Interview

«Die Hardliner in den USA und Iran haben immer im Tandem agiert, um die Diplomatie zu blockieren»

Die Nahostexpertin Ellie Geranmayeh sieht gute Chancen dafür, dass sich die Iraner auf Verhandlungen mit dem designierten amerikanischen Präsidenten Joe Biden einlassen. Allerdings müsse dessen Übergangsteam bereits jetzt mit den Hausaufgaben beginnen.

Inga Rogg, Jerusalem
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Wird es der amerikanischen Regierung unter Präsident Joe Biden gelingen, zu einer neuen Einigung über das iranische Atomprogramm zu gelangen? Ellie Geranmayeh ist verhalten optimistisch.

Wird es der amerikanischen Regierung unter Präsident Joe Biden gelingen, zu einer neuen Einigung über das iranische Atomprogramm zu gelangen? Ellie Geranmayeh ist verhalten optimistisch.

Zuma / Imago

Die Europäer sind erleichtert über den Wahlsieg von Joe Biden. Wie hat die iranische Führung reagiert?

Die Regierung von Präsident Hassan Rohani war ziemlich konsequent in ihren Botschaften. Erstens ist sie offen für eine Rückkehr der USA zum Atomabkommen, wobei die USA all ihre Verpflichtungen unter dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) erfüllen müssen, insbesondere hinsichtlich der Aufhebung der Sanktionen.

Zweitens hat die iranische Seite klargemacht, dass dies angesichts der wirtschaftlichen Schäden, die Iran und das iranische Volk aufgrund des «maximalen Drucks» während der Trump-Ära erlitten haben, einen Preis haben wird. Es wurden beispielsweise Forderungen nach einer Entschädigung für die «Schäden» erhoben.

Und die Hardliner in Teheran?

Die den Hardlinern zuneigenden Fraktionen haben sich darauf fokussiert, dass man Amerika nicht trauen könne. Präsident Donald Trump habe gezeigt, dass man sich nicht darauf verlassen könne, dass eine amerikanische Regierung nach einem Wechsel ihr Wort halte. Warum sollte Iran das Risiko eingehen, erneut von einer Biden-Regierung getäuscht zu werden, sollte 2024 Trump oder eine Trump-ähnliche Figur ins Weisse Haus einziehen?

Was sagt der Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei?

Der oberste Führer hat die Möglichkeit von Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten und deren Rückkehr zum JCPOA nicht ausgeschlossen. Dies und die Tatsache, dass wir zusehends sehr deutliche Botschaften von der iranischen Regierung erhalten, deuten darauf hin, dass der oberste Führer den USA einen gewissen Spielraum zugesteht, um die Möglichkeit von Gesprächen mit der Biden-Regierung auszuloten.

Ellie Geranmayeh, Nahostexpertin des European Council on Foreign Relations

Ellie Geranmayeh, Nahostexpertin des European Council on Foreign Relations

Trump verhängt weitere Sanktionen, und es wird sogar über Angriffe gegen Iran spekuliert. Rechnen Sie mit einer neuerlichen Eskalation?

Die Beunruhigung ist gross, dass die Trump-Regierung und insbesondere Iran-Falken innerhalb des Systems etwas aushecken, bevor sie aus dem Amt scheiden. Israel, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtige Unterstützer von Trumps Kampagne des «maximalen Drucks» gegen Iran. Die Falken in den USA und in der Region sehen in den letzten zehn Wochen der Trump-Regierung eine einmalige Gelegenheit, um Iran einen Schlag zu versetzen, sei es an der atomaren oder an der regionalen Front. Stellen Sie sich vor, Biden tritt wenige Wochen nach einer Eskalation mit Iran – möglicherweise sogar auf militärischer Ebene – am 20. Januar das Amt an. Das könnte das politische Umfeld für Diplomatie wirklich vergiften.

Optimistischer betrachtet, gibt es im Biden-Übergangsteam viele Personen, die den Nahen Osten gut kennen. Sie wissen genau, was die Trump-Regierung bezweckt – die Biden-Regierung in einer Pattsituation zwischen den USA und Iran gefangen zu halten.

