Serbien bleibt gespalten

The European Union should remain open to Serbia?s full membership. A comment piece in German from Die Presse

This
article originally appeared in Die Presse on 1 June 2008.

Welche Signale soll die Europäische
Union Serbien geben? Die Botschaft muss sein: Die Türe steht weit offen,
durchgehen muss Serbien selbst.

Der mit Erleichterung aufgenommene Triumph der „Europäer” bei den serbischen Parlamentswahlen hat
in Wahrheit gar nicht stattgefunden.
Die Gruppe um Präsident Tadic wurde zwar zur stärksten Kraft, allerdings nur
deshalb, weil fast alle pro-europäischen Parteien auf einer gemeinsamen Liste
kandidiert haben. Die Ultra-Nationalisten
marschierten demgegenüber getrennt. Zählt man die Ergebnisse der Radikalen
Partei des in Den Haag inhaftierten Vojislav Seselj und der Demokratische Partei Serbiens von Ministerpräsident
Kostunica zusammen, haben diese die Nase vorn.

Zünglein an der Waage ist ausgerechnet die kleine
Sozialistische Partei des früheren Machthabers Slobodan Milosevic, ohne deren
Unterstützung keines der beiden Lager eine Regierung bilden kann. Neben ihrer
dunklen Vergangenheit besteht das Problem dieser Partei darin, dass sich ihre
Stammwähler den Kumpanen aus alten Zeiten in den Reihen der Radikalen verbunden
fühlen, während die jüngere Führungsgarde durch ein Eintreten für soziale
Belange und die EU-Mitgliedschaft Profil und Respektabilität zu erlangen
versucht. 

Knackpunkt: Annäherung Serbiens an EU

Welche Regierung ist zu erwarten? Im Vordergrund
stehen intensive Gespräche über die Bildung einer Koalition aus Radikalen,
Kostunica-Demokraten und
Milosevic-Sozialisten. Sollte eine solche Regierung zustande kommen, wäre eine
Fortsetzung der Anlehnung an Russland, die Verweigerung einer Zusammenarbeit
mit dem Haager Tribunal und ein aggressiver Widerstand gegen die Kosovo-Lösung
zu erwarten. Als Knackpunkt könnte sich allerdings die Frage der Annäherung
Serbiens an die EU erweisen.

Präsident Tadic bemüht sich seinerseits, die
Milosevic-Sozialisten zu einem Zusammengehen zu bewegen, wobei für eine
parlamentarische Mehrheit auch noch die Unterstützung der drei kleinen
Minderheitenparteien unerlässlich wäre. Eine solche Regierung stünde auf
unsicheren Beinen, der Preis wäre jedenfalls hoch. Die Sozialisten würden einen
unversöhnlichen Kosovo-Kurs verlangen, die Auslieferung von General Mladic
verhindern und durch ihre Forderungen im sozialen Bereich das Budget Serbiens
zum Entgleisen bringen. Für Tadic ist es darüber hinaus sicherlich ein Dilemma,
dieser Partei durch Übertragung wichtiger Regierungsämter zur Salonfähigkeit zu
verhelfen und auch noch gezwungen zu werden, ihre Aufnahme in die
Sozialistische Internationale zu
unterstützen.

Sollte keine dieser Koalitionen zustande kommen und
sich als letzter Ausweg auch eine Minderheitsregierung mit parlamentarischer
Unterstützung durch die eine oder andere Partei nicht realisieren lassen,
blieben nur mehr Neuwahlen im kommenden Herbst.

Beitritt nicht aufzwingen

Wie soll sich die EU verhalten? Am wichtigsten wäre
die Aufhebung der Visapflicht für Serbien, ebenso wie für alle anderen Staaten des westlichen Balkans. Vor allem jungen Serben
sollte es erleichtert werden, die Welt des 21. Jahrhunderts außerhalb des gewohnten
Biotops aus nationalistischen
Slogans, mittelalterlichen Mythen und anti-serbischen Verschwörungstheorien
kennen zu lernen. Auch wäre Serbien weiterhin zu signalisieren, dass es in der
EU willkommen ist, ohne aber den Eindruck zu erwecken, dass die Union dem Land
einen Beitritt aufzwingen will. Die Botschaft muss sein: Die Türe steht weit
offen, durchgehen muss Serbien selbst.

