Berlin/Washington. Donald Trump hat auch beim Nato-Gipfel in Brüssel gegen Angela Merkel ausgeteilt. Doch woher kommt die Abneigung gegen Deutschland?

Warum immer wieder Deutschland? Warum ­immer wieder Angela Merkel? Wenn US-Präsident Donald Trump verbale Breitseiten abfeuert, ist oft die Bundeskanzlerin das Ziel. Auch beim Nato-Gipfel in Brüssel wettert Trump vor allem Richtung Berlin. „Präsidenten haben jahrelang erfolglos versucht, Deutschland und andere reiche Nato-Staaten dazu zu bewegen, mehr für ihren eigenen Schutz vor Russland zu zahlen“, schreibt Trump am Donnerstag auf Twitter. „Sie bezahlen nur einen Bruchteil ihrer Kosten.“

Trump poltert gegen die aus seiner Sicht geringen Verteidigungsausgaben, den deutschen Handelsüberschuss gegenüber Amerika, die Energiegeschäfte mit Russland oder die „desas­tröse“ Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Es ist die offen gezeigte Abneigung, es sind die alle Formen der sozialen Kommunikation sprengenden Ausfälle, die dabei verstören.

Das Bild, das das zerrüttete Verhältnis zwischen Trump und Merkel vor den Kameras der Weltpresse festgehalten hat, stammt aus dem März 2017. Die Kanzlerin sitzt mit dem US-Präsidenten im Weißen Haus, es ist ihr Antrittsbesuch. Sie beugt sich zum Gastgeber, fragt leise: „Handshake?“ Sie bittet um einen Handschlag, wie das üblich ist. Doch Trump stiert nur geradeaus, sein Gesicht ist maskenhaft, zeigt keine Regung. Eine inszenierte Brüskierung.

Merkels Angebot war für Trump eine Zumutung

Beobachter weisen darauf hin, dass der Bruch wohl schon früher eingesetzt habe. Am 9. November 2016, einen Tag nach der Wahl Trumps, schickt die Kanzlerin einen kühlen Gruß nach Washington. Deutschland und Amerika seien durch Werte verbunden, so Merkel. Sie nennt Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen. Auf dieser Basis biete sie dem Präsidenten eine „enge Zusammenarbeit“ an. Die an Bedingungen geknüpfte Offerte habe Trump als besserwisserische Belehrung aufgefasst, heißt es in der US-Hauptstadt.

Doch Trumps Attacken gegen Merkel haben auch eine polit-psychologische Komponente. „So ist die Kanzlerin ein rationaler Typ, der sich Kumpelges­ten verweigert“, betont Josef Janning, Chef der Berliner Denkfabrik European Council on Foreign Relations. „Die Händedruck-Wettbewerbe mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanadas Premierminister Justin Tru­deau oder das gegenseitige Schulterklopfen: Das ist ein Repertoire, das in der Trump-Psyche nur unter Männern funktioniert.“

John Kornblum, unter Präsident Bill Clinton US-Botschafter in Deutschland, hat für den engen Draht zwischen Trump und Macron eine einfache Erklärung: „Das ist ein Bündnis von Narzissten.“ Und: „Trump fühlt sich zu Macron hingezogen, weil dieser die gleichen Eigenschaften hat wie der US-Präsident – nur ein bisschen milder.“ Angela Merkel sei hingegen der „klassische Organisationstyp“.

Die Chemie zwischen Trump und Merkel stimmt nicht

Der Chemie-Faktor in der Politik zeigt sich bei den Besuchen von Macron und Merkel Ende April in Washington. Beide statten Trump eine Feuerwehr-Visite ab, um die drohenden US-Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte aus Europa abzuwenden. Während der Franzose alle Register von Wangenkuss bis Händchenhalten zieht, tritt die Kanzlerin höflich, aber distanziert auf.

Ihr Plädoyer für ein „regelbasiertes Handelssystem“, in dem Konflikte in internationalen Gremien ausgeräumt werden, empfindet Trump als Zumutung. Für ihn gilt der Schlachtruf: „America First.“ So hatte er es seinen Wählern in Schlüsselstaaten wie Ohio oder Pennsylvania versprochen – im „Rostgürtel“, der Tausende Jobs in der Stahl- und Kohleindustrie verloren hat.

Natürlich sind Trumps Tiraden gegen Deutschland auch ein Produkt von politischen Reibungsflächen. Deutschland als Exportweltmeister, der gleichzeitig die Hand auf dem Portemonnaie hat, wenn es um die Nato-Gemeinschaftskasse geht. Deutschland als informelle Führungsnation in Europa, wo bei Flüchtlingen aus muslimisch dominierten Ländern das Gegenmodell zur „Festung Amerika“ praktiziert wird.

Trump ist nicht müde, neue Kriegsschauplätze aufzumachen

Deutschland als Lieferant von Hunderttausenden Luxus-Limousinen, die nur gering verzollt in Amerika rollen, wo der Präsident gerne Cadillacs an den Straßenkreuzungen sehen würde. Deutschland als Nutznießer russischer Erdgas-Lieferungen, die amerikanischen Flüssiggas-Schiffen im Weg stehen. Die Liste der rhetorischen „Kriegsschauplätze“, die Trump immer wieder neu eröffnet, um einen der wichtigsten Partner Amerikas auf dem alten Kontinent abzumeiern, ist lang. Ebenso Trumps meist auf dem Fuße folgende Beteuerung, dass sein Respekt für „good old Germany“ und dessen Regierungschefin grenzenlos sei. Zumal sich sein Großvater (Friedrich) 1885 aus Kallstadt in der Pfalz nach Amerika aufgemacht habe, um dort sein Glück zu suchen.

Doch die Bekenntnisse seien nicht für bare Münze zu nehmen, warnen Fachleute. „Indem Trump Deutschland angreift, verstärkt er unterschwellig vorhandene Ressentiments einiger Nato- oder EU-Partner gegen Deutschland“, sagt der Amerika-Experte Josef Janning. „Es geht ihm darum, die EU auseinanderzudividieren.“ Belege dafür gibt es genug. Zum Beispiel Trumps lauthals verkündete Sympathie für den Brexit. Seine Kritik am deutschen Außenhandelsüberschuss wird nicht zuletzt auch von Macron geteilt.

Welche Attacke wird der US-Präsident als nächstes gegen die Bundes­regierung reiten? Janning macht ein Szenario auf: „Er könnte fragen, ob Deutschland seine Partner angemessen für das entschädigt hat, was ihnen in Zeiten des Nationalsozialismus angetan wurde.“ Reparationsansprüche wurden in der Vergangenheit bereits vereinzelt von Politikern in Griechenland und Polen erhoben. Trump könnte eines Tages die Rechnung aufmachen, was die USA für die Befreiung Deutschlands vom Hitler-Regime bezahlt hätten, mutmaßt Janning. „Vielleicht kommt dann die Forderung: Ich will das Geld zurückhaben – einschließlich der Milliarden Dollar aus dem Marshall-Plan für den Wiederaufbau Deutschlands.“