Drei Warnsignale für die deutsche Wirtschaft

Washington und Peking scheinen die Untätigkeit der Europäer als Schwäche  zu interpretieren.

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Amerika hat die Gaspipeline Nord Stream 2 sanktioniert und Empörung sogar bei der Kanzlerin ausgelöst. Doch sind die Strafmaßnahmen gegen das deutsch-russische Projekt in der Ostsee nur das letzte von drei Warnsignalen für die Selbstbestimmung der deutschen Wirtschaft und unserer Außenpolitik im neuen Großmachtwettbewerb. Die Sanktionspolitik wird in diesem immer zentraler.

Das erste Signal kam im viel beschriebenen Fall Iran. Die Sanktionen richten sich hier seit mehr als einem Jahr gegen europäische Unternehmen, die Handel mit dem Land treiben wollen. Mittlerweile denken die Europäer angesichts der jüngsten Eskalation im Nahen Osten auch wieder über Sanktionen gegen Teheran nach. Doch bis vor kurzem war es der erklärte Wille der Bundesregierung und ihrer europäischen Partner – der Regierung Trump zum Trotz – Handel mit dem Land zu ermöglichen. Washington schafft es unterdessen trotzdem, europäische Geschäfte de facto selbst dann zum Erliegen zu bringen, wenn es nur darum geht, humanitäre Güter für die iranische Bevölkerung zu liefern.

Das zweite Warnsignal kam im Oktober. Es fand am wenigsten Beachtung, obwohl es Fachleute von Berlin bis Paris, aufgrund möglicherweise verheerender Folgen in Atem hielt. Als Donald Trump dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Nordsyrien freie Hand ließ und die Kurden, Amerikas bisherige Verbündete, verriet, hagelte es selbst von Seiten der Republikaner Kritik an Trumps Vorgehen. Der Präsident musste reagieren und Erdogan öffentlich in die Schranken weisen – und dies tat er, wie für ihn typisch, mit Sanktionen.

Im Handumdrehen erließ Trump eine Exekutivverordnung mit drastischen Zwangsmaßnahmen gegen die türkische Wirtschaft und drohte, diese „zu zerstören“. Doch die Sanktionen wären nicht nur einschneidend für die Türkei gewesen. Sie sollten weitreichende Wirkung auch auf deutsche und europäische Unternehmen entfalten. Denn mit der Verordnung gab Trump seinem Finanzminister weitreichende Befugnisse, alle Unternehmen, die in noch näher zu definierenden Sektoren der türkischen Wirtschaft aktiv waren, mit Strafen zu belegen. Unzählige deutsche Banken und Unternehmen wären, weil sie in der Türkei Geschäfte machten, wahrscheinlich betroffen gewesen und hätten sich im Zweifel gegen eine Fortführung ihres Handels mit der Türkei entscheiden müssen.

Natürlich hätte das amerikanische Finanzministerium noch konkretisiert, welche Sektoren der türkischen Wirtschaft man sanktionieren wollte. Natürlich hätte es auch einen Aufschrei aller Verbündeten gegeben, wenn solche einschneidenden Maßnahmen gerade bei einem Nato-Partner tatsächlich Anwendung gefunden hätten. Man hätte ihre Wirkungen wohl noch einschränken können. Es ist aber unklar, mit welchen Mitteln die Bundesregierung und Europa Unternehmen hierzulande geschützt und Trumps Regierung davon abgebracht hätten, wenn diese zu dem Schritt entschlossen gewesen wäre. Zum Glück lenkte die Türkei schnell ein und die Europäer kamen nochmal mit einem blauen Auge davon.

Im Dezember folgte das dritte Warnsignal: die Sanktionen gegen Nord Stream 2. Innerhalb von Tagen entfalteten die Maßnahmen gegen Unternehmen, die für die Tiefsee-Verlegung der Pipeline verantwortlich sind und auch Angela Merkels deutliche Kritik fanden, eine mächtige Wirkung: Obwohl wir uns noch in der Implementierungsphase des amerikanischen Sanktionsgesetzes befinden und die Verlegung noch ein paar Wochen erlaubt gewesen wäre, hat das beteiligte Unternehmen All Seas seine Arbeit in vorauseilendem Gehorsam eingestellt. Die Bundesregierung suchte zunächst nach Alternativen, doch das brachte ihr Berichten zufolge die Androhung weiterer Strafmaßnahmen ein. Nun ist die Fertigstellung der Pipeline ungewiss und wird sich wohl zumindest um ein Jahr verzögern.

