Wandbild an der ehemaligen US-Botschaft: Hass auf Amerika gibt es in Iran schon lange Foto: Sebastian Erb

Europa und das Iranabkommen:Nicht zu retten?

Die USA zogen sich 2018 aus dem Nuklearabkommen mit Iran zurück, doch die EU wollte weiter Handel ermöglichen. Warum daraus nicht viel geworden ist.

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13.4.2020, 18:38  Uhr

Weltpolitik bedeutet für Sebastian Kerber vor allem eins: viele Formulare ausfüllen. Kerber ist Geschäftsführer einer Firma mit 20 Mitarbeitern. Sie warten und reparieren Antriebsmaschinen, die in Raffinerien laufen. „Es ist eine kleine Nische“, sagt er, „aber eine sehr lukrative“.Wenn eine dieser Maschinen ausfällt, steht die gesamte Anlage still. Das kostet mehrere Millionen Dollar am Tag, die Kunden zahlen für eine schnelle Reparatur dann jeden Preis.

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Seine Geschäfte macht Kerber „einmal um den Globus herum“, von China bis Argentinien. Von den Maschinen, auf deren Wartung sich seine Firma spezialisiert hat, sind Tausende auch im Iran im Einsatz – und da wird die Sache kompliziert.

Jede Maschine, die er zur Wartung von dort geliefert bekommt und wieder zurückschickt, alles, was ausgetauscht wird, jedes noch so kleine Ersatzteil muss er auf der Website des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle eingeben, um zu prüfen, ob es gegen Exportauflagen verstößt. So dürfen Bauteile nicht mit Graphit beschichtet sein, weil man dieses abkratzen und für Zentrifugen zur Urananreicherung nutzen könnte. Unterlegscheiben aus speziellen Kunststoffen könnten militärisch verwendet werden, sie brauchen eine extra Genehmigung.

Es ist Mitte März, Sebastian Kerber ist beruflich in Berlin. Die Stadt hat gerade ihre Museen geschlossen, man soll sich zur Begrüßung nicht mehr die Hand geben, sonst ist von der Corona­krise noch nicht viel zu spüren. Kerber sitzt vor einem vollen Frühstücksteller in einem Fünfsternehotel am Tiergarten und erzählt von Formularen, Zollnummern, Ausfuhrlisten und Nullbescheinigungen. Es ist ihm wichtig zu zeigen: Er hält sich an alle Regeln – an die deutschen und europäischen Ausfuhrbeschränkungen.

Sebastian Kerber heißt eigentlich anders. Mit seinem richtigen Namen möchte er nicht in die Öffentlichkeit treten, auch der Name seiner Firma und das Bundesland, in dem sie liegt, sollen nicht genannt werden. Geschäfte mit Iran gelten in der deutschen Wirtschaft als „toxisch“. Viele Unternehmen, die erfahren, dass ihr Geschäftspartner mit Iran handelt, ziehen sich sofort zurück.

Dabei versucht Kerber nur das umzusetzen, was Europa versprochen hat: Wenn ihr aufhört, an einer Atombombe zu bauen, ermöglichen wir euch freien Handel. Das war der Kern des Abkommens mit Teheran, das im Juni 2015 in Wien unterzeichnet wurde. Es galt als Meilenstein des Multilateralismus, neben Iran und den USA unterzeichneten es Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

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Doch von Beginn an gibt es heftige Kritik. Das iranische Regime unterdrückt brutal die Opposition, verfolgt eine aggressive Außenpolitik und droht Israel immer wieder mit Vernichtung. Wertet man es durch das Abkommen nicht auf und stützt die Hardliner? Die Verteidiger des Abkommens argumentieren pragmatisch: Die Vereinbarung sei nicht perfekt, aber das beste Instrument, um ein gefährliches Wettrüsten im Nahen Osten zu verhindern. Wenn Iran eine Atombombe bekäme, würde sich auch Saudi-Arabien eine beschaffen. Die Konflikte in der Region erhielten ein ganz neues Eskalationspotenzial. Mit unabsehbaren Folgen.

Zu den größten Gegnern des Abkommens zählt von Beginn an US-Präsident Donald Trump. Am 8. Mai 2018 gibt er mit einer kurzen Rede im Weißen Haus bekannt, dass die USA wieder austreten. Obwohl Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde zuvor bestätigt hatten, dass Iran sich an das Abkommen hält. Trump hasst die Vereinbarung, weil sie eines der wichtigsten Projekte seines Vorgängers Barack Obama war.

