Wer sich Gedanken über die eigene Zukunft machen will, muss sich zunächst seiner Vergangenheit vergewissern. Unter diesem Leitmotiv begann in dieser Woche eine Konferenz des European Council on Foreign Relations in Tokio über die Frage: Wie sehen die Asiaten ihre Zukunft?

Ein Redner setzte den Ton, als er den britischen Schriftsteller Aldous Huxley, Autor von Schöne neue Welt, zitierte: "Dass die Menschen nicht die Lehren der Geschichte ziehen, ist eine der wichtigen Lehren der Geschichte."

Für Asien trifft dies allemal zu. Im chinesischen Harbin wurde im Januar eine Gedenkstätte für Ahn Jung-geon enthüllt, einen Koreaner, der im Jahr 1909 auf dem Bahnhof der Stadt den japanischen Premierminister erschossen hatte, als Protest gegen Tokios Kolonialherrschaft auf der koreanischen Halbinsel.

In Japan gilt Ahn bis heute als Terrorist, der zu Recht mit dem Tode bestraft wurde. In Korea und China dagegen ist er ein Held. Die Gedenkstätte wurde auf Anregung von Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye errichtet, die Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für die Idee gewinnen konnte. Der böse Japaner: Darauf verständigen sich Chinesen und Koreaner schnell.

Allerdings machen die Japaner es ihnen ihrerseits auch leicht. Zu Weihnachten 2013, kurz vor der Eröffnung der Gedenkstätte, besuchte Premier Shinzo Abe den berüchtigten Yasukuni-Schrein in Tokio, in dem Japan seiner Kriegstoten gedenkt, darunter auch der von den Amerikanern nach Ende des Pazifischen Krieges hingerichteten Kriegsverbrecher. Sofort legten China und Südkorea scharfen Protest ein.

Japans Premier gegen Pazifismus

"In Asien wird die Geschichte benutzt, um mit ihr politisch zu punkten", hieß es auf der Konferenz des European Council. Tatsächlich sind die Territorialkonflikte zwischen Japan und China sowie zwischen Japan und Südkorea in den vergangenen Jahren wieder voll entbrannt, nachdem die umstrittenen Inseln im Ostchinesischen Meer zwischen den Nachbarstaaten lange kein Thema gewesen waren.

Premier Shinzo Abe, ein Nationalist von altem Schrot und Korn, möchte die Schatten der Vergangenheit vertreiben und Japan endlich wieder zu einem "normalen" Staat machen. Dazu gehören für ihn auch normale Streitkräfte. Nur hat Japan in seiner Nachkriegsverfassung dem Krieg als "souveränem Recht der Nation" für alle Zeiten abgeschworen. Abe sagt nun, es sei an der Zeit, Japans pazifistisches Grundgesetz "neu zu interpretieren".

Davon jedoch halten die meisten Japaner nichts. Nach einer aktuellen Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo lehnen 55,4 Prozent den Plan Abes ab, Japan das Recht zu "kollektiver Selbstverteidigung" zu geben, also auch an Auslandsmissionen teilzunehmen, die über rein humanitäre Einsätze hinausgehen.

Die Verfassung als "Bibel"

Regierungsnahe Sicherheitspolitiker nervt die unbeirrbare Friedfertigkeit ihrer Landsleute gewaltig. "Die Verfassung allein kann uns nicht verteidigen", heißt es. Viele Japaner hätten einen geradezu "religiösen Begriff" von der Verfassung, ihrer "Bibel".

Japans Konservative sträuben sich gegen ein "chinazentrisches Asien", das sie mit der wachsenden Macht des großen Nachbarn heraufziehen sehen. Wie einst Altkanzler Kurt-Georg Kiesinger warnen sie düster: "China! China! China!"

Der liberale Internationalismus, für den ein Premier, wie der im Jahr 2000 gestorbene Premierminister Keizo Obuchi stand, ist unter Shinzo Abe einem engen, ideologischen Nationalismus gewichen. Auch deshalb stehen in Asien die Zeichen auf Konfrontation.

Können die Asiaten von den Europäern lernen, von der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen oder Deutschen und Polen? In Europa brauchte es immerhin zwei Weltkriege, um Aldous Huxley zu widerlegen. Der Marshallplan war gewiss eine klügere Antwort auf die nationalsozialistischen Verbrechen Deutschlands als der Versailler Vertrag auf den preußischen Militarismus. Erst nachdem Europa zum zweiten Mal innerhalb einer Generation am Boden lag, zog es mit seinem Einigungswerk die Lehren aus der Geschichte.

Die EU imponiert Japan

Tot ist der Nationalismus deswegen noch lange nicht, das haben gerade die Wahlen zum Europaparlament gezeigt. Immerhin, die Europäische Union ist in Tokio mit einer eigenen Botschaft vertreten. Die nationalen Vertretungen sind zwar meist prächtiger, die britische etwa, direkte Nachbarin des Kaiserpalastes. Und doch spricht Europa fern von Brüssel (meist) mit einer Stimme.

Das imponiert den Japanern. Das Vorbild Europa verlöre allerdings einiges von seinem Glanz, sollten die Diplomaten Ihrer Majestät eines Tages die blaue Europafahne aus der Botschaft des stolzen Britanniens heraustragen müssen. Und öffnete dann nebenan vielleicht noch die neue Botschaft Schottlands ihre Pforten, dann wäre es wohl eine Weile vorbei mit der Bereitschaft, sich von den Europäern Ratschläge zum Thema Nationalismus und Aussöhnung geben zu lassen.