Chinas Internetrevolution bringt Wirtschaftswachstum und einen neuen Überwachungsstaat
China forciert die Digitalisierung – und stärkt damit den autoritären Staat, so das Ergebnis einer Sonderausgabe der ECFR China Analysis-Reihe.
„Governing the Web“ zeichnet Pekings wachsendes Interesse an einer Digitalisierung nach und kommt zu dem Ergebnis, dass das Internet nicht mehr nur als Kommunikationsmedium gesehen wird. Stattdessen rückt zunehmend die Einführung technischer Neuerungen wie der Web 2.0 Technologie, dem „Internet der Dinge“ und mobiler und tragbarer Computersysteme (sog. wearables) sowie der Ausbau einer flächendeckende Internetanbindung in den Fokus.
Diese Neuausrichtung der chinesischen Politik wurde nicht nur von der chinesischen Wirtschaftselite begrüßt. Der Ausbau von Internetzugängen und digitalen Technologien gilt vor allem als einer der Schlüssel um Chinas wirtschaftlichen Erfolg auch in der Zukunft zu sichern. Schätzungen zufolge wird das Internet bis 2025 für bis zu 22 Prozent des Wirtschaftswachstums sorgen und damit insgesamt 10 Milliarden Yuan zum chinesischen BIP beitragen – das entspricht etwa der heutigen Wirtschaftsleistung von Australien.
François Godement, Leiter des ECFR Asien & China Programms, macht aber auch autoritäre Tendenzen im chinesischen Engagement im digitalen Sektor aus. Beispielhaft dafür sind Pekings Bemühungen die Kontrolle über die gesamte Internetkette zurück zu gewinnen. In dieser Hinsicht verweist Godement auf bestehende Bestimmungen, dass vom Server bis zum Software Support alle Internettechnik aus China stammen muss. Besonders der Trend hin zum Onlinehandel und dem „Internet der Dinge“ verheißt jedoch die totale Überwachung des sozialen Lebens durch den Ein-Parteien-Staat.
Rogier Creemers, Co-Autor von „Governing the Web“:
„Das Internet hat einen großen Bedeutungszuwachs in der chinesischen Innenpolitik erfahren. Es wird als Triebkraft für eine Neuausrichtung der Wirtschaft gesehen, ermöglicht eine effektivere Überwachung der Gesellschaft durch die Regierung und ordnet die Beziehungen zwischen der Parteispitze und den lokalen Einheiten neu.“
„Aber dies führt auch international zu Spannungen, besonders mit Blick auf die USA. Aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Informations- und Netzwerksicherheit fördert China inländische Softwarefirmen und verschärft die Bestimmungen für ausländische Anbieter. Dieselben Ängste befeuern aber auch die ohnehin schon lauten Stimmen innerhalb der chinesischen Öffentlichkeit, die Bedrohungen von außen heraufbeschwören.“
„Wenn China und die internationale Gemeinschaft auch in Zukunft vom sich abzeichnenden technologischen Wandel profitieren wollen, dann müssen sie zu irgendeiner Form von Zusammenarbeit finden. Eine solche Kooperation muss einerseits Chinas Sicherheitsbedenken adressieren, aber andererseits auch eine operationelle Freiheit bewahren, welche der Offenheit des Internets Rechnung trägt.“
François Godement, Direktor des ECFR Asien & China Programms:
„Der technologiefreundliche Ansatz der chinesischen Regierung – die nicht auf so viele starke Interessensgruppen innerhalb der Gesellschaft eingehen muss, wie das in Demokratien der Fall ist – fährt beeindruckende Ergebnisse ein. E-Commerce, elektronische Bezahlsysteme und die größten sozialen Medien verzeichnen mehr Nutzer – und einen größeren Anteil am gesamten nationalen Einzelhandelsumsatz – als irgendein anderes Land. China hat sich damit in eine Führungsrolle katapultiert.“
„Diese Entwicklungen haben allerdings auch eine Kehrseite. Chinas Versuch das Internet wieder unter seine Kontrolle zu bringen, ist gut dokumentiert. Wie jeder Nutzer leicht feststellen kann, hat das Land seinen Würgegriff um das Surfen im Internet deutlich verstärkt – und das innerhalb von nur einem Jahr.“
„Aber es gibt eine noch beunruhigender Entwicklung. Die rasante Verbreitung von Onlinehandel und -zahlungen bringt neue Methoden zur Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Verbrauchern und der Vertrauenswürdigkeit von Verkäufern mit sich. Beides wurde Teil unseres digitalen Lebens, zusammen mit den Cookies, die es Marketingfirmen und Banken erlauben unser Verbraucherverhalten und unseren Umgang mit Finanzen nachzuzeichnen. Aber in China ebnet dieser Trend den Weg für eine neue Form der Kontrolle – einschließlich einer politischen und beruflichen Überwachung – über alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens.“
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.