Europa antwortet auf Trumps Ankündigung geschlossen wie selten. Man werde das Abkommen retten, heißt es aus Brüssel, London, Paris und Berlin. Egal welche Sanktionen die USA wieder in Kraft setzten, Europa werde dagegenhalten, verspricht die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini: Wenn Iran sich an die Rüstungsbeschränkungen halte, dürfe es weiter Handel mit der EU treiben.

Im Herbst 2018 setzen die USA ihre alten Sanktionen wieder in Kraft und verschärfen sie weiter. Sie zielen vor allem darauf ab, Ölverkäufe zu verhindern und Iran vom internationalen Zahlungsverkehr abzuschneiden. Trump spricht von einer Politik des „maximalen Drucks“.

Was keiner offen sagt: Die Banken haben Angst vor den US-Sanktionen, auch wenn diese in der EU gar nicht gelten

Es braucht fast zwei Jahre, bis die EU den Auswirkungen der US-Sank­tio­nen etwas entgegensetzen kann. Am 31. März 2020 wird bekannt, dass erstmals medizinische Güter mittels der von Großbritannien, Frankreich und Deutschland gegründeten Zweckgesellschaft Instex nach Iran geliefert wurden. Weitere Transaktionen sollen folgen. Von einem ungehinderten Handel kann aber weiter keine Rede sein. Warum ist es für die EU so schwer, den Handel mit Iran aufrechtzuerhalten, wenn es doch politisch gewollt ist?

Sebastian Kerber kann viel darüber erzählen, was die US-Sanktionen für die deutsche Wirtschaft bedeuten. Im Herbst 2018 bekommt er einen Brief von seiner Bank, einer Sparkasse: Man müsse wegen der Irangeschäfte sein Geschäftskonto kündigen. Über einen Sparkassenverbund wird er an eine andere Sparkasse weitervermittelt, die 2018 noch Gelder aus Iran annimmt, 2019 will dann auch diese nicht mehr. Die Begründung ist immer die gleiche: Weil die Überprüfung der Exportauflagen für Iran so kompliziert sei, könne man das aus ökonomischen Gründen nicht leisten. Was keiner offen sagt: Die Banken haben Angst vor den US-Sanktionen, selbst wenn diese in der EU gar nicht gelten.

Auch kleinere Banken, die gar keine Geschäfte auf dem US-Markt machen, sind indirekt betroffen. Denn auch für sie ist es wichtig, mit Dollar handeln zu können, weil internationale Transaktionen meist in der US-Währung abgewickelt werden. Und für Dollartransaktionen braucht jede Bank ein Referenzkonto in den USA. Das US-Finanzministerium kann US-Banken aber anweisen, diese Referenzkonten zu schließen – was für ausländische Banken praktisch das Todesurteil bedeutet.

Sebastian Kerber fragt eine Bank nach der anderen, ob sie ihm helfen kann, alle erteilen ihm eine Absage. „Wenn ich weiter mit Iran Geschäfte machen will, muss ich irgendwie meine Ware dahinkriegen“, sagt er. „Das geht noch. Es gibt Speditionen, die noch dahin liefern. Aber mein Geld von dort landet zurzeit auf Konten in Dubai, weil deutsche Banken es nicht annehmen.“ Das Geld aus dem Emirat hierher zu überweisen, ohne seine ursprüngliche Herkunft offenzulegen, ist für Kerber keine Option. „Dann interessiert sich ja der deutsche Staatsanwalt wegen Geldwäsche dafür.“

Deutsche Firmen werben 2015 in Teheran, 2018 bricht das Geschäft ein Foto: Sebastian Erb

Kerber ist kein Weltverbesserer, kein Idealist, er ist Geschäftsmann. 20 Prozent seines Umsatzes hat seine Firma bisher mit Iran gemacht, darauf will er nicht verzichten. Etwas anderes spiele bei seiner Hartnäckigkeit aber auch mit hinein, fügt er hinzu: „Mein Trieb, mich aufzulehnen.“

Damit steht er aber ziemlich allein. Von Januar bis Oktober 2019 ging das Handelsvolumen mit Iran um 51 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf rund 1,4 Milliarden Euro zurück. Damit liegt Iran auf Platz 60 der deutschen Handelspartner im vergangenen Jahr – hinter Estland und Lettland. Die deutsche Wirtschaft hat sich nicht nur wegen der Banken weitgehend aus Iran zurückgezogen, sondern auch weil viele Unternehmen Nachteile für ihre US-Geschäfte befürchten. Politologen sprechen von „Overcompliance“ – von einem Übererfüllen der US-Regeln. Das macht es der EU so schwer, an dem Handelsversprechen festzuhalten. Selbst jene Bereiche, die von den US-Sanktionen ausgenommen sind – humanitäre Güter, medizinische Güter und Agrarprodukte –, werden blockiert, weil keine Gelder fließen können.

