Nach Tusk: Polen in Europa
Polen muss sich in Europa neu aufstellen
Die Ukraine-Krise hat die Grenzen der polnischen Außenpolitik aufgezeigt. Jetzt ist eine Neuausrichtung der Beziehungen Polens zu seinen europäischen Partnern wünschenswert, um so den neuen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Sowohl der Abgang von Ministerpräsident Donald Tusk – dem neuen Präsident des Europäischen Rates, als auch der Wechsel in die zweite Kammer als Sejmmarschall von Radoslaw Sikorski, dem prägenden Außenminister der vergangenen Jahre, bedeuten in gewisser Weise das Ende eines erfolgreichen Jahrzehntes. Es bleiben allerdings einige Fragen zu Polens Rolle in der EU offen. Polen braucht ein innovatives Wirtschaftsmodell, um sein Wachstum aufrechterhalten zu können. Zudem stehen zentrale Themen auf der Agenda an: der Beitritt zur Eurozone und die Ost- und Verteidigungspolitik, sowie die Ausrichtung des Verhältnisses zu den wichtigsten Partnern in der EU: Deutschland und Frankreich.
Das neue ECFR Papier After Tusk: Poland in Europe von Piotr Buras spricht sich für eine aktive Rolle Polens in der östlichen Nachbarschaftspolitik aus. Trotz eines wichtigen Beitrags im Umgang mit der Ukraine-Krise bleiben Zweifel, dass Polen die Rolle als Fürsprecher der Ukraine innerhalb der EU weiterhin behalten kann. Derzeit fühlt sich Polen ausgegrenzt, denn:
- Warschau wurde nicht eingeladen, sich den Verhandlungen Anfang September 2014 anzuschließen, die zum – wenn auch instabilen – Waffenstillstand geführt haben.
- Kiew sieht vielmehr Berlin als EU-Hauptansprechpartner, und nicht mehr Warschau, weshalb Polen einen neuen “Weg ins Spiel” finden muss.
- Polen hat bezüglich der Ukraine von anderen Visegard-Staaten keine oder wenig Unterstützung erhalten, da die Positionen von Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik zu diesem Thema sehr unterschiedlich sind.
- Trotz der NATO Entscheidung, die militärischen Kräfte in Szczecin zu stärken, glaubt Polen dass die NATO nicht ausreichend stark gegenüber Russland hinsichtlich der Ukraine auftritt.
Die Modernisierung der Streitkräfte Polens bietet einen attraktiven Markt für europäische Rüstungsindustrie und spielt eine wichtige Rolle in den Versuchen der EU, den Rüstungssektor zu integrieren. Die aktuellen geo-politischen Unruhen stärken die Tendenz Polens zu Autarkie und könnten eine Rückkehr zum Atlantizismus der Verteidigungspolitik bedeuten. Polen war das einzige Land in Europa, das keinen wirtschaftlichen Sturz durchgemacht hat, dennoch ist die Reform der Wirtschafts- und Steuerpolitik in Polen unerlässlich.
Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Probleme des Landes im zweiten Jahrzehnt der EU-Mitgliedschaft sind wie folgt:
- Der wirtschaftliche Erfolg Polens im ersten Jahrzehnt wurde größtenteils durch Effizienz und finanzielle Unterstützung der EU getrieben, weniger durch technische Innovation.
- Die strengere Umweltschutzpolitik der EU ist für die kohleabhängige Industrie Polens ein Problem; zugleich aber könnte sie als Antrieb Richtung Modernisierung wirken.
- Die deutsche Wirtschaft, dessen Erfolg Polen genutzt hat, wächst nicht mehr so stark.
- Mehr als die Hälfte des Außenhandels Polens findet innerhalb der Eurozone statt. Eine beschleunigte Einführung des Euros könnte die erforderlichen Reformen veranlassen, um das Wirtschaftswachstum zu verstärken.
Piotr Buras, Leiter des ECFR Büros in Warschau: ‘Sollte sich in den nächsten Jahren nichts ändern, wird der Stern der polnischen Wirtschaft schnell erlöschen. Somit ist das Ende der Tusk-Sikorski Ära nicht nur der richtige Zeitpunkt, um das erfolgreichste Jahrzehnt in der jüngeren Geschichte Polens zu feiern, aber auch für einen ernsthaften Blick über alle Probleme, die offen hinterlassen wurden nachzudenken. Es bleibt der neuen Regierung überlassen, die Antworten darauf zu finden, aber auch die Anhaltspunkte der Position Polens innerhalb der EU für das nächste Jahrzehnt festzulegen.’
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.