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Ein Mann und viel Schatten: ÖVP-Chef Sebastian Kurz am Abend der Wahl.

© dpa

Nach der Wahl in Österreich: Warum die Deutschland-Vergleiche nichts taugen

Die ÖVP-Konservativen sind konservativer, die Grünen linker: Was Kurz' Siegeszug für Deutschland bedeutet - und was alles nicht. Ein Gastbeitrag.

Gustav C. Gressel ist Acting Director und Senior Fellow bei European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin.

Der klare Wahlsieg Sebastian Kurz – nach vorläufigem Ergebnis mit über 38 Prozent - bei der österreichischen Nationalratswahl am 29. September hat auch in Deutschland die Diskussion entfacht, ob sich eine konservative Partei in Europa nicht anders positionieren müsse als die Union, und welche Lehren die Wahl im Umgang mit „rechtspopulistischen“ Parteien gäbe. Dabei stoßen aber Analogien mit Deutschland schnell an ihre Grenzen.

Schon vor seinem Wahlsieg galten Sebastian Kurz in Deutschland die Jubelrufe all jener konservativer Kritiker, die sich eine Nachahmung seiner Politik in Berlin wünschen: gesellschaftskonservativ, stark auf Sicherheit und strenge Zuwanderungspolitik fokussiert. Was deutsche Kommentatoren vergessen ist, dass Österreich ein konservativeres Land ist – vergleichbar mit Bayern oder Sachsen, nicht aber mit dem deutschen Nordwesten. Nach Wählerstromanalysen rekrutierte sich der Zugewinn für Kurz überwiegend aus desillusionierten FPÖ-Wählern; Zugewinne oder Abflüsse ins linke Lager waren marginal. Das unterscheidet die ÖVP grundsätzlich von der Union, die ständig lavieren muss, am linken Rand nicht zu viel an die Grünen zu verlieren wie man am rechten von der AfD holen könnte. Im rechts-links polarisierten Österreich ist diese Sorge hinfällig.

Journalisten waren das Verhängnis der FPÖ

Entgegen der in Deutschland vorherrschenden Meinung hat die Regierungsbeteiligung der FPÖ kaum geschadet. Wähler beider ehemaliger Regierungsparteien bewerteten die Arbeit der letzten Regierung positiv. Investigativer Journalismus war es, was der FPÖ zum Verhängnis wurde. Und auch hier wird in Deutschland das falsche Ereignis diskutiert: die Ibiza-Affäre war für die FPÖ lange nicht so schädlich wie ein Spesenskandal, der erst relativ knapp vor der Wahl in die Öffentlichkeit gebracht wurde: Strache und andere FPÖ-Kader ließen sich Urlaubsreisen und private Bautätigkeiten von der Partei zahlen.

Die Zugewinne der Grünen würden eine Koalitionsregierung mit der ÖVP möglich machen. Aber auch hier gilt es vor übereilten Schlüssen zu warnen. So wie die ÖVP konservativer als die Union ist, sind die österreichischen Grünen weit linker als ihr bundesdeutsches Pendant: Kretschmers und Özdemirs sucht man vergebens. Es wäre für diese Partei schwer, ihr linkes Profil in einer Regierung mit der ÖVP zu schärfen. Dass Kurz seine Popularität einer strengen Haltung im Zuwanderungsfragen verdankt, dürfte auch für ihn das „Ausweichen“ in andere Agenden – Verwaltungsreform, Gesundheitsreform, zum Beispiel – erschweren.

Vergleichbar ist nur das Schicksal der Sozialdemokraten

Zu guter Letzt sitzen den Grünen auch der vergangene Abstieg aus dem Nationalrat im Nacken. Als „Wiedereinsteiger“ rangiert die Konsolidierung der eigenen Wählerschaft über der scheinbar verlockenden Regierungsbeteiligung. Aus ähnlichen Gründen bekam die FDP 2017 schon