Ebenfalls optimistischer betrachtet, verstehen die Leute in Teheran genau, dass die Trump-Administration und andere ihnen zwischen heute und dem 20. Januar Fallen stellen. Sie werden extrem vorsichtig sein, um nicht in diese Eskalationsfalle zu tappen, weil sie die Brücken für mögliche künftige diplomatische Bemühungen mit den USA nicht abbrechen wollen. Aber viele Personen sind nervös, dass noch etwas passiert.

Welche Schritte sollte Biden nach seinem Amtsantritt einleiten?

Das Übergangsteam von Biden muss jetzt mit den Hausaufgaben beginnen. Ähnlich, wie es dies hinsichtlich des Pariser Klimaabkommens und der Weltgesundheitsorganisation tut, muss es Iran in öffentlichen Erklärungen signalisieren, dass es schnell nach einem diplomatischen Weg suchen werde. Nach der Amtseinführung am 20. Januar sollte die Biden-Regierung erklären, dass sie zum JCPOA zurückkehren möchte. Dies kann man äussern, ohne dabei die Sanktionen aufzuheben – es wäre eine Absichtserklärung an die Adresse der Iraner.

Dies würde nach meiner Meinung den Weg dafür ebnen, dass die USA an den Sitzungen der im Rahmen des JCPOA etablierten gemeinsamen Kommission wieder willkommen wären. Anfangs vermutlich nicht als aktives Mitglied, aber doch als passiv Teilnehmende willkommen an den Sitzungen jener Kommission, der Iran und alle anderen derzeitigen Mitglieder des Abkommens angehören.

Dies gäbe Iran und den USA die politische Deckung, um darüber zu diskutieren, wie beide wieder all ihre Verpflichtungen aus dem JCPOA erfüllen können. Die Amerikaner werden überlegen müssen, welche Sanktionserleichterungen sie anbieten können. Daraufhin werden die Iraner überlegen müssen, welche ihrer nuklearen Aktivitäten sie aufzugeben bereit sind.

Mit dem Sieg von Joe Biden in der Präsidentenwahl verbindet sich für viele Iraner die Hoffnung auf eine Aufhebung der Sanktionen und eine Abnahme der Spannungen.

Mit dem Sieg von Joe Biden in der Präsidentenwahl verbindet sich für viele Iraner die Hoffnung auf eine Aufhebung der Sanktionen und eine Abnahme der Spannungen.

Abedin Taherkenareh / EPA

Viel Zeit hat Biden nicht. Im kommenden Juni finden in Iran Präsidentschaftswahlen statt.

Meines Erachtens sollte es schnell geschehen und solange Biden innerhalb des politischen Establishments in den USA noch Schwung hat, und noch vor den iranischen Präsidentschaftswahlen. Die USA können Rohanis «Lahme Ente»-Phase nutzen, um erzielte Vereinbarungen zu implementieren. Eine Diskussion mit den Amerikanern zu beginnen, wird gegen Ende von Rohanis Amtszeit wesentlich schwieriger.

Das bietet den Hardlinern viele Anreize, Kompromisse zu torpedieren.

Absolut. Wir haben dies schon einmal erlebt. Wir wissen alle noch genau, wie viel Widerstand gegen die Atomgespräche es 2014/2015 in Washington und Teheran gab. Die Hardliner in beiden Ländern haben immer im Tandem agiert, um die Diplomatie zu blockieren. Deshalb braucht es bis dahin eine Entscheidung von ganz oben, von Irans oberstem Führer und von Präsident Biden, der Opposition im eigenen Land entgegenzutreten und den diplomatischen Weg frei zu bekommen. Wenn sie das Zeitfenster dafür verpassen, wird es meines Erachtens immer schwieriger, die iranischen Nuklearaktivitäten einzudämmen, von regionalen Verhandlungen mit Iran ganz zu schweigen.

Sollte es Teheran und Washington nicht gelingen, sich auf eine Rückkehr zum Atomabkommen zu einigen, steht zu befürchten, dass Iran sein Atomprogramm weiter ausbaut.

Sollte es Teheran und Washington nicht gelingen, sich auf eine Rückkehr zum Atomabkommen zu einigen, steht zu befürchten, dass Iran sein Atomprogramm weiter ausbaut.

