Wie Europa den Kampf um die normative Ordnung mit Russland gewinnt: Ein EU-Russland Power Audit
Die neue ECFR-Studie zeigt den Einfluss Russlands auf die 28 EU-Mitgliedstaaten und wie Europa damit umgehen sollte
Russland schafft es weniger als noch vor zehn Jahren, die EU-Staaten untereinander auf politischer Ebene zu spalten. Die Ansätze, mit denen Moskau den Zusammenhalt innerhalb der europäischen Länder schwächt haben sich in diesem Zeitraum jedoch weiterentwickelt. Das ist das Ergebnis des neuen EU-Russia Power Audit, welches diese Woche veröffentlicht wurde.
Die Befragung von europäischen Politikern zeigt, dass die 28 EU-Mitgliedstaaten in ihren Einschätzungen zu Russland aktuell bemerkenswert einig sind und Russland Europa in erster Linie normativ herausfordert. Insgesamt 22 Länder schließen sich der Auffassung an, dass Russland eine Bedrohung für die EU darstellt, vor allem weil es die liberale Weltordnung abschaffen will, die die Europäische Union verteidigt.
Die Einmischung Russlands in die europäische Innenpolitik ist ein wesentlicher Teil dieses normativen Kampfes. Die meisten EU-Länder sehen zumindest einige Hinweise auf die Versuche Russlands, ihre innenpolitische Debatte zu beeinflussen, auch wenn die Auswirkungen begrenzt bleiben. Russland kann zwar die bestehende Spaltung in den europäischen Gesellschaften ausnutzen, ist aber nicht in der Lage, die Gesellschaften wesentlich zu beeinflussen.
Europa sollte deshalb vielmehr seine eigene Widerstandsfähigkeit ausbauen und weniger auf die russische Einmischung reagieren. Wenn Europa „den normativen Krieg mit Russland gewinnen will,“ wie der Titel der Studie andeutet, muss es die Glaubwürdigkeit der liberalen Ordnung wiederherstellen, indem sie diese von Grund auf neu aufbaut.
Die EU-Mitglieder sollten in ihre eigene Widerstandsfähigkeit investieren, indem sie etwa ein angemessenes Schutzniveau im Internet, die sogenannte „Cyberhygiene“ aufbauen, die Gesetzgebung zur Parteienfinanzierung prüfen, Geldwäsche bekämpfen und die Verbindungen zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden verbessern.
Noch wichtiger ist, dass die EU-Staaten ihre grundlegende Resilienz fördern. Dazu gehört, dass Politiker und politische Institutionen ein relativ hohes Maß an Vertrauen genießen, Staatsfinanzen transparent sind, Medien unabhängig und nur der Wahrheit verpflichtet arbeiten, Minderheiten integriert und – sofern vorhanden – historische Traumata, aufgearbeitet werden. Diese Voraussetzungen können auch die Glaubwürdigkeit der liberalen Ordnung wiederherstellen.
Die EU sollte ihre einheitliche Haltung in den Beziehungen zu Russland in eine Politik umsetzen, die nicht nur die europäischen Werte, sondern auch die russische Realität widerspiegelt. Über eine europäische Russlandpolitik darf nicht allein geredet werden, sie muss auch strategisch umgesetzt werden.
Die Autorin des Berichts Kadri Liik sagt: „Russland unterstützt Anti-Establishment-Kräfte in Europa, weil es keine Verbündeten in der etablierten Politik hat. Dabei bedient sich Moskau oft unkonventioneller Methoden. Das ist keine Demonstration neu gefundener Stärke, sondern eine Taktik, um aus einer schwachen Position heraus zu agieren.“
Die Bemühungen Russlands, in die europäische Innenpolitik einzugreifen, sind meist nicht gut durchdacht oder koordiniert, sondern eine improvisierte Aktivitäten verschiedener Akteure. Diese sind durch eine Ideologie miteinander verbunden, die den Westen als Gegner bezeichnet. Dieser Umstand macht die russische Bedrohung diffus und schwer zu bekämpfen. Die europäischen Reaktionen sollten sich darauf konzentrieren Widerstandsfähigkeit im inneren aufzubauen anstatt zu überlegen, wie man die russischen Herausforderungen abwenden kann. „Statt Tropfen aufzusammeln, sollte man das Dach reparieren,“ sagt Liik.
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.