Einzeln betrachtet sind diese Fälle nicht so einfach und eindeutig. Nord Stream 2 ist ein schwieriges Thema, denn wir umgehen durch den direkten Gastransit unsere osteuropäischen Partner und machen uns ein Stück weit abhängig von Russland. Geschäfte mit Iran sind ein schwieriges Thema, denn das Land setzt systematisch Gewalt im Nahen Osten ein und bedroht immer wieder Israel. Geschäfte mit der Türkei sind kein so schwieriges Thema, aber selbst hier könnte man behaupten, die amerikanische Regierung hätte die Exekutivverordnung sowieso nicht in der Form implementiert.

Zusammen genommen sind die drei Fälle jedoch höchst beunruhigend. Bei Iran zeigt sich, dass eine Großmacht den europäischen Handel mit einem Drittland tatsächlich zum Erliegen bringen kann – gegen Europas erklärten Willen und trotz aktiver Maßnahmen wie dem Aufbau einer Verrechnungsplattform als Alternative zu internationalen Finanzmärkten. Am Fall Türkei können wir beobachten, dass der US-Präsident weitreichende Sanktionen gegen unsere Wirtschaft aus einer Laune heraus über Nacht und per Exekutivverordnung anordnen kann, ohne dass sie selbst für Fachleute vorhersehbar gewesen wären. Und das Beispiel Nord Stream 2 zeigt wiederum, dass amerikanische Sanktionen mitnichten nur die Vorliebe eines unberechenbaren Präsidenten sind. Hier werden sie vom Kongress und auch einer großen Mehrheit der Demokraten verhängt. Diese sehen zudem in der Sanktionspolitik ihre einzige Möglichkeit, den Impulsen des Präsidenten entgegenzuwirken. In dieser Kalkulation ist wenig Raum für die europäische Perspektive.

Heute Amerika, morgen China? Das ist schon heute ein Stück weit abzusehen. Letzte Woche wurde bekannt, dass nun auch Peking mit der Androhung von Autozöllen die deutsche Politik beeinflussen will: Lässt Deutschland die Bewerbung Huaweis zum Aufbau seines 5G-Netzes nicht zu, müssen Daimler, VW und Co demnach in China um Marktanteile fürchten. Die Volksrepublik arbeitet zudem bereits an einem Exportkontrollregime, das den europäischen Handel massiv beeinträchtigen könnte und zudem mit dem Sozialkreditsystem verbunden werden soll, das der Kontrolle von Unternehmen auf dem chinesischen Markt und vielleicht bald auch ihr Wirken auf Drittmärkten dienen soll. In Peking wird man wohl schon bald bestimmte europäische Exporte in Drittländer genehmigen wollen.

Angesichts der drei Warnsignale und den Entwicklungen in China wird es immer wichtiger, dass Deutschland und Europa ein konkretes Instrumentarium aufbauen, um Großmächten gegenüber glaubwürdig ihre Werte und Interessen zu vertreten. Das bedeutet, dass wir ein besseres Verständnis der asymmetrischen ökonomischen Abhängigkeiten brauchen, die beiderseitig unsere Beziehungen mit diesen Ländern prägen. Außen-, wirtschafts- und finanzpolitische Expertise sollten zusammengeführt und strategischer ausgerichtet werden. Gegenmaßnahmen von vornherein auszuschließen, macht es anderen leichter, beim nächsten Mal wieder in unsere Selbstbestimmung einzugreifen. Auch solche Maßnahmen und ihre latente oder direkte Androhung können politisch in unseren Verhandlungen eingesetzt werden, ohne dass wir den strategischen Fehler begehen, ein ansonsten enges transatlantisches Verhältnis in Frage zu stellen. Wie schwierig das Thema Nord Stream 2 auch ist: Die Entscheidung über deutschen und europäischen Handel mit Drittländern sollte nicht in Washington oder Peking getroffen werden.

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.