Wir leben in einem Zeitalter der Migration. Würden alle Menschen, die außerhalb ihres Geburtslandes leben, einen eigenen Staat bilden, so wäre dieser mit 244 Millionen Bürgern das fünftbevölkerungsreichste Land der Erde, hat Mark Leonard ausgerechnet, der Direktor des European Council on Foreign Relations.

Von diesen 244 Millionen leben nach UN-Angaben 76 Millionen in Europa, davon zwölf Millionen in Deutschland. Zählt man alle Menschen mit einem Migrationshintergrund (jene also, die seit 1949 selber eingewandert sind oder bei denen ein Elternteil aus dem Ausland kommt), so kommt man auf satte 16 Millionen. Das heißt: Jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik hat einen Migrationshintergrund.

Ein Problem war die Zuwanderung in unserer Nachkriegsgeschichte immer wieder: nach 1945, als zwölf Millionen Deutsche als Flüchtlinge oder Vertriebene aufgenommen werden mussten; zu Beginn der siebziger Jahre, als es um den Familiennachzug der türkischen Gastarbeiter ging; in den Achtzigern, als die Bundesregierungen einen anatolischen "Dammbruch" befürchtete, weil das aus dem Jahre 1964 stammende Assoziierungsabkommen den Türken ab 1. Dezember 1986 volle Freizügigkeit im EG-Raum versprach; und abermals in den Neunzigern, als sich über eine halbe Million Kriegsgeschädigte aus dem zerfallenden Jugoslawien zu uns flüchteten und Asyl begehrten.

Der Andrang von mehr als einer Million Flüchtlingen im vergangenen Jahr hat jetzt die alten Fragen wieder aufgeworfen. Können wir ihn verkraften? Schaffen wir das? Ist das Boot nicht voll? Droht uns gar eine "Umvolkung"?

Derlei Ängste vor Überfremdung, vor dem Verlust der Identität des eigenen Volkes, hat es in allen Zeiten gegeben, und nicht nur bei deutschen Blut-und-Boden-Fanatikern. "Warum", so jammerte Benjamin Franklin im Jahre 1751, "warum sollten wir dulden, dass die Bauernlümmel aus der Pfalz in unsere Siedlungen schwärmen und sich auf einem Haufen zusammendrängen, ihre Sprache und Sitten einführen, unsere aber ausschließen? Warum sollte Pennsylvania, das die Engländer gegründet haben, eine Kolonie von Fremdlingen werden, die bald so zahlreich sind, dass sie uns germanisieren, anstatt dass wir sie anglisieren?"

Franklin – Philosoph, Staatsmann, Verfasser lebenskluger Sinnsprüche und Erfinder das Blitzableiters – war kein Rassist, kein Unmensch, sondern ein Mann der Aufklärung. In seiner Klage verrät sich ein Instinkt, der dem Menschen offenbar unausrottbar eingefleischt ist: Er möchte am liebsten mit seinesgleichen unter sich bleiben, und wo er schon Fremde in seinen Lebenskreis lässt, sollen diese sich gefälligst der Sprache, der Kultur und der Werteordnung anpassen, die sie dort vorfinden.

Die Ängste, die Franklin angesichts der Bauern aus der Pfalz empfand, sie schlugen ganz genauso den nachfolgenden Einwanderungsbewegungen entgegen: erst Italienern und Osteuropäern, dann den Asiaten und neuerdings den Latinos. Und Mal um Mal wurde den Migranten die Tür vor der Nase zugeschlagen.