Deutsche Luftwaffe patrouilliert wieder über dem Baltikum

Am 1. September hat die Bundeswehr wieder die Luftraumüberwachung der Nato über den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen übernommen. Laut einem offiziellen Bericht der deutschen Luftwaffe werden vier bis sechs Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg im Rahmen des „Verstärkten Air Policing Baltikum“ eingesetzt. Auf dem estnischen Luftwaffenstützpunkt in Ämari haben sie am Donnerstag Eurofighter Typhoon der britischen Royal Air Force abgelöst. Im litauischen Siauilia haben vier Mirage-Kampfjets der französischen Luftwaffe ein portugiesisches Kontingent ersetzt.

Zeitgleich übt das sogenannte Deployable Control and Reporting Center (DRC), ein verlegefähiger Führungs-Gefechtsstand der Luftwaffe, erstmalig unter Einsatzbedingungen in Litauen. Mit einem eigenen und mehreren baltischen Radargeräten überwacht die Bundeswehr damit einen Teil des baltischen Luftraums. Die Übung ist Bestandteil der umfassenden Nato-Offensive Persistent Presence 2016. Während eines Besuchs bei den dort stationierten deutschen Truppen pries der lettische Generalleutnant Raimonds Graube im Beisein des Inspekteurs der Luftwaffe, Karl Müllner, den Einsatz als „hochwillkommen“ und „sehr geschätzt“.

Die Rückkehr deutscher Truppen nach Osteuropa ist Bestandteil der Kriegsvorbereitungen gegen Russland, die Anfang Juli auf dem Nato-Gipfel in Warschau beschlossen wurden. Dazu zählen u.a. die Entsendung vier zusätzlicher Bataillone mit jeweils mindestens 1000 Soldaten in die baltischen Staaten und Polen (Deutschland wird die Führung des Bataillons in Litauen übernehmen), der Aufbau eines Nato-Raketenabwehrsystems in Osteuropa und die weitere Verschiebung des mächtigsten Militärbündnisses der Welt in Richtung russische Grenze.

All diese Maßnahmen erhöhen die Gefahr eines direkten Konflikts mit der Atommacht Russland.

Auf einer gemeinsamen Presskonferenz mit dem estnischen Ministerpräsidenten Taavi Rõivas verpflichtete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 24. August in Tallinn, im Fall eines Konflikts mit Moskau den baltischen Staaten beizustehen. Sie erklärte: „Wir freuen uns, dass wir uns im Zusammenhang mit dem Air Policing entsprechend Artikel 5 des Nato-Vertrags gegenseitig Beistand leisten können. Wir haben die Beschlüsse in Warschau gemeinsam vertreten. Deutschland wird in Litauen Rahmennation sein. […] Ich denke, damit zeigen wir, dass wir im Verbund der Nato füreinander einstehen.“

Man muss Merkels Worte genau durchdenken. Artikel 5 des Nato-Vertrags legt fest, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere“ Parteien „als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird“ und „dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen … der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, … einschließlich der Anwendung von Waffengewalt“.

Falls also eine der von extrem rechten, antirussischen Parteien regierten baltischen Staaten einen Konflikt mit Russland provoziert, verpflichtet sich Deutschland, Krieg gegen Russland zu führen.

Als der amerikanische Vizepräsident Joseph Biden einen Tag nach Merkel in Lettland eine ähnliche Garantie abgab, stellten wir die Frage: „Wie würde ein Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland aussehen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Konflikt den Einsatz von Atomwaffen zur Folge hätte? Dabei müsste berücksichtigt werden, dass die USA auf ihrem Recht des ‚Erstschlags‘ mit Atomwaffen besteht und Russland erklärt hat, es werde auf Übergriffe auf sein Gebiet mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren, einschließlich dem Einsatz seines Atomwaffenarsenals. Wie viele Millionen Menschen in Russland, in den USA, Europa und darüber hinaus werden in einem derartigen Konflikt sterben?“

Eine öffentliche Antwort ist weder von Biden, Merkel oder den deutschen Medien und Thinktanks zu erwarten, die regelmäßig für ein härteres Vorgehen gegen Russland eintreten. Tatsächlich wissen die herrschenden Eliten aber genau um die potentiell katastrophalen Folgen ihrer rücksichtslosen Politik. So fordert etwa das „Konzept Zivile Verteidigung“, das Innenminister Thomas de Maizière vergangene Woche in Berlin vorgestellt hat, die Bevölkerung auf, sich auf Angriffe mit biologischen oder chemischen Waffen und sogar auf einen Atomkrieg vorzubereiten.

