Aufatmen in Berlin. Europa ist noch da, wir sind noch einmal davon gekommen. Die Franzosen haben den EU-freundlichen Kandidaten Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt, dessen Überzeugungskraft sogar den in Frankreich gefürchteten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nicht unberührt ließ. Macron habe "unheimlich viel Charme", schwärmte Schäuble vor der ersten Wahlrunde, als noch elf Bewerber um Stimmen buhlten. Darunter auch François Fillon von den konservativen Republikanern, die der CDU politisch viel näher stehen als der sozialliberale Macron. Doch der Minister ließ sogar die sonst übliche Zurückhaltung bei Wahlempfehlungen fahren: "Wahrscheinlich würde ich Macron wählen", sagte er.

Wird Schäuble, wird die Bundesregierung Macron helfen, das Amt erfolgreich auszufüllen? Werden sie helfen, die tief sitzende Enttäuschung großer Teile der französischen Bevölkerung über die EU und den Euro in Zustimmung umzukehren, vielleicht sogar in ein bisschen Begeisterung? Macron wünscht sich unter anderem ein EU-Budget für Investitionen und einen Eurofinanzminister, der nicht nur Sparziele überwacht, wie es Schäuble gerne hätte, sondern Geld zuteilen kann.

Ein genauer Blick auf das Wahlergebnis zeigt, dass es ohne Unterstützung aus Berlin nicht gehen wird: Macron hat mit fast 66 Prozent der Stimmen zwar sehr viel besser abgeschnitten, als es selbst die optimistischsten Umfragen in den Tagen vor der Wahl glauben ließen. Doch einer von vier Wahlberechtigten ist nicht zur Wahl gegangen. Rund drei Millionen Franzosen gaben zudem einen leeren Wahlumschlag oder einen Umschlag mit einem unbeschriebenen Blatt ab. In Frankreich wird das als "vote blanc", also "weiße Wahl" bezeichnet. Davon zu unterscheiden sind ungültige Stimmabgaben, beispielsweise zerrissene oder von Hand beschriebene Wahlzettel. Zu diesem Mittel griffen mehr als eine Million Franzosen.

Vor der Wahl äußerten zudem 57 Prozent derer, die ihr Kreuz bei seinem Namen machen wollten, dass dies kein Votum für Macron, sondern gegen Le Pen sei. Und sechs von zehn Wahlberechtigten wünschen nicht, dass Macron bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni die notwendige Mehrheit erhält, um sein politisches Programm in vollem Umfang umzusetzen.

"Die Anti-EU-Haltung wird vorerst bleiben", sagt Claire Demesmay, die Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Sie rechnet damit, dass Macron viel Widerspruch erleben wird: "Die außerparlamentarische Opposition wird sehr stark sein." Deshalb müsse Macron schnell Erfolge beim Wirtschaftswachstum und der Reduzierung der Arbeitslosigkeit vorweisen. Mit der angekündigten Arbeitsmarktreform allein werde ihm dies nicht gelingen.

Deshalb war es kein Zufall, dass Macron noch im Wahlkampf die "unerträglichen" deutschen Exportüberschüsse kritisierte und auf Ausgleich pochte. Maximal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung hält die EU für langfristig tragfähig. Mit einer Differenz zwischen Exporten und Importen in Höhe von 253 Milliarden Euro erreichte Deutschland voriges Jahr aber erneut beinahe neun Prozent.

Deutschland müsste sich damit nicht einmal schaden

Auch US-Präsident Donald Trump und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, stimmten zuletzt in die Kritik ein. Ein Mehr an öffentlichen Investitionen könnte den Kritikern zufolge den erwünschten Ausgleich schaffen. Wenn Bund und Länder damit kurz gesagt die Binnennachfrage stärken, würden auch die Importe steigen und könnten hoch verschuldete Euroländer wie etwa Frankreich ihre Haushalte wieder in Ordnung bringen. So jedenfalls die Hoffnung.

Deutschland müsste sich damit nicht einmal schaden. Im Gegenteil, wie Sebastian Dullien, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, erklärt: "Seit rund anderthalb Jahrzehnten investiert die öffentliche Hand in Deutschland weniger, als durch den Gebrauch der Infrastruktur abgenutzt wird. Mit anderen Worten: Unsere Schulen, Straßen und Brücken verfallen. Wegen der fehlenden Instandsetzung entspricht unsere öffentliche Infrastruktur inzwischen gerade einmal dem, was wir bereits Mitte der 1990er Jahre hatten – obwohl die Wirtschaftsleistung heute um ein Drittel größer ist. Wir versuchen, eine Volkswirtschaft für das 21. Jahrhundert mit der Infrastruktur der 1990er Jahre zu betreiben."

Ein ökonomisch reichlich kurzsichtiger Versuch, sagt Dullien. Denn in den Zeiten, die Unternehmer im Stau auf maroden Straßen und Brücken verbrächten, könnten sie eben keinen Kundenauftrag ausführen. "Kein Wunder, dass derzeit die gemessene Produktivität der deutschen Wirtschaft nur noch im Schneckentempo zulegt." Selbst nach den jüngsten Erhöhungen der Investitionsmittel im Bundeshaushalt 2017 machten diese gerade einmal die natürlich Abnutzung wett. "Wenn Deutschlands Wirtschaft in Zukunft weiter wachsen soll, dann muss auch der öffentliche Kapitalstock weiterwachsen."

Trotzdem reagieren Politik und Wirtschaft zurückhaltend. Nur wenige sind so offen für Veränderungen wie der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA), Anton Börner. Vor wenigen Tagen sprach er sich in Paris für "große europäische Investitionsprojekte" aus. "Wenn Sie anfangen, in dieser Kategorie zu denken, haben Sie auch das Problem der Exportüberschüsse nicht mehr. Dann sprechen wir nicht mehr über Investitionen von 100 Milliarden Euro, sondern über 1.000 oder auch 2.000 Milliarden Euro für unsere Kinder und Enkelkinder."