Ist das Modell „Putinomics“ Überlebensfähig?
Die russische Wirtschaft ist auf einem langsamen Weg in die Krise
Führender russischer Ökonom: Russische Wirtschaft steuert auf lange Durststrecke zu
Die russische Wirtschaft läuft Gefahr in langsamen Schritten in die Depression abzurutschen. Die westliche Sanktionspolitik wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen, so ein führender Moskauer Ökonom.
Im neuen ECFR Policy Report Can Putinomics survive? hat Kirill Rogov, Senior Research Fellow am Moskauer Gaidar Institute for Economic Policy, die neuesten russischen Wirtschaftsdaten ausgewertet und zieht Schlüsse, die weitverbreitete Einschätzungen über die wirtschaftliche Lage Russlands widerlegen.
Während viele Russen eine “V-förmige”-Krise erwarten – einen scharfen Abfall der Wirtschaftsleistung, der von einem ebenso starken Aufschwung gefolgt wird – postuliert Rogov, dass die russische Wirtschaft auf eine längere Rezession zusteuert. Ein Zusammenbruch der Wirtschaft konnte durch die Abwertung des Rubels und die Erholung des Ölpreises zwar kurzfristig abgewendet werden. Doch der Preis dafür war eine wesentliche Schwächung des Binnenkonsums und der Inlandsinvestitionen – was insbesondere die russische Industrie getroffen hat, allen voran die Automobil-, Haushaltsgüter-, Kleidungs- und Textilbranche.
Entscheidend für die Stärke und den Verlauf des Konjunktureinbruchs werden die Wirtschaftssanktionen des Westens sein, so Rogov. Beschränkungen des russischen Finanzsektors verhindern eine Stärkung der Binneninvestitionen. Sollte der Westen jedoch seine Sanktionen aufheben oder zumindest abschwächen, könnte dies für einen Kapitalzufluss sorgen, den die russische Wirtschaft dringend braucht, um aus ihrem momentanen Abwärtstrend herauszukommen.
Bleiben die Wirtschaftssanktionen jedoch in Kraft, hält Rogov es für wahrscheinlich, dass die russische Wirtschaft einen Prozess der “Entmodernisierung” durchlaufen wird – einer Phase der wirtschaftlichen Stagnation, die von einer autoritären, anti-westlichen Ideologie, welche die wirtschaftliche Unabhängigkeit propagiert, begleitet werden wird. Er geht davon aus, dass wirtschaftliche Anpassungsmaßnahmen innerhalb Russlands zu einer Schwächung und einem Stillstand der größeren Städte führen wird, die bisher vor allem ein konsumgestütztes Wirtschaftsmodell verfolgt haben. Dies wiederum könnte zur Folge haben, dass sich der Kreml stärker in Richtung der kleineren, konservativeren Städte orientieren wird, um deren Unterstützung für Putin zu stärken.
Kirill Rogov zur Lage der russischen Wirtschaft:
“Sollte sich der Ölpreis bei ungefähr 60 Dollar das Barrel einpendeln, wird die russische Wirtschaft in der nahen Zukunft nicht zusammenbrechen, aber in eine langsame Depression abgleiten.”
“Trotz des kürzlich gestiegenen Ölpreises und der makroökonomischen Konsolidierung, weisen die neuesten Statistiken darauf hin, dass eine neue Krisenphase begonnen hat. Dies spiegelt sich in einem starken Abfall der Industrieproduktion wider.”
“Letztendlich hat der Westen eine entscheidende Rolle daran, ob das Modell der “Putinomics” überleben wird. Ausländische Kapitalinvestitionen sind der Schlüssel dafür, ob die Abwertung des Rubels den Abschwung abwenden kann.”
“Sollte sich der Abwärtstrend der Konjunktur fortsetzen, könnte das für den Kreml ein politisches Problem werden. Falls der patriotische Enthusiasmus über Putins anti-westliche Politiken ebenfalls abnimmt, wird er in einem Wettlauf gegen die Zeit die Erwartungen der russischen Bürger an die Realität anpassen und seine autoritären Institutionen stärken müssen, um in einer langen Phase des wirtschaftlichen Stillstandes bestehen zu können.”
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Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.