Das Papier ist parallel zum „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ entstanden, das eine massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Ausweitung von Auslandseinsätzen und eine von Deutschland dominierte europäische Außen- und Verteidigungspolitik vorsieht. Hatten bisher viele gedacht, es gehe bei der Rückkehr des deutschen Militarismus lediglich um eine Ausweitung der Militäreinsätze in Afrika und im Nahen und Mittleren Osten, wird nun deutlich, dass sich die Bundesregierung auf Kriege vorbereitet, die auch Deutschland und Europa in ein Schlachtfeld verwandeln können.

Vor allem seit dem britischen Ausscheiden aus der Europäischen Union treibt die Bundesregierung die Militarisierung des Kontinents aggressiv voran, um sich als Hegemon zu etablieren und die imperialistischen Interessen Deutschlands weltweit militärisch zu verfolgen. Bei ihrem Auftritt in Estland erklärte Merkel, man sei sich „einig, dass die Themen der inneren und der äußeren Sicherheit, des Kampfes gegen terroristische Bedrohungen eine gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union sind“ und dass man in diesen Bereichen „gemeinsam weiterarbeiten“ werde.

Auf die Frage nach „gemeinsamen Militärverbänden“ auch zwischen den osteuropäischen Staaten und Deutschland antwortete Merkel, man habe bereits „eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sowie zwischen Dänemark, Polen und Deutschland“. Für eine engere Zusammenarbeit mit weiteren osteuropäischen Staaten sehe sie keine prinzipiellen Hindernisse. „Angesichts dessen, wie das mit Polen läuft“, könne sie sich „keine großen ideologischen Barrieren vorstellen, die verhindern würden, dass man so etwas auch gemeinsam mit Estland machen kann“.

Der estnische Ministerpräsident pflichtete ihr bei. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz dankte er Merkel „persönlich dafür, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Führung Europas durch die Krise“ gespielt und den Kontinent „auch in den schwierigsten Augenblicken einig gehalten“ habe. In einer Zeit, „in der Europa an Krisen leidet und vor wichtigen Entscheidungen steht“, brauche man „ein Europa, das mehr wie Deutschland aussieht“.

Am vergangenen Wochenende sprachen sich dann auch die Regierungschefs von Ungarn und Tschechien beim Treffen der Visegrad-Staaten in Warschau, an dem auch Merkel teilnahm, für eine gemeinsame europäische Armee aus. „Wir müssen der Sicherheit Vorrang einräumen und den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee beginnen“, sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka forderte ebenfalls, über die Gründung einer europäischen Armee solle „eine Diskussion beginnen“.

Dabei ist klar, dass das von Berlin angestrebte Ziel einer von Deutschland dominierten Europäischen Armee die nationalen und politischen Gegensätze in Europa weiter verschärfen wird.

Im Juli warnte ein Strategiepapier des European Council on Foreign Relations, dass Deutschland „in Europa auf eine Abgrenzungs- und Verweigerungshaltung trifft“. Von „Gegenmachtbildung“ zu sprechen, scheine noch „verfrüht“, so der Autor. „Verließe Großbritannien jedoch die Europäische Union im Konflikt über die Austrittsbedingungen und zöge mit Marine Le Pen eine nationalpopulistische Präsidentin in den Élysée-Palast, könnte sich das rasch ändern.“ Die „Opposition gegen Deutschlands dominante Rolle in der Europäischen Union könnte dann unter mächtigeren Verbündeten wählen“.

Auch innerhalb der herrschenden Klasse Deutschlands nehmen die Spannungen über den außenpolitischen Kurs zu. Ein Flügel, der vor allem von Teilen der SPD und der Linkspartei und dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft angeführt wird, plädiert seit längerem für eine engere wirtschaftliche, politische und möglicherweise auch militärische Zusammenarbeit mit Moskau. Die europäische Arbeiterklasse muss allen Teilen der herrschenden Klasse und dem drohenden Rückfall des Kontinents in Nationalismus, Militarismus und Krieg ihr eigenes unabhängiges Programm entgegensetzen: Den Aufbau einer internationalen Bewegung gegen Krieg und Kapitalismus und die Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage.

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