Gewisse rote Linien müssen allerdings von beiden
Seiten respektiert werden. So wäre die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen undenkbar,
solange Ratko Mladic nicht in Den
Haag einsitzt. Auch muss die EU auf ein Minimum an Kooperation
in der Kosovo-Frage bestehen. Niemand wird von Belgrad die formelle Anerkennung
der Unabhängigkeit Kosovos verlangen. Aber es geht nicht an, dass die EU
Serbien im Rahmen des vor kurzem unterzeichneten Assoziationsabkommens
auf verschiedenste Weise unterstützt und Belgrad gleichzeitig den Bemühungen
der Union um eine Stabilisierung des Kosovo aktiven Widerstand entgegensetzt.
In anderen Worten, die EU kann nicht die Sabotage ihrer Mission im Kosovo auch
noch selbst finanzieren. Schließlich stünde es dem in europäischen Hauptstädten
hoch geachteten und gerne gesehenen Präsident Tadic wohl an, zu Hause zu einer
maßvolleren Sprache zu finden, wenn es um die Verurteilung der EU-Aktivitäten
im Kosovo geht.

Kontraproduktive Verweigerungshaltung

Nach hundert Tagen Unabhängigkeit des Kosovo ist auf
der positiven Seite zu verbuchen, dass es nach der Unabhängigkeitserklärung des
Kosovo vom 17. Februar zu keinem Exodus der Serben kam und Gewalttätigkeiten
auf zwei Zwischenfälle im Norden des Landes beschränkt blieben. Negativ wirkt sich die fortgesetzte
Realitätsverweigerung der serbischen Regierung und ihre Weisung an die
serbische Gemeinschaft aus, weder mit der Regierung des Kosovo noch mit dem
Internationalen Zivilbeauftragten
oder der im Aufbau begriffenen EU-Mission EULEX zusammenzuarbeiten. Dieser
Auftrag Belgrads wird weitgehend respektiert, wenngleich sich in den serbischen
Enklaven außerhalb des Nordteiles allmählich die Stimmen mehren, wonach eine
solche Verweigerungshaltung längerfristig kontraproduktiv sei. Dies gibt
Hoffnung, lebt in diesen Enklaven doch mehr als die Hälfte der rund
hunderttausend im Kosovo verbliebenen Serben.

Ein akutes Problem wird sich Mitte Juni ergeben, wenn
die im „Ahtisaari-Plan” vorgesehene
Übergangsfrist von vier Monaten
abläuft und die UNO-Mission UNMIK ihre Tätigkeit nach neun Jahren beenden und
die verbliebenen Kompetenzen an die Kosovo Regierung beziehungsweise an die EULEX
übergeben soll. Allerdings hat
Russland UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon unter massiven Druck gesetzt, die
UNMIK fortzuführen und jegliche Zusammenarbeit mit der EU-Mission abzulehnen.
Die USA und die meisten europäischen Staaten
verlangen demgegenüber die Implementierung des Ahtisaari-Plans. Wie immer
dieser Konflikt ausgehen wird, dürfte eine Verzögerung des vollen Einsatzes von EULEX schon aus praktischen Gründen
unvermeidbar werden.

Große Sorge bereitet die Haltung einiger EU-Staaten, die sich bisher geweigert haben, gemeinsam mit
der Mehrheit der EU die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Durch ihr
Verhalten ermutigen sie geradezu den aktiven Widerstand Serbiens gegen die
EU-Mission, welche von ihnen selbst mitbeschlossen wurde. Dadurch wird der
Erfolg dieser bisher größten Mission der EU ebenso gefährdet wie die Sicherheit
der in ihrem Rahmen zum Einsatz
kommenden mehr als zweitausend Unionsbürger. Die vielzitierte EU-Solidarität
und die Bemühungen um eine gemeinsame europäische Außenpolitik kommen hier
eindeutig zu kurz.

Normalisierung und Stabilisierung

Trotz dieser Schwierigkeiten wurde mit der Lösung der
Statusfrage des Kosovo zumindest ein
Prozess der Normalisierung und Stabilisierung eingeleitet. Wie lange es dauern
wird, bis der Konflikt als endgültig überwunden angesehen werden kann, ist
allerdings schwer vorauszusagen. Vermutlich wird dies erst dann der Fall sein,
wenn alle Länder der Region zu Mitgliedern der EU geworden sind.


Albert Rohan,
former Secretary General for Foreign Affairs in Austria, is a Member of the
European Council on Foreign Relations. Unitl recently, Mr. Rohan was the Deputy Special Envoy of the UN Secretary General for the Future Status Process of Kosovo.

The European Council on Foreign Relations does not take collective positions. ECFR publications only represent the views of their individual authors.

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