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Referendum

Camerons verhängnisvolles Brexit-Versprechen

Politik / Lesedauer: 4 min

2007 gab der Briten-Premier seinen Landsleuten eine EU-Referendumsgarantie - und stellte sich selbst eine Falle
Veröffentlicht:17.06.2016, 19:51

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Am Anfang war ein Versprechen, abgegeben in der „ Sun “ am 26. September 2007: „Heute gebe ich Ihnen diese gusseiserne Garantie: Wenn ich Premier werde, wird eine konservative Regierung ein Referendum abhalten.“

Der damals 40-jährige Oppositionschef in London, David Cameron , gab seinen Landsleuten diesen Schwur, um endlich einmal die zahlreichen Kritiker in seiner Partei, den Medien und der euroskeptischen Gesellschaft auf seiner Seite zu haben. Ohne Not und ohne je eine Regierungsverantwortung auf seinen Schultern gespürt zu haben, setzte der Tory-Vorsitzende damit leichtfertig einen Prozess in Gang, der fast neun Jahre später seine politische Karriere und die Einheit des Vereinigten Königreichs bedroht. Mehr noch, die Abstimmung in der kommenden Woche bringt die Zukunft des europäischen Integrationsmodells in Gefahr.

Um die Logik des Kampfes um ein Brexit-Referendum zu verstehen, muss man den legendären britischen Euroskeptizismus einmal näher betrachten. Die Inselbewohner lieben spanische Tapas, sie machen gerne Ferien in Rom und kaufen Zweitwohnungen in Frankreich. Die Briten sind weltoffen, doch wenn es um die politische Zusammenarbeit mit ihren EU-Nachbarn geht, geraten sie in Panik. Warum? Für seine Landsleute, schrieb einmal der bekannte Oxforder Universitätsprofessor Timothy Garton Ash, sei „ Europa “ etwas „Schauderhaftes, was ,uns’ von ,denen’ zugefügt wird“.

Für viele Briten war die Welt in Ordnung, als Europas Einfluss noch an jener Wasserstraße endete, die ihr Land vom Rest des Kontinents trennt. Seit Jahrzehnten regiert jedoch die Europapolitik auf der Insel mit. Die Ablehnung der EU-Bürokratie und die Angst vor einem Verlust der politischen Souveränität an undemokratische Beamte in Brüssel nähren die Sorgen der Europakritiker am Rand des zusammenwachsenden Kontinents.

Dies gilt umso mehr für die Konservative Partei, die seit Margaret Thatchers Zeiten an einer Zerrissenheit in der Europafrage leidet. Ein großer Teil der Tories sieht heute die EU als einen politischen Störfaktor, ein gescheitertes Integrationsmodell und ein Musterbeispiel an Geldverschwendung. Die Hardliner träumen daher von einem Austritt. Der andere Teil möchte Europa nach britischen Vorstellungen reformieren und die EU-Mitgliedschaft behalten, um politischen Einfluss in Brüssel zu nehmen und gleichzeitig alle Vorteile des Binnenmarktes zu genießen.

Zu den letzteren gehört Cameron, dessen „gusseiserne Garantie“ 2007 die Hinterbänkler beflügelt hatte. So stark wuchs der Druck der Euroskeptiker bei den Tories, dass der Parteichef sich im Herbst 2009 zu einem riskanten Manöver genötigt sah. In einer Rede brach Cameron sein Versprechen und nannte die Idee einer EU-Abstimmung nicht realistisch: „Unsere Kampagne ist zu Ende.“

Er wollte stattdessen darum kämpfen, die Souveränität des Königreichs in der Innen-, Sozial- und Beschäftigungspolitik von Brüssel zurückzugewinnen. Doch diese Idee kam nicht gut an. Camerons Schwur sei „ein rostiges Stück Eisen“, spotteten die Kritiker. Für eine Kehrtwende war es viel zu spät.

Allerdings ließ sich das Referendumsversprechen nach der Wahl im Mai 2010 im Regierungsbündnis der Tories mit den europafreundlichen Liberaldemokraten zunächst nicht verwirklichen. Zwar verabschiedete die Koalition ein Gesetz, wonach die Briten über jede größere EU-Reform eine Volksabstimmung abhalten müssen. Doch bei der praktischen Umsetzung seiner Referendumsgarantie drückte Cameron auf die Bremse.

Doch der Geist war aus der Flasche. Die Wahl 2010 war ein Triumph der Eurokritiker, die ihre Vertretung im Parlament vergrößern konnten. Der von allen Seiten bedrängte Tory-Chef ordnete seiner Fraktion wiederholt das absolute Gehorsam in der Europafrage an und drohte den „Rebellen“ mit Strafmaßnahmen - ohne Erfolg. Im Herbst 2011 rang Cameron bei einer Abstimmung in Westminster mühsam die Anhänger eines EU-Referendums nieder. 81 von 305 konservativen Abgeordneten verweigerten dem Parteichef den Gehorsam, es war eine schallende Ohrfeige. Der bis dahin größte Anti-Europa-Aufstand in der Geschichte der Tories übertraf damit eine ähnliche Meuterei gegen Ex-Premier John Major 1973 um das Doppelte und zeigte dem Regierungschef die Grenzen seiner Macht auf.

Noch mehr als die parteiinternen Querelen musste Cameron befürchten, bei der nächsten Wahl viele Anhänger zu verlieren, die ihre Stimmen der nationalistischen Partei UKIP hätten geben könnten, die eine Loslösung ihres Landes aus Europa fordert. Diese Gefahr wurde immer realer, und 2012 war sein Widerstand gebrochen. „Ich bin nicht gegen ein Europa-Referendum“, verkündete der Tory-Chef. „Die Briten sind unzufrieden mit der Realität, ich ebenfalls.“

Anfang 2013 verpflichtete Cameron die zukünftige Tory-Regierung dazu, ein EU-Referendum abzuhalten. „Die Frage wird einfach sein: rein oder raus?“, sagte der Premier. Nur wenige Monate nach seiner Wiederwahl ließ er im Sommer 2015 das Parlament über ein entsprechende Gesetz abstimmen. Obwohl die EU später den Briten bei der Beschränkung von bestimmten Sozialleistungen für zugewanderte EU-Bürger entgegenkam, war die Abstimmung nun unabwendbar. Camerons „gusseisernes“ Versprechen war endlich erfüllt.