Besser wird’s nicht

The Lisbon Treaty makes the EU neither efficient nor democratic enough. But it was the best available deal under the outdated and foolish unanimity rule. A piece in German.

Der Vertrag von Lissabon ist nicht perfekt. Europa bräuchte weiter mehr
Demokratie. Doch er ist das Beste, das mit dieser EU zu erreichen war.

Es war ein Marathonlauf, wie ihn die EU in ihrer Geschichte noch nicht
erlebt hat. Seit die Staats- und Regierungschefs 1995 anerkannten, dass die
Erweiterung der EU um die meisten Ostblockstaaten eine neue Reform ihrer
Institutionen erforderlich machen würde, ringt Europa um seine Verfassung. Fast
15 Jahre Kampf, dessen Ausgang jetzt mit dem Lissabon-Vertrag die rechtliche
Gestalt der Europäischen Union vermutlich für mindestens weitere 15 Jahre
festschreiben wird.

Denn die Reformhelden und ihre Völker sind müde. Das ewige Hickhack über nur
schwer verständliche, wenngleich wichtige Details der Machtverteilung zwischen
Exekutive, Parlament und Judikative, zwischen europäischer und nationaler
Ebene. Die konfusen Referendumskampagnen, bei denen das Schicksal des Vertrages
sich entweder wie in Frankreich in heißen Debatten entschied, die auf
inhaltlich falschen Voraussetzungen fußten, oder wie in Irland zunächst kaum
Interesse weckte. Die wundersame
Auferstehung des gemeuchelten Verfassungsvertrags in Gestalt des Vertrags von
Lissabon. All das hat diese Generation von Europäern für lange Zeit immun
gemacht gegen den Gedanken, sich abermals auf den steinigen Weg der Suche nach
einem besseren Ehevertrag für die Staaten des Kontinents zu machen.

Lissabon
bietet echte Chancen

Zwar schafft der Vertrag, mit dem
die EU nun in ihre Zukunft startet, weder in puncto Effizienz der Exekutive
noch hinsichtlich der Stärke der parlamentarischen Kontrolle wirklich
befriedigende Lösungen. Noch mehr gilt das für die Klarheit der Verfassungsstruktur
und die Kompetenzverteilung.

Aber er ist das Beste, was in
einer EU zu haben war, in der jeder Mitgliedsstaat quasi jedem Fortschritt bei
der Organisation der Gemeinschaft zustimmen muss – und in der ein realitätsentrückter
Populist wie Vaclav Klaus die Macht hat, den gesamten Reformprozess im
Alleingang zu stoppen.

Man sollte sich klarmachen, dass
ein noch demokratischeres, noch besser organisiertes Europa nur dann möglich
sein wird, wenn die lächerliche und lähmende Regel der Zustimmung aller
Mitgliedsstaaten gekippt wird – und das Mehrheitsprinzip akzeptiert wird, so
wie es auch bei der Entstehung der USA Pate stand. Ohne die in den 1780ern hoch
kontroverse Entscheidung für den Mehrheitsbeschluss der Bundesstaaten wären die
Vereinigten Staaten vermutlich unvereint geblieben – ein Fakt, um den die
US-Verfassungsväter sehr genau wussten. Auch wir werden in Europa eine wirklich
gute Organisation unseres politischen Zusammenlebens erst dann hinbekommen,
wenn wir politisch ähnlich vernünftig werden (und noch dazu das
Bundesverfassungsgericht nicht mit Bewunderern britischer Europapolitik
besetzen).

Teil 2:

Aber jetzt erst einmal Lissabon. Der
Vertrag bietet eine echte Chance, das Europäische Parlament – schon jetzt sehr
viel besser als der Lotterruf, der ihm aus den 80er-Jahren anhaftet – zu einer
parlamentarischen Kammer zu entwickeln, in der mehr Macht zu mehr Substanz der
parlamentarischen Arbeit führt. Wohl wird es das Problem der Parlamentarier
bleiben, sich sowohl im eigenen Land wie über die Landesgrenzen hinaus
irgendwie bekannt zu machen. Die Sprachenvielfalt bleibt ein Hemmnis.
Hinderlich ist auch die Tatsache, dass die Wahlkreise in den meisten Ländern
viel zu groß sind, als dass sich ein EU-Parlamentarier dort verankern könnte. Doch
das Parlament, die europäische Bürgervertretung, gehört zu den Gewinnern von
Lissabon. Nun muss man hoffen, dass ehrgeizige Abgeordnete den politischen Mut
finden, mehr sein zu wollen als der Handlanger eines von wem auch immer
definierten Nationalinteresses.

Die zweite große Neuerung ist die Schaffung einer EU-Spitzenvertretung in
Gestalt eines zweieinhalb bis fünf Jahre amtierenden Präsidenten und eines fünf
Jahre amtierenden Außenministers, ärgerlicherweise wegen der Briten Hoher
Vertreter genannt. Sie sollen für Europa draußen in der Welt sprechen, indem
sie den Vorsitz in Entscheidungsgremien verstetigen und die Effizienz der
Arbeit verbessern. Bald wird über die Namen entschieden. Das Gerangel ist
gewaltig, der Ausgang wie immer für Überraschungen gut. Es kann sein, dass
zwischen diesen zwei Figuren, dem Kommissionspräsidenten und ambitionierten
nationalen Politikprimadonnen ab kommendem Jahr ein gewaltiger Machtkonflikt
ausbricht, der das Ziel unterminiert, die EU nach innen und außen besser
dastehen zu lassen.

Rückzug aufs Nationale

Es kann so kommen, muss aber nicht – wenn nur die Posten klug besetzt werden
und ihre Inhaber die Weisheit zu der Erkenntnis haben, dass ihre individuelle
Stärke entscheidend davon abhängen wird, dass sie nicht in internen
Machtkämpfen verschlissen wird. Wenn das Parlament sich weiter verbessert und
Europa Gesichter bekommt, die jeder halbwegs interessierte Bürger im Gedächtnis
behalten kann und die nicht für Streit stehen, dann, ja dann wird der Vertrag
von Lissabon tatsächlich eine neue und bessere Ära der europäischen Politik
eröffnen.

Kaum zu glauben, aber es gab eine Zeit, ganze sechseinhalb Jahre ist sie
her, da erzeugte die Einigung des europäischen Konvents für den
Verfassungsvertrag so etwas wie gute Stimmung, nicht nur in Brüssel, sondern
bei vielen Bürgern mit mittlerem Interesse an der EU.

Wie viel Zeit ist seit 2003
vergangen! In Deutschland diagnostizieren fremde Besucher heute einen Rückzug
aufs Nationale, der von vielen Deutschen als Normalisierung empfunden wird, im
europäischen Kräftekonzert aber bedeutet, dass der beste und führungsstärkste
Spieler auszufallen droht, weil er genauso lustlos mitdribbelt wie die anderen.
Das wäre schlimm, denn wir brauchen den europäischen Mannschaftserfolg
weiter. Im Zeitalter der demografischen Giganten wird sonst selbst aus einem
80-Millionen-Land wie Deutschland ein gefährdeter regionaler
Produktionsstandort.

The European Council on Foreign Relations does not take collective positions. ECFR publications only represent the views of their individual authors.

Author

ECFR Alumni · Former Senior Policy Fellow

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