Ahmad Halabisaz / Imago

Kann Biden denn alle von Trump verhängten Sanktionen ohne weiteres wieder aufheben?

Rechtlich gibt es keine grösseren Hürden für Biden, er könnte die Sanktionen aufheben. Es gibt jedoch eine politische Dimension. Die Befürworter von Trumps Politik des «maximalen Drucks» haben ihrerseits Druck gemacht, um eine Welle von Sanktionen gegen Iran nicht nur unter dem Atom-Banner, sondern auch dem der Menschenrechte und des Terrorismus durchzusetzen. Die beiden letztgenannten Sanktionsbegründungen aufzuheben, wird für Biden politisch wesentlich schwieriger werden.

Einige dieser Sanktionen treffen Irans Wirtschaft empfindlich, beispielsweise die Einstufung der iranischen Zentralbank als Institution, die den Terror finanziere. Meines Erachtens müssen die USA diese im Rahmen der Wiederaufnahme sämtlicher Verpflichtungen aus dem Atomabkommen aufheben. Biden wird dafür einen Weg finden müssen. Aber das ist, wie gesagt, mehr eine politische als eine rechtliche Frage.

Iran wird darauf bestehen, dass auch andere Sanktionen wegen der Verletzung von Menschenrechten oder der Einstufung der Revolutionswächter als Terrororganisation aufgehoben werden. Meines Erachtens gibt es in dieser Frage Verhandlungsspielraum, da die Wiederbelebung der iranischen Wirtschaft nicht davon abhängt. Sollten die USA nicht zum Stand von vor Mai 2018 zurückkehren können, als Trump mit der Verhängung von Sanktionen begann, müssen wir damit rechnen, dass sich die Iraner bei ihren Nuklearaktivitäten nicht vollständig in die Karten schauen lassen.

Israel, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind gegen das Atomabkommen, weil sie sich von Iran bedroht fühlen. Wie kann Biden dem begegnen?

Die Sorgen Israels einerseits und die Saudiarabiens und der Emirate anderseits sind nicht unbedingt die gleichen. Die israelischen Befürchtungen gegenüber Iran betreffen an der regionalen Front vor allem Libanon und Syrien. Mein Eindruck ist, dass Biden mehr tun wird als der frühere Präsident Barack Obama, um diese Akteure hinsichtlich der Atomverhandlungen zu konsultieren und auf dem Laufenden zu halten. Er wird aber auch entschlossen handeln, wenn entschieden wird, den diplomatischen Weg fortzusetzen. In diesem Fall wird er sich dem Widerstand von Israel oder anderen Akteuren klar und deutlich entgegenstellen.

Ich denke jedoch, dass die Regierung unabhängig vom JCPOA Gespräche über die regionale Sicherheit beginnen sollte, die sich zunächst auf die Golfstaaten konzentrieren. In diesem Bereich haben die europäischen Regierungen in den letzten Jahren einiges geleistet. Wenn es gelingt, diesen Prozess parallel zu beginnen, wird dies ein sehr positives Signal vor allem an die Golfstaaten dahingehend aussenden, dass sich die USA nicht vollständig von der regionalen Sicherheit verabschieden.

Die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch die Trump-Regierung Anfang des Jahres hatte die Angst vor einem Krieg mit Iran heraufbeschworen.

Die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch die Trump-Regierung Anfang des Jahres hatte die Angst vor einem Krieg mit Iran heraufbeschworen.

Hollie Adams / Getty

Eine der Hauptsorgen in Europa und der Region ist Irans Raketenprogramm. Ist in dieser Frage ein Kompromiss möglich?

Ich sehe derzeit keinen Spielraum für Verhandlungen mit Iran über dieses Thema. Iran betrachtet das Raketenprogramm als wichtigen Bestandteil der Abschreckung und Verteidigung. Angesichts dessen, dass Iran an der atomaren Front bereits grosse Zugeständnisse gemacht hat – und sehen Sie, was in diesem Punkt passiert ist –, kann ich mir nicht vorstellen, dass es in dieser Frage zu Verhandlungen kommt.