Krisen und Zusammenhalt in der EU – Ein 10-Jahres Rückblick

Forschungsergebnisse aus dem EU Cohesion Monitor 2018 zeigen, dass Staaten der Europäischen Union trotz Finanz- und Flüchtlingskrisen zusammenhalten

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Zusammenhalt in der EU wächst auch in Krisenzeiten

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Staaten der Europäischen Union trotz Finanz- und Flüchtlingskrisen zusammenhalten. 

Verschiedene Krisen haben in den letzten Jahren die EU-Mitgliedstaaten erschüttert und den Vormarsch populistischer Parteien begünstigt. Neue Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass bisher weder die Krisen noch die Populisten den Zusammenhalt in der EU sprengen konnten.

Der ECFR hat mit Unterstützung der Stiftung Mercator gemessen, wie sich europäischer Zusammenhalt, also die Bereitschaft der EU-Staaten und ihrer Bürger zur Zusammenarbeit, in den letzten Jahren verändert hat. Die jüngste Studie stellt fest, dass das Gesamtniveau des Zusammenhalts – sozusagen der Klebstoff, der die EU zusammenhält – in den letzten zehn Jahren leicht gewachsen ist, auch wenn einige Länder deutlich zurückbleiben. Die EU ist also weit davon entfernt „auseinanderzufallen“.

Der EU Cohesion Monitor 2018 des ECFR errechnet für jeden EU-Mitgliedstaat ein eigenes Kohäsionsprofil. Um den Zusammenhalt zu messen aggregiert der Index 32 Faktoren aus öffentlichen Datenquellen, wie etwa dem Eurobarometer oder dem Social Justice Index, zu einem Set von zehn Indikatoren. Der Index bewertet sowohl die strukturellen Beziehungen zwischen den EU-Staaten als auch den individuellen Zusammenhalt der Gesellschaften.

Die Ergebnisse

Die leichte Zunahme des Zusammenhalts insgesamt zwischen 2007 und 2017 ist zum Teil auf die wirtschaftliche Integration der neuen Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa zurückzuführen. Aber das ist nicht die einzige Erklärung. Die meisten EU-Mitgliedsstaaten haben von einem wachsenden individuellen Zusammenhalt profitiert; ihre Bevölkerungen fühlen sich in Bezug auf gemeinsame Sprachen, Erfahrungen und Einstellungen zunehmend europäisch.

Die größten Verlierer sind Griechenland, Italien, Frankreich, Polen, Ungarn und Spanien. Die größte Sorge bereitet Italien, das mit einem Rückgang des strukturellen und individuellen Zusammenhalts (-1,7 Punkte) den deutlichsten Rückgang aller EU-Staaten im Index verzeichnet. Das Gründungsmitglied hat sich von einem der EU-freundlichsten Staaten zu einem Staat am Rande entwickelt. Das Kohäsionsprofil Italiens rückt immer näher an das des Vereinigten Königreichs heran, dem Schlusslicht der Studie. In den bevorstehenden Wahlen, bei denen populistische Parteien gegen Brüssel und Berlin wettern, könnte dieser Wandel durchschlagen.

Sieben der neun Länder, die sowohl im strukturellen als auch im individuellen Zusammenhalt gewachsen sind, befinden sich im Osten der EU. Polen und Ungarn gehören nicht dazu, denn hier steigt zwar das Niveau des Zusammenhalts auf struktureller aber nicht auf individueller Ebene. Mehr noch, vor allem der Indikator Engagement geht deutlich zurück. Dieser Indikator spiegelt die Wahlerfolge europaskeptischer Parteien sowie die Beteiligung an nationalen und europäischen Wahlen wider.

Einzelne Daten zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise und der zunehmenden Unterstützung populistischer Parteien, die Ängste im Zusammenhang mit Einwanderung und deren Auswirkungen auf die europäischen Gesellschaften geschürt haben. Die Auswirkungen sind im Indikator Engagement in ganz Europa sichtbar. Allerdings wirkt sich dieser Wert im ECFR-Index nur in geringem Maße auf das gesamte Zusammenhaltsprofil der EU aus.

Josef Janning, Autor der Studie, sagt dazu: „Die EU ist weitaus widerstandsfähiger als uns die Schlagzeilen der Boulevardpresse glauben machen wollen. Die Flüchtlingskrise wird nicht dazu führen, dass die Europäische Union in absehbarer Zeit zusammenbricht. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Krisen vor allem Auswirkungen auf die individuelle Ebene haben. Wenn wir die Europäische Union schützen und stärken wollen, müssen wir uns darauf konzentrieren. Die strukturellen Faktoren werden in ihrer Bedeutung abnehmen. Umso wichtiger wird werden, die Europa-Erfahrungen, -Kenntnisse und -Kompetenzen der Bürger zu stärken.

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.