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Haftar

Etwas Hoffnung inmitten von Krieg und Anarchie

Istanbul / Lesedauer: 4 min

Die Konfliktparteien in Libyen einigen sich auf Wahlen und Frieden – Der Weg dahin ist jedoch schwierig
Veröffentlicht:14.11.2020, 18:00

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Nach Jahren des Krieges in Libyen meldeten die Vereinten Nationen (UN) einen Erfolg. „Wir sind einem Konsens sehr nahe“, sagte der UN-Libyenbeauftragte – vor drei Jahren. Im November 2017 informierte der damalige UN-Gesandte für Libyen, Ghassan Salame, den Sicherheitsrat in New York über Fortschritte bei den Friedensbemühungen für das nordafrikanische Land. Der Krieg ging weiter, Salame gab frustriert auf.

Nun berichtet seine Nachfolgerin Stephanie Williams von einem neuen „Durchbruch“. Bei Verhandlungen in Tunesien haben sich 75 Delegierte aus Libyen nach ihren Worten auf freie Wahlen innerhalb der nächsten 18 Monate geeinigt. Angesichts des Scheiterns früherer Verhandlungen und der Entschlossenheit ausländischer Akteure, weiter mitzumischen, trifft die Nachricht auf Skepsis.

Libyen hat seit dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi im Jahr 2011 keine funktionierende Zentralgewalt mehr und ist Schauplatz von Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen. Seit 2014 ist das Land zwischen den Herrschaftsgebieten der Regierung im Westen Libyens und des Parlaments im Osten des Landes geteilt. Der ostlibysche Militärchef Khalifa Haftar versuchte 2019, die Hauptstadt Tripolis im Westen einzunehmen, scheiterte aber wegen der Unterstützung der Türkei für die Regierung. Haftar musste sich zurückziehen. Heute verläuft die Front bei der Küstenstadt Sirte , die für die Ölindustrie wichtig ist. Ein im Oktober ausgerufener Waffenstillstand hält, aber beide Seiten verdächtigen sich gegenseitig, Angriffe vorzubereiten.

Die sieben Millionen Libyer leiden seit fast zehn Jahren unter Krieg und Anarchie. Obwohl ihr Land die größten Ölvorräte in Afrika besitzt, lebt jeder dritte Libyer in Armut. Wie dringend eine Einigung ist, zeigte auch der Tod von fast 100 Flüchtlingen, die am Donnerstag auf dem Weg nach Europa vor der libyschen Küste ertranken.

Die Einmischung des Auslands erschwert die Friedensbemühungen der UN. Ein Waffenembargo wird von Unterstützern beider Landesteile unterlaufen: Die Türkei liefert Waffen an die Regierung in Tripolis, während Haftar Militärhilfe von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland erhält. Beide Seiten setzen zudem ausländische Söldner ein. Die Waffenstillstandsvereinbarung vom Oktober sieht den Abzug aller ausländischer Kämpfer bis zum 23. Januar vor, aber bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass dies geschehen wird.

UN-Vertreterin Williams, eine amerikanische Diplomatin, treibt die Friedensgespräche mit Rückendeckung der Regierung in Washington voran. Die USA sorgen sich, dass Russland nach seinem Engagement in Syrien nun auch in Libyen Fuß fassen und sich damit an der Südflanke der Nato festsetzen könnte. Zudem könnte eine Entscheidungsschlacht um Sirte einen regionalen Krieg auslösen. Williams’ Initiative ist aber nicht unumstritten: Es gibt Kritik an der Auswahl der 75 Delegierten in Tunis. Zudem sei unsicher, ob die Konferenzteilnehmer den nötigen politischen Einfluss besitzen, um ihre Vereinbarung auch durchzusetzen, schrieb die Nordafrika-Expertin Alison Pargeter von der britischen Denkfabrik RUSI.

Parallel zu den politischen Verhandlungen in Tunis organisiert die UN Kontakte zwischen den Streitkräften beider Seiten in Sirte. Dabei vereinbarten die Kriegsparteien, eine Küstenstraße wieder zu öffnen, die die verfeindeten Landesteile miteinander verbindet. Allerdings läuft bei den Gesprächen nicht alles glatt. Vertreter der westlibyschen Regierung beschwerten sich, ihre Unterhändler hätten nicht auf einem Militärstützpunkt bei Sirte landen können, weil dieser von russischen Söldnern auf Haftars Seite blockiert werde. Russland hat nach wie vor Kampfflugzeuge in Syrien stationiert.

Andere Verbündete von Haftar zeigen ebenfalls keine Neigung, sich aus dem Libyen-Konflikt zurückzuziehen. Die VAE, die Haftar in den vergangenen Jahren mit dem Einsatz von Kampfdrohnen geholfen hatten, wollen nun hochmoderne US-Drohnen und das neue amerikanische Kampfflugzeug F-35 kaufen. Im US-Kongress gibt es Bedenken wegen eines möglichen Einsatzes dieser neuen Waffen in Libyen. Auch die Türkei bleibt in Libyen präsent. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf Sicherheitskreise in Ankara, die türkische Unterstützung für die westlibysche Regierung werde weitergehen.

Gebraucht werde mehr internationaler Druck auf die ausländischen Akteure in dem Konflikt, sagte der Libyen-Experte Tarek Megerisi von der Denkfabrik ECFR der „Financial Times“ kürzlich. „Wer sagt den Türken und den Russen, dass sie gehen sollen?“ fragte Megerisi. Die Antwort steht noch aus.