Syriens Kriegswirtschaft
In Syrien breitet sich eine Kriegswirtschaft aus
Nach drei Jahren anhaltender Kämpfe, die Schätzungen zufolge mindestens 140.000 Menschen das Leben gekostet haben, liegt die syrische Wirtschaft am Boden. Wirtschaftsgüter und Infrastruktur wurden zerstört, etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und der Human Development Index (HDI) ist auf das Niveau von vor 37 Jahren zurückgefallen. Schätzungen legen nahe, dass es selbst im Falle eines durchschnittlichen jährlichen Wachstums von 5 Prozent beinahe 30 Jahre dauert, bis Syriens BIP wieder das Niveau von 2010 erreicht.
In einem neuen ECFR Policy Brief zum Thema “Syria’s war economy” erklärt Visiting Fellow Jihad Yazigi, wie sich vor dem Hintergrund des bewaffneten Konflikts eine Kriegswirtschaft ausbreitet, die sich aus der Gewalt nährt und neue Anreize zur Weiterführung der Kampfhandlungen schafft.
- Die syrische Wirtschaft hat vier Stadien des Zerfalls durchschritten – vom Ausbruch des Konflikts und der Verhängung von Sanktionen über die Ausweitung auf die wirtschaftlichen Zentren des Landes bis hin zur Besetzung des ressourcenreichen Nordostens durch die Opposition. Dennoch erweisen sich die unter der Kontrolle des Regimes stehenden Gebiete besonders auf Grund der Unterstützung durch einheimische und internationale Verbündete als widerstandsfähig.
- In den von der Opposition kontrollierten Gebieten hat sich eine Kriegswirtschaft etabliert, die von internen Rebellenkämpfen um einträgliche Ressourcen wie Ölfelder und Getreidelager befeuert wird. Gleichzeitig sind auf der Regimeseite durch den Aufstieg staatlicher Milizen und den Einfluss von Sanktionen mächtige neue Netzwerke entstanden. Eine wachsende Anzahl von Gruppen auf beiden Seiten erzielt erhebliche materielle Gewinne aus dem Konflikt und verfügt somit über einen starken Anreiz, die Kämpfe fortzuführen.
- Die relative Autonomie lokaler Interessengruppen schafft neue Machtzentren, die voraussichtlich mit einer zukünftigen Zentralregierung in Konflikt geraten werden. Die tiefgreifende Fragmentierung der Wirtschaft hat zur Folge, dass Gebiete, die jeweils von der Regierung oder von der Opposition kontrolliert werden, zunehmend voneinander abgekoppelt sind.
- Die Fragmentierung der Wirtschaft könnte jedoch auch einen Baustein zur Lösung der Krise darstellen: Europäer und andere internationale Akteure sollten einen Ansatz, der ein dezentralisiertes politisches Systems zum Ausgangspunkt hat, als ein Mittel erwägen, um Ängsten auf allen Seiten zu entgegenzuwirken und um einen neuen nationalen Konsens von unten nach oben zu erarbeiten.
„Nachdem die Sicherheit zusammengebrochen ist, wurde eine informelle Wirtschaft, die auf Plünderungen, Entführungen und Schmuggel basiert, zur wichtigen Einkommensquelle. Komplett neue Wirtschaftsnetzwerke entstehen – häufig im illegalen Bereich – und neue Gruppen und Einzelpersonen kommen an die Macht, während die traditionelle Unternehmerklasse an Bedeutung verliert.“ – Jihad Yazigi
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.