Allerdings gibt es eine Folie, vor der das Verhalten der deutschen Wirtschaft nicht übertrieben, sondern durchaus rational wirkt. Es sind die Erfahrungen mit US-Sanktionen aus den Jahren vor der Verabschiedung des Iranabkommens.

Plötzlich auf der schwarzen Liste

Ende Februar. Ulrich Wippermann hat ein französisches Café in Bonn-Bad Godesberg für ein Treffen vorgeschlagen, er wohnt um die Ecke. Es gibt Quiche, Salat, Mineralwasser und Espresso. Wippermann hat einen blauen Aktenordner mitgebracht. Er will erzählen, was es heißt, wenn man plötzlich auf einer Liste des Office of Foreign Assets Control steht. Das Ofac ist die Kontrollbehörde des US-Fi­nanz­minis­te­riums, es führt die Datenbanken, in denen Unternehmen und Personen gelistet werden, die gegen US-Sanktionen verstoßen haben. Die schwarzen Listen.

Wippermann schiebt einen Brief über den Tisch: „Schauen Sie, da hat Tchibo uns das Keksabo gekündigt.“ Ein Keksabo? „Ja, unsere Firma hatte 40 Leute, dazu noch die Kunden. Was denken Sie, was da in der Woche an Keksen gegessen wurde?“

Die Kündigung des Keksabos ist nur ein absurdes Beispiel von vielen. Die Telekom wollte Wippermann nach seiner Listung kein iPhone mehr zu seinem Handyvertrag geben, weil Apple dann die Lieferverträge hätte kündigen können. Und eine Spedition weigerte sich, ihm Gartenstühle zu liefern, die seine Mutter ihm zum Geburtstag gekauft hatte – weil er auf „einer amerikanischen Liste“ stehe. „Sie haben das Gefühl, dass da mit Nuklearwaffen auf Spatzen geschossen wird“, sagt Wippermann.

Er war Vorstandsmitglied der Deutschen Forfait, zuständig für Iran. Die Firma hatte sich darauf spezialisiert, deutschen Exporteuren gegen einen Abschlag ihre Forderungen abzukaufen, wenn diese ihre Produkte in Länder lieferten, deren Zahlungsmoral als unzuverlässig galt – sie sammelte dort dann das Geld ein. „Wir haben gezielt schwierige Länder gesucht, die kein anderer machen wollte“, sagt Wippermann. „Das schwierigste Land par excellence wurde ab 2008/09 Iran.“

Wenn man sich über die Deutsche Forfait umhört, sagen manche, ihre Margen seien teils unanständig hoch gewesen, sie hätten sich ihre Dienste sehr teuer bezahlen lassen. Wippermann sagt: „Wir haben gute Geschäfte gemacht.“

Am 6. Februar 2014 ist das vorbei. Er ist gerade in Brasilien im Urlaub, als ihn sein Sohn anruft. „Papa, du stehst auf der Ofac-Liste.“ Der Sohn hatte es am Morgen im Bonner General-Anzeiger gelesen. „Mir war klar, dass ich ruiniert war. Dass die Firma ruiniert war. Und dass ich da gar nichts machen konnte“, sagt Wippermann.

Bekannte gehen ihm aus dem Weg

Sowohl die Deutsche Forfait als auch er als Einzelperson werden vom Ofac gelistet. Die Firma, die er mitaufgebaut hat, trennt sich von ihm, um wieder von der Liste zu kommen. Die Banken kündigen all seine Privatkonten, nur ein Volksbank-Girokonto kann er behalten. Bekannte gehen ihm nun aus dem Weg. „Die Temperatur um einen herum fällt um 20 Grad“, sagt er.

Terrorfinanzierung lautet der Vorwurf des Ofac. Der Kontakt zu der US-Behörde läuft über eine amerikanische Anwaltskanzlei. Wippermann möchte wissen, was ihm genau vorgeworfen wird. Er bekommt einen Ofac-Bericht, dessen Seiten bis auf die ersten zwei fast durchgängig geschwärzt sind. „‚Da sehen Sie mal, wie schlimm das ist, was Sie gemacht haben‘, sagte man mir dazu.“

