Berlin. Die Türkei gerät verstärkt ins Fadenkreuz der Islamisten

Es sind Bilder, die um die ganze Welt gingen: Im September 2014 bombardierte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die von Kurden bewohnte Stadt Kobane an der syrisch-türkischen Grenze. Feuerbälle und dicke Rauchwolken stiegen dort auf, wo die Granaten und Geschütze der Dschihadisten einschlugen. Rund einen Kilometer entfernt, auf einem Hügel, standen türkische Panzer – die Soldaten schauten zu. Spätestens seit dieser Zeit war klar: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ die Gotteskrieger gewähren. Denn die sunnitischen Extremisten und die dem sunnitischen Islam verhaftete Regierung in Ankara hatten zwei gemeinsame strategische Ziele: Der syrische Präsident Baschar al-Assad, Mitglied einer schiitischen Sekte, sollte aus dem Amt vertrieben werden. Und die Kurden, die dem IS stark zusetzten, sollten geschwächt werden.

Experten schätzen die Zahl derIS-Anhänger auf 10.000

Daher wurden verwundete IS-Kämpfer in der Türkei verarztet. Die Terrormiliz konnte im Westen angeworbene Neu-Mitglieder über die Türkei nach Syrien schleusen. „Erdogan hat den IS nicht direkt unterstützt, doch er drückte bei der Präsenz und bei der Ausweitung der Islamisten ein Auge zu – es war eine Art Nichtangriffspakt“, sagt Asli Aydintasbas von der Berliner Denkfabrik Council on Foreign Relations der Morgenpost.

Erdogans Kuschelkurs mit dem IS sollte sich rächen. Denn die Dschihadisten verfügen mittlerweile über ein dicht geknüpftes Netzwerk in der Türkei. Experten in Ankara schätzen die Zahl ihrer Anhänger auf rund 10.000. In Istanbul und anderen Großstädten unterhält der IS Rekrutierungszentren. Bereits 2011 hatte es die Türkei erlaubt, Assad-Rebellen, aus denen sich antiwestliche Extremisten entwickelten, den Süden des Landes als Rückzugsort zu benutzen. „Damit hat Erdogan ein Monster geschaffen, das er nur noch schwer kon­trollieren kann“, sagt der am Londoner King’s College lehrende Terrorismusforscher Peter Neumann der Morgenpost.

Der Wendepunkt im Verhältnis Türkei – IS kam wohl mit dem verheerenden Anschlag in der südosttürkischen Stadt Suruç. Am 20. Juli 2015 riss ein Selbstmordattentäter, den die Türkei dem IS zuschrieb, 34 Menschen in den Tod. Am 10. Oktober detonierten zwei Sprengsätze in Ankara, für die die Regierung den IS verantwortlich machte. Unter den mehr als 100 Toten befanden sich ebenfalls viele Kurden.

In der Vergangenheit hatten die Amerikaner Erdogan immer wieder gedrängt, die Luftwaffenbasis Incirlik in der Südtürkei benutzen zu dürfen – lange Zeit vergeblich. Doch im Juli 2015 gab Ankara nach. Seit Mitte August fliegen US-Kampfjets Angriffe auf Stellungen des IS in Syrien. Seit knapp einer Woche starten die Tornado-Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr ebenfalls von Incirlik aus Richtung Syrien. Damit rücken die Türkei und Deutschland verstärkt ins Fadenkreuz der Islamisten.