"Diese Konferenz wurde vom Brexit gekidnappt", rief Emma Bonino aus, die frühere italienische Außenministerin, als sie das Schlusswort sprach beim Jahrestreffen des European Council on Foreign Relations (ECFR). Als man gestern Mittag in Den Haag auseinanderging, sprach man sich gegenseitig Mut zu im Kreis dieser Proeuropäer, die normalerweise über Antworten diskutieren, die Europa auf die Probleme der Welt geben soll. Jetzt fanden sie sich inmitten einer hausgemachten Weltkrise wieder. Und stellten vor allem Fragen.

Natürlich richteten sich diese Fragen vor allem an die Briten in den Reihen des Council. Und diese erforschten in zwei langen Debatten ihr politisches Gewissen – selbst zutiefst verwundert und zugleich verletzt, zornig und demütig, zweifelnd und angriffslustig. In Rede und Gegenrede zogen sie die Bilanz verstörender Tage: "Wir sind draußen, das war's!" – "Nein, wir sind noch nicht draußen, das war's noch nicht!" Es war eine Diskussion, die dem Unterhaus zur Ehre gereicht hätte.

Malcolm Rifkind, Außenminister unter John Major und einer, der selbst für Remain gestimmt hatte, sah in dem Referendum "eine bemerkenswerte demokratische Übung". Im Gegenteil, schoss Mary Kaldor zurück, Professorin an der London School of Economics, die Entscheidung sei "auf Lügen gebaut" gewesen. Ähnlich sah es der Oxford-Historiker Timothy Garton Ash, der sich über den "zynischen Opportunismus" von Brexit-Anführer Boris Johnson entrüstete.

Klug analysierte Douglas Alexander, bis 2015 schottischer Labour-Abgeordneter, die Gründe für den Ausgang der Volksabstimmung. Er nannte drei: Den "wirtschaftlichen Zorn" jener, die sich im Wettbewerb abgehängt fühlen; die "kulturelle Angst" derer, die sich vor der Globalisierung fürchten; schließlich die "politische Entfremdung" derjenigen, die spüren, wie die Distanz zwischen ihnen und den Mächtigen in Politik und Wirtschaft immer weiter wächst.

In Großbritannien wird sich sehr viel ändern. Wie aber soll Resteuropa reagieren? Jedenfalls nicht, indem man herablassend auf jene blicke, die für den Austritt gestimmt hatten, warnte die ehemalige dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt. Für deren Ängste gebe es gute Gründe, und allzu leicht sei die Politik bisher über sie hinweggegangen. "Ich fühle mich schuldig", sagte die Sozialdemokratin.