2014 regiert Barack Obama im Weißen Haus, die US- und EU-Sanktionen für Iran sind zu diesem Zeitpunkt noch im Einklang. Und seine Irangeschäfte hatte Wippermann regelmäßig von der Bundesbank überprüfen lassen, die für Deutschland die Einhaltung der Finanzsanktionen überwacht. Nun schickt die Bundesbank sechs Prüfer in das Büro der Deutschen Forfait. Sie durchleuchten wochenlang die Geschäftsbücher. Den Abschlussbericht der Bundesbank konnte die taz einsehen. Das Fazit: „Zahlungen oder Geschäfte, die aufgrund der … geltenden Embargobestimmungen verboten sind, wurden nicht festgestellt.“

Auch die deutsche Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte für Ermittlungen. Fünf Monate nachdem die Deutsche Forfait auf die Ofac-Liste kam, wird die Firma wieder runtergenommen. Ulrich Wippermann nicht. Er bleibt jemand, der nicht mehr in die USA reisen kann, der kein neues Bankkonto eröffnen kann, seine Gartenstühle nicht geliefert bekommt. Erst als das Iranabkommen im Januar 2016 offiziell in Kraft tritt, ist es auch bei ihm so weit. Mit dem Abkommen werden die Sanktionen aufgehoben, Wippermanns Name wird von der Ofac-Liste gelöscht.

Warum es ausgerechnet ihn getroffen hat? Er ist sicher, dass ein Exempel statuiert werden sollte. „An die großen Unternehmen hat man sich nicht rangetraut, deshalb hat man einen Mittelständler genommen, der in dem Bereich eine hohe Sichtbarkeit hatte.“

Donald Trump hält mit unbewegter Mine ein Dokument hoch.

Im Mai 2018 kündigt US-Präsident Donald Trump das Iranabkommen Foto: AP

Wippermanns Geschichte ist in Kreisen bekannt, die geschäftlich mit Iran zu tun haben. 2016 hatten die FAZ und das ARD-Magazin „Panorama“ über seinen Fall berichtet. Als 2018 die US-Sanktionen wieder in Kraft treten, setzt sich das Auswärtige Amt dafür ein, dass Wippermann nicht erneut auf der Ofac-Liste landet. Mit Erfolg.

Auf politischer Ebene ist nach dem US-Ausstieg aus dem Abkommen schnell klar, dass die Weigerung europäischer Banken, iranisches Geld anzunehmen, ein Haupthindernis für das Handelsversprechen ist. So fordert der deutsche Außenminister Heiko Maas bereits im August 2018 in einem Gastbeitrag im Handelsblatt, dass sich Europa im internationalen Zahlungsverkehr unabhängiger von den USA machen solle.

Deutschland, Frankreich und Großbritannien beschließen, eine Art Tauschhandel mit Iran aufzuziehen. Im Januar 2019 gründen sie die Zweckgesellschaft Instex, die Unternehmen ermöglichen soll, ohne Banken Geschäfte mit Iran abzuwickeln. Für Exporte soll Iran Gutschriften bei Instex kriegen, mit denen es europäische Produkte kaufen kann. Europäische Firmen sollen ihr Geld direkt von Instex bekommen.

Doch die erste Transaktion verzögert sich immer wieder: Die technischen Details der Zahlungsabwicklung sind komplizierter als gedacht, es gibt viele Personalwechsel – und die Ausstattung von Instex legt nahe, dass es der EU mit einer echten Alternative zum dollarbasierten Zahlungsverkehr dann doch nicht so ernst ist.

Jonathan Hackenbroich, Experte

„Aber es ist jetzt an der Zeit, sich zu wehren. Es kann nicht sein, dass über europäische Politik in Washington entschieden wird“

Außerdem soll sich Instex zunächst nur auf die Bereiche konzentrieren, die auch unter den US-Beschränkungen zum Handel freigegeben sind – humanitäre Hilfe, medizinische Güter und Agrarprodukte. Kritiker sprechen deshalb davon, dass Instex den USA noch helfe, ihre Sanktionen exakt umzusetzen.

Ende 2019 heißt es, Instex sei bereit, die ersten Geschäfte abzuwickeln, nun liege es an der iranischen Seite, dass dies nicht passiere. In Teheran wolle man der EU keine Erfolgsmeldung gönnen, weil der Frust tief sitze, dass der Ölexport, der große Geldbringer Irans, bei Instex ausgeklammert werde. Womit Iran stattdessen die europäischen Güter bezahlen soll, bleibt auch unklar. Ölexporte zu ermöglichen gilt von europäischer Seite aber offenbar als zu konfrontativ gegenüber den USA.

Im Zuge der Coronapandemie, die Iran besonders hart trifft, kommt es dann aber zu Bewegung – und nach mehr als einem Jahr Vorbereitung kann Instex sein erstes Geschäft abwickeln.

Das Abkommen ist eher tot als lebendig

Dass das Iranabkommen trotzdem eher tot als lebendig ist, liegt nicht nur an Instex, sondern auch an der Provokationsspirale zwischen Washington und Teheran. Iran lässt 2019 immer wieder schiitische Milizen US-Stützpunkte im Irak angreifen, Trump befiehlt als Reaktion, im Januar dieses Jahres den iranischen General Qasem Soleimani per Drohnenangriff zu töten. Zudem verstößt Iran seit dem US-Ausstieg 2018 stufenweise gegen die Auflagen zur Urananreicherung. Großbritannien, Frankreich und Deutschland lösen deshalb im Januar den sogenannten Streitbeilegungsmechanismus des Abkommens aus – nicht ohne zu betonen, dass man es weiter retten wolle.

Für die außenpolitischen Thinktanks in Berlin sind die US-Sanktionen ein wichtiges Thema. Von einer Rückkehr der Geoökonomie ist viel die Rede, davon, dass die wirtschaftliche Verflechtung zunehmend als Waffe im geopolitischen Kampf instrumentalisiert wird – und dass die EU trotz ihrer Wirtschaftskraft schlecht dafür gerüstet ist.

Einer dieser Thinktanks ist der European Council on Foreign Relations, der Büros in sieben europäischen Hauptstädten hat. Das Berliner Büro liegt im zweiten Stock eines Altbaus Unter den Linden, über der Hauptstadtrepräsentanz von Microsoft. Jonathan Hackenbroich bittet in einen Besprechungsraum mit einem langen Konferenztisch. Er beschäftigt sich mit US-Sekundärsanktionen, die nicht nur das sanktionierte Land treffen, sondern auch in anderen Ländern Wirkung entfalten. Er nennt sie „Streubomben“, weil sie jeden treffen können.

„Die wirtschaftlichen Kosten der Sanktionen waren für Deutschland bisher gering, weil der Handel mit Iran insgesamt ein kleiner Posten ist“, sagt er. Deshalb sei der Widerstand nicht heftiger ausgefallen. „Die außenpolitischen Kosten sind aber sehr groß – es geht um atomare Nichtverbreitungspolitik. Und um Regionalpolitik, in einer Region, die an unseren Kontinent grenzt, nicht an den der Amerikaner.“

Was Hackenbroich vor allem umtreibt, ist, dass das Iranabkommen als Präzedenzfall, wie die USA oder andere Großmächte ihren Willen gegen Europa durchsetzen können, herhalten muss. „Wir sehen dieses Verhalten jetzt auch im Bezug auf andere Länder.“ So gibt es im US-Kongress Bestrebungen, Sanktionen gegen Russland einzuführen, die die deutsche Wirtschaft härter als die Iransanktionen treffen würden.

Auf Trumps Zölle auf Stahl und Aluminium hat die EU mit Gegenzöllen auf Harley-Davidsons, Jeans und Whiskey reagiert. Das zeige, wie man sich gegen den amerikanischen Druck wehren könne, sagt Hackenbroich. Während über die Zölle Brüssel entscheidet, werden Sanktionen in der EU aber von den Mitgliedsstaaten verantwortet. Eigentlich bräuchte Europa ein Pendant zum Ofac, eine Behörde, die mit einer ähnlichen Schlagkraft EU-Sanktionen umsetzen – und so eine glaubhafte Drohkulisse aufbauen könnte, sagt Hackenbroich. Aber dafür bräuchte es eine Änderung der EU-Verträge. „Und dafür gibt es momentan keinen Konsens.“

Also was tun? Neben Gegen­sank­tionen auf nationaler Ebene müsste die internationale Rolle des Euro gestärkt werden, um nicht so vom Dollar abhängig zu sein. „Da kann man schon mal überlegen: Was braucht es, dass große europäische Firmen ihre Rechnungen in Drittländer nicht in Dollar, sondern in Euro überweisen?“

Deshalb sei es auch schade, dass die aktuelle Debatte über Eurobonds sich nicht mehr mit der internationalen Rolle des Euros beschäftige. „Eurobonds oder etwas Ähnliches bräuchten wir, um den Euro zu internationalisieren und Investoren eine sichere Anlage im Euro anzubieten.“ Er sei sicher nicht antiamerikanisch, fügt Hackenbroich noch hinzu, er habe viel Zeit in den USA verbracht: „Aber es ist jetzt an der Zeit, sich zu wehren. Es kann nicht sein, dass über europäische Politik in Washington entschieden wird.“

Die Recherche für diesen Text wurde ermöglicht durch ein Journalist-in-Residence-Stipendium des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).

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