Ein Aufruf an Europa zur Stärkung der transatlantischen Diplomatie gegenüber dem Iran

Frühere Top-Diplomaten rufen die europäischen Regierungen dazu auf, mit der künftigen US-Regierung unter Joe Biden zusammen zu arbeiten, um die transatlantische Diplomatie gegenüber dem Iran zu stärken

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Die Wahl von Joe Biden stellt eine Chance dar, die transatlantischen Beziehungen in kritischen Sicherheitsfragen, einschließlich der Iran-Frage, zu stärken. Nachdem die europäischen Regierungen und die EU in den letzten vier Jahren so hart daran gearbeitet haben, den Atomdeal (JCPOA) mit dem Iran zu retten, müssen die europäischen Regierungen und die EU nun die neue Biden-Regierung und den Iran unmissverständlich auffordern, den Deal rasch wieder in vollem Umfang zu erfüllen. Die europäischen Akteure sollten aktiv und in koordinierter Weise einen tragfähigen Fahrplan zur Unterstützung dieser Bemühungen skizzieren. 

Die Versuche der Trump-Regierung maximalen Druck auf den Iran auszuüben, ist gescheitert. Die beispiellosen Sanktionen haben sich negativ auf die iranische Bevölkerung ausgewirkt. Als Reaktion auf die seit 2018 erneut verhängten US-Sanktionen hat der Iran seine nuklearen Aktivitäten verstärkt und weicht weiterhin von seinen Verpflichtungen im Rahmen des JCPOA ab. Teheran hat zudem im gesamten Nahen Osten seine militärischen Muskeln spielen lassen. Die restliche Amtszeit der Trump-Administration wird aller Voraussicht nach turbulent verlaufen, da sie neue Maßnahmen in Gang setzen wird, um Bidens Rückkehr zum JCPOA zu erschweren. Jüngste Berichte deuten darauf hin, dass die Gefahr militärischer Spannungen zwischen den USA und dem Iran fortbesteht. Biden könnte direkt nach Amtsantritt mit einer erneuten Eskalation konfrontiert sein.

Für die Stabilität im Nahen Osten ist es von entscheidender Bedeutung, dass die USA und der Iran die Spannungen dringend abbauen und diplomatische Verhandlungen in einer Reihe von Fragen wieder aufnehmen. Dies sollte beginnen mit der Wiederherstellung des Nuklearabkommens, eines globalenNichtverbreitungsabkommens von zentraler Bedeutung.,  Des Weiteren sollten sich die Parteien mit einem breiteren Spektrum von Themen befassen, die die aus europäischer Sicht so wichtige regionale Stabilität bedrohen.

Mit europäischer Unterstützung kann eine Biden-Administration die positiven Signale der Regierung Rouhani nutzen. Diese sollte das erklärte Ziel Bidens begrüßen, zum Atomdeal zurückzukehren und bereit zu sein, mit dem Iran an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Die europäischen Regierungen und die EU sollten nun die folgenden Schwerpunkte setzen:

  1. In den kommenden Wochen sollten Frankreich, Deutschland und das Vereinigte Königreich (E3) eine gemeinsame öffentliche Erklärung koordinieren, in der die neue Biden-Regierung aufgefordert wird, nach ihrem Amtsantritt formell ihre Absicht zu verkünden, dem JCPOA wieder beizutreten. Außerdem sollten die E3 die USA und den Iran nachdrücklich auffordern, sich auf Schritte zur Erfüllung des Deals zu einigen und dann auf dem Abkommen aufzubauen. Die europäischen Regierungen und die EU sollten zugleich versuchen, den US-Kongresses zu drängen, Bidens Rückkehr zum Abkommen zu unterstützen. 
  • Die E3-Länder sollten darauf drängen, dass noch vor dem 20. Januar 2021 eine Sitzung der Gemeinsamen Kommission der JCPOA-Parteien stattfindet. Der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, sollte als Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission die derzeitigen Mitglieder des Abkommens ermutigen, die Rückkehr der USA in den JCPOA zu fordern sowie die USA aufzufordern, ihre Unterstützung für die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats zu bekräftigen. Die Gemeinsame Kommission sollte die USA auch dazu auffordern, die (unter Trump aufgehobenen) Ausnahmeregelungen für die zivile nukleare Zusammenarbeit so bald wie möglich neu zu erlassen, um die Rücknahme der iranischen Nuklearaktivitäten und die Modernisierung des iranischen Schwerwasserreaktors in Arak zu erleichtern.
  • Bis zum 20. Januar sollten die E3 und die EU ein Treffen auf Ebene der politischen Direktoren mit dem Iran einberufen, um einen klaren Weg auszuloten, mit dem der Iran seine nuklearen Aktivitäten rückgängig macht. Die Europäer sollten gegenüber dem Iran betonen, dass solche Schritte für die USA Voraussetzung sind für eine vollständige Rückkehr zum Atomdeal unter einer Biden-Regierung. Dieser Prozess sollte beinhalten: i) eine ausführliche Diskussion mit dem Iran über technische Schritte zum Rückbau seines Nuklearprogramms, ii) den realistischen Umfang von Sanktionserleichterungen unter einer Biden-Administration und iii) europäische Maßnahmen zur Unterstützung der iranischen Wirtschaft. Die E3 und die EU sollten die bestehenden diplomatischen Kanäle mit dem Iran nutzen, um vor einer Eskalation mit den USA zu warnen, insbesondere im Irak, wo die Lage sehr angespannt ist. Jede Eskalation im Vorfeld von Bidens Amtsantritt würde die diplomatischen Bemühungen erheblich erschweren.
  • Außerdem sollten die europäischen Länder und die EU der neuen Biden-Regierung und der breiteren politischen Fachöffentlichkeit in den USA einen diplomatischen Fahrplan für die transatlantische Zusammenarbeit mit Blick auf die regionale Deeskalation vorlegen. Im Vorfeld von Bidens Amtsantritt sollten die europäischen Regierungen auch die Kommunikation mit anderen regionalen Akteuren intensivieren – insbesondere mit Israel, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. So können die Europäer sowohl eine gefährliche Eskalation verhindern, als auch die Grundlage für einen umfassenderen Folgeprozess schaffen, der im Einklang mit den Bemühungen des UN-Generalsekretärs zur Förderung der regionalen Sicherheit steht. Dies wird erforderlich sein, um den Widerstand einiger regionaler Partner Europas gegen ein erneutes Engagement im Iran zu brechen. Als Teil dieses Ansatzes sollten die Europäer jetzt damit beginnen, die integrativen Stabilisierungsbemühungen im Irak und im Jemen zu unterstützen.

Die europäischen Länder müssen schnell handeln, um das expandierende iranische Atomprogramm einzudämmen. Sie müssen Biden dazu drängen, die politische Dynamik nach seinem Amtsantritt zu nutzen, um den Iran aktiv einzubinden und zu verhindern, dass die aktuell gefährliche Lage eskaliert.


UNTERZEICHNENDE:

  • Carl Bildt, ehemaliger Ministerpräsident Schwedens und Vorstandsvorsitzender des ECFR
  • Alistair Burt, ehemaliger britischer Staatsminister für den Nahen Osten im britischen Außen- und Commonwealth-Büro, und Parlamentsabgeordneter
  • Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz; ehemaliger deutscher Botschafter in den USA und London
  • Jean-David Levitte, ehemaliger Botschafter Frankreichs in den Vereinigten Staaten, diplomatischer Berater der französischen Präsidenten Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy
  • Andrzej Olechowski, ehemaliger Außenminister Polens
  • Javier Solana, ehemaliger Hoher Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und früherer NATO-Generalsekretär, Mitglied des ECFR-Vorstands und Mitarbeiter der Denkfabrik Brookings Institution

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.