Welt ohne F?hrung

Obama’s China-Visit was more than an episode: it symbolises the end of a long era of global US leadership. The power vacuum will have to be filled by stronger global institutions. A piece in German.

Obamas China-Besuch besiegelt das Ende der US-Vormacht. Stärkere globale
Entscheidungsgremien müssen das dadurch entstehende Vakuum füllen.

Nach der kühlen Behandlung der Europäer folgt nun das weiche Auftreten
gegenüber China.
Bei seiner ersten Asienreise hat US-Präsident Barack Obama nüchtern wie stets
in seiner Außenpolitik die Konsequenz aus der Neuordnung des globalen
Kräftefelds gezogen. Entsprechend den Wünschen der chinesischen Führung
verschwand die Menschenrechtsrhetorik aus Obamas öffentlichen Äußerungen fast
vollständig. Hinter verschlossenen Türen mag er zu einigen Themen wie dem Iran Forderungen gestellt haben; in der
Öffentlichkeit wurde alles vermieden, was Amerika als Lehrmeister und China als
Empfänger von Belehrungen erscheinen lassen könnte.

Obamas Chinabesuch war mehr als eine Episode. Er dokumentiert das
wahrscheinlich definitive Ende eines historischen Kapitels, in dem die
westliche Vormacht international als höchste Autorität über gutes Regieren und
gutes Wirtschaften auftreten konnte, ohne damit mehr als den schwachen
Widerspruch der vergleichsweise Erfolglosen zu ernten.

Bis vor Kurzem dachten wir, dass der friedliche Fall der Berliner Mauer den
Beginn eines globalen Demokratiezeitalters markierte. Heute ahnen wir, dass das
blutige Ende des Demokratieversuchs auf dem Tiananmen-Platz ein genauso
wichtiges Ereignis war. Vor 20 Jahren hat die Demokratie in Europa gewonnen und
in China
verloren. Das Wendejahr 1989 markiert deshalb den Anfang vom Ende der
historischen Zeit, in der westliche Konzepte von gutem Regieren und gutem
Wirtschaften den globalen Diskurs fast flächendeckend dominierten. Wenn das so
bleibt, weil China den Spagat zwischen freier Wirtschaft und unfreier Politik
weiter bewältigt, wird das Tiananmen-Massaker leider als das Ereignis des
Jahres 1989 gelten, das die Zukunft am stärksten beeinflusst hat.

Postamerikanisches Zeitalter

Wir beginnen langsam, uns an diese neue, postamerikanische Welt zu gewöhnen.
Wir erleben pikiert, dass die global bescheidener gewordenen USA ihren kühl kontrollierenden Kreditgeber China
pfleglicher behandeln als einen Taubenschlag namens Europäische Union. Wir
sehen etwas erstaunt, wie nach den russischen Wendemillionären nun auch reiche
Festlandchinesen in den teuersten europäischen Luxushotels absteigen. Das ist
neu, aber in Wahrheit nicht total überraschend.

Mindestens seit Napoleons Zeiten leben wir Europäer in der etwas ängstlichen
Ahnung, dass China
vermutlich eines Tages zu einem Giganten der Weltpolitik erwachen wird. Nun ist
es so weit. Die multipolare Welt, im Zeitalter des Irakkrieges noch der
Kampfruf des damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac gegen die
globalen Alleinherrscherallüren seines US-Kollegen, ist die Realität von heute:
akzeptiert, fast schon abgehakt, von manchen begrüßt. Unser Problem ist aber,
dass auf den Mut der Erkenntnis längst nicht der Mut zur Gestaltung folgt.

Schauen wir uns unsere neue multipolare, globalisierte, internetvernetzte
Welt an: Ein ökonomisches Desaster fast beispiellosen Ausmaßes wurde nur
dadurch abgewendet, dass die Staatsverschuldung in vielen Ländern bis auf
schwer erträgliche Höhen hochgeschraubt wurde. Und es ist mehr als ungewiss,
dass die Staaten und Gesetzgeber sich bei den drängendsten Problemen der Welt
nun zu mehr als kosmetischer Chirurgie durchringen.

Teil 2: Das Geschacher um Klimageldtransfers

Der Klimawandel ist nicht mehr Prognose, sondern dramatische Realität.
Dennoch schaffen wir es in keinem Kontinent, die politischen und praktischen
Konsequenzen zu ziehen. Das Geschacher um Klimageldtransfers in der EU, die
Unfähigkeit der USA, zugleich ihr Gesundheitssystem zu reformieren und das
Thema CO2-Ausstoß ernsthaft anzupacken, der Unwille Chinas, bei diesem Thema
global zu führen – all das summiert sich zu der Feststellung, dass die Politik
unter den heutigen Umständen womöglich strukturell unfähig ist, das in der
globalisierten Wirtschaft entstandene Potenzial zur Zerstörung unserer
leiblichen Wohlfahrt und zur Destabilisierung unserer Gesellschaften
ausreichend unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht werden unsere Kinder die
heutige Generation der politischen Verantwortlichen – und ihrer Wähler dort, wo
gewählt werden kann – verfluchen, weil sie im Grunde tatenlos und bei vollem
Bewusstsein bedeutende Teile der Menschheit in eine wirkliche Katastrophe
abdriften ließen.

Das Unrealistische denken

Einer der weltweit führenden Zentralbanker beschwor vor einigen Wochen
hinter verschlossenen Türen das Szenario einer rasanten ökonomischen und
technischen Entwicklung, die die Reaktionsfähigkeit der Politik in dramatischer
Weise strukturell überfordert. Es dauere viel zu lange, bis erst nationale
Gesetzgeber und dann internationale Unterhändler sich auf dringend benötigte
neue Regelwerke einigten, während die IT-Revolution den Wandel enorm
beschleunige.

Der Lissabon-Vertrag mit seinen Neuerungen in der gemeinsamen europäischen
Außenpolitik ist ein ganz kleines Zeichen, dass EU-Europa sich irgendwie
bewusst ist, dass es wie bisher nicht weitergehen kann. Doch von der
Bewusstseinsbildung bis zum Vertrag und zu einem wirklich effektiveren
europäischen Handeln wird weit mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Wohl noch nie
in der Geschichte der menschlichen Zivilisation waren deren existenziellste
Probleme so global wie heute. Und doch organisieren wir Politik weiter so, als
sei globale Problemlösung ein Luxus, den sich ein Staat nur leisten kann, wenn
es einigermaßen in die innenpolitische Agenda passt.

Die Bewusstseinsbildung darüber, dass die Welt sehr viel stärkere globale
Entscheidungsorgane brauchen wird, um das globalisierte Wachstum ökologisch und
stabilitätspolitisch zu kontrollieren, hat kaum angefangen. Aber sind sehr viel
stärkere globale Entscheidungsorgane nicht unrealistisch? Natürlich sind sie
das. Doch das jüngste Explodieren unserer Staatsverschuldung war ein
Warnschuss. Wir müssen schleunigst das Unrealistische denken, wenn die
Realität, in der wir leben, eine hinreichend angenehme bleiben soll.

This piece was first published in the Financial Times Deutschland on 18 November 2009.  

 

The European Council on Foreign Relations does not take collective positions. ECFR publications only represent the views of their individual authors.

Author

ECFR Alumni · Former Senior Policy Fellow

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