Deng Xiaoping wusste, was er wollte, und auch, was er nicht wollte. Mit seinem berühmt gewordenen "Frühlingssturm" – einer Reise in den Süden der Volksrepublik mit zahlreichen öffentlichen Auftritten Anfang des Jahres 1992 – kehrte er die Fronten im  Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) um. Er zwang das Land zurück auf seinen Kurs der Wirtschaftsreformen. Dem Vorbild Mao Zedongs folgend, nahm Deng schließlich das "Hauptquartier" – Peking – "von außen" ein: Er nutzte die Sonderwirtschaftszone Shenzhen als Startrampe. Der Widerstand gegen die Führung der KPCh, der am 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens eskaliertedas Tiananmen-Massaker –, hatte die radikalen Linken innerhalb der Partei darin bestärkt, den zehn Jahre zuvor eingeleiteten Reformprozess zu stoppen.

Dengs Reise in die Sonderwirtschaftszonen im Süden – man könnte es heute eine gelungene PR- und Marketing-Kampagne nennen – war sein taktischer Schachzug gegen die Reformgegner und für wirtschaftliche Liberalisierung. Er gewann und forcierte, ab 1992, die Marktreformen noch stärker. Ebenso allerdings die Unterdrückung und Verfolgung der Regimekritiker und Angehörigen der Demokratiebewegung. Deng machte der chinesischen Gesellschaft ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte: Wir, die Partei, geben euch Wohlstand, ihr gebt uns eure Freiheit.

1980 in Westdeutschland geboren, bin ich in einer sehr freien Gesellschaft aufgewachsen, in einer Demokratie, die zudem bereits die Früchte der 68er-Bewegung geerntet hatte. In Deutschland hatte diese Bewegung den Weg zu noch größerer politischer und gesellschaftlicher Freiheit geebnet (mit Blick auf China erscheint dabei heute kurios, dass in den Köpfen vieler junger Deutscher die Notwendigkeit einer Revolution gesehen – und ausgerechnet die Kulturrevolution in Mao Zedongs China zum Vorbild genommen wurde). Ein Zugewinn einer ganz anderen Art von Freiheit war der Fall der Mauer, am 9. November 1989, mit der nachfolgenden deutschen Einigung und der osteuropäischen Revolution. In fast zehn Jahren Wohnen und Leben in Peking habe ich gelernt, dass Tiananmen nicht nur eine Freiheitsbewegung war.

In den Protesten, die zum 4. Juni führten, kulminierte auch die Frustration des chinesischen Volkes mit der politischen Führung der Partei; den Repressionen, den wirtschaftlichen Rückschlägen und Inflation. Die Proteste auf dem Tiananmen-Platz und anderswo in China begannen mit dem Tod des in Ungnade gefallenen Generalsekretärs der KPCh, Hu Yaobang (15. April 1989), und der daran anschließenden Trauerkundgebung Tausender Pekinger Studenten. Dennoch, es war vor allem anderen die drängende Hoffnung auf Freiheit, die die jungen Menschen eine Freiheitsstatue auf dem Platz hat aufstellen, und die sie schließlich hat in den Tod gehen lassen. Freiheit oder nichts.

Ich habe in China auch gelernt, dass es verschiedene Arten von Freiheit gibt. In Peking genoss ich etwa die Freiheit, mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fahren zu können, ohne einen Strafzettel befürchten zu müssen. Oder eine Wohnung mieten zu können, ohne einen Stapel Papiere, inklusive polizeiliches Führungszeugnis, vorlegen zu müssen. Zurück in Deutschland dagegen kann ich auf Facebook ohne geheime technische Umwege über eine VPN-Verbindung (Virtual Private Network) zugreifen oder darf die Wiese im Park betreten. In China gibt es in einigen Bereichen noch anarchische Freiheit, und es gibt natürlich wirtschaftliche Freiheit. Das, was meine Existenz ausmacht, ist aber politische und gesellschaftliche Freiheit, im weitesten Sinne.