stimmen, die lediglich einen anderen Integrationsweg für die EU befürworten.
Drei Fallstudien in der Analyse beschäftigen sich mit drängenden außenpolitische Fragen, die auch im Wahlkampf eine Rolle spielen werden: Die internationale Kritik am deutschen Handelsüberschuss sowie US-Präsident Trumps Angriff auf den Freihandel, sowie die schwierigen Beziehungen zur Türkei und zu Russland. Bei diesen Themen müssen deutsche Politiker eine tragfähige Balance finden, wie sie deutsche und europäische Interessen verteidigen und gleichzeitig den Dialog zu den schwierigen Partnern am Leben halten.
Almut Möller erklärt: „Nach dem Brexit und der Trump-Wahl legen deutsche Politiker eine neue selbstbewusste Haltung an den Tag. Sie packen den Stier bei den Hörnern und plädieren für neue Koalitionen in der EU.“ Die Leiterin des Berliner ECFR-Büros warnt zugleich: „Bei bestimmten Themen muss sich die deutsche Regierung kompromissfähiger zeigen, insbesondere beim Plan des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die Reform der Eurozone. Hierbei gilt, auch in der deutschen Öffentlichkeit stärkeren Rückhalt für alternative Konzepte zu schaffen.“
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.