"Pablo, Pablo" rufen sie, die Fäuste in die Luft gereckt – "vamos presidente",  los geht’ s, Herr Ministerpräsident. In Valladolid, einer Großstadt nördlich von Madrid, bringen sich am Mittwochabend rund 2.000 Fans von Podemos-Chef Pablo Iglesias in Stimmung. Als der 37-jährige Linkspolitiker schließlich in die spießige, holzvertäfelte Veranstaltungshalle einzieht und sich zum Takt der Musik durch seine Fans tanzt, gibt es kein Halten mehr. "Remontada" brüllen die Podemos-Fans, was soviel wie "Aufholjagd" oder "Comeback" bedeutet. 

Eine runde ältere Frau packt den eher drahtigen Inglesias und umarmt ihn innig, er lässt es geschehen, vergräbt seinen Kopf auf ihrer Schulter, die Kameras klicken. Später wird eine Zuhörerin sagen: "Ich danke Dir, Pablo, dass Du mir wieder Hoffnung gegeben hast." Wahlkampf bei der neuen spanischen Linken, das ist definitiv auch fröhlich gelebter Personenkult.

Am Sonntag wird in Spanien ein neues Parlament gewählt. Und zuletzt waren sie bei Podemos eher in Sorge. Bei rund 14 bis 17 Prozent der Stimmen lag die Bewegung lange in den Umfragen, eigentlich ziemlich gut für eine Partei, die erst seit anderthalb Jahren existiert. Aber sie kam damit eben nur auf Platz vier. An der Spitze stehen die regierenden Konservativen, die aller Voraussicht nach die Wahlen gewinnen werden. Dahinter kommen Sozialisten (PSOE) und Ciudadanos ("Bürger"), eine neue liberale Partei, die wie Podemos die Korruption im Land beenden will, aber als wirtschaftsfreundlich gilt.

Rennen um Platz zwei

Jetzt wittern die "Pferdeschwänze", wie die Formation um den langhaarigen Iglesias auch genannt wird, Aufwind. Ausgerechnet die konservative Zeitung El Mundo veröffentlichte eine Umfrage, wonach Podemos deutlich aufgeholt hat und bei Werten um die 20 Prozent mehr oder minder gleich auf mit Ciudadanos und PSOE liegt. Auch andere demoskopische Erhebungen bestätigen den Trend, wenn auch nicht so deutlich. Das Rennen um Platz zwei ist eröffnet

In Valladolid tut der 37-jährige Iglesias natürlich trotzdem so, als ginge es hier um ein "Vorstellungsgespräch" für das Amt des Ministerpräsidenten. Die Anwesenden dürfen ihm Fragen stellen, die Antworten kritzelt Iglesias, der früher als Politikdozent an der Universität Madrid arbeitete, mit ernster Miene auf ein Whiteboard. Fast alle, die sich melden, sind in ihren Dreißigern und arbeitslos. Einer arbeitet halbtags und verdient dabei als Automechaniker 460 Euro im Monat. Schulden habe er und zwei Kinder zu ernähren, sagt er. 

Hier haben sich diejenigen versammelt, die nur bitter lachen können, wenn der konservative Regierungschef im Fernsehen das leichte Wirtschaftswachstum nach Jahren der Krise rühmt: Nach wie vor sind 50 Prozent der Spanier unter 25 Jahren ohne Job und die, die einen haben, müssen mit Zeitverträgen auskommen und verdienen wenig. María, 33 Jahre alt, erzählt, dass ihr Mann als Grafikdesigner manchmal nur für zwei Tage angestellt werde, die Fabrik, die ihn beauftrage, zahle dann vier Euro die Stunde.

Omas sollten Podemos wählen

Podemos richtet sich in seiner Wahlkampfabschlusskampagne nun auch ausdrücklich an die Familien der vielen jungen Auswanderer, die in Nordeuropa ihr Glück gesucht haben: Die Oma solle Podemos wählen, damit sie ihre Enkel nicht nur zu Weihnachten sehe, lautet einer der Slogans.

Podemos, das zeigen die Ausführungen von Iglesias an diesem Abend, ist eine klassisch linke Partei: Die Bewegung fordert einen Mindestlohn von 600 Euro und eine Mindestrente von bis zu 900 Euro. Zeitverträge sollen eingedämmt werden. Neue Arbeitsplätze sollen im Sektor der erneuerbaren Energien entstehen. Finanziert werden soll das alles durch eine Umverteilung von Steuereinnahmen und einen langsameren Abbau der Staatsverschuldung.

Die Bewegung profitiere davon, dass sie sich als wahre sozialdemokratische Alternative zur etablierten und angestaubten PSOE verkaufe, sagt José Ignacio Torreblanca, ein Madrider Politikprofessor, der die Europäische Union in Spanien-Fragen berät. Dabei hilft Iglesias, dass PSOE-Chef Pedro Sánchez am Montag im Fernsehen so aggressiv auf den  konservativen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy einredete, dass das Publikum sich abwandte.

Der Podemos-Chef hingegen gibt dem politischen Gegner in Diskussionen manchmal auch demonstrativ Recht. Iglesias – selbst Medienprofi und für seine gelassenen und gut informierten Fernsehauftritte viel gelobt – sagt in solchen TV-Momenten gerne, die Konkurrenten sollten aufhören verbal so übereinander herzufallen, das sei "nicht gut für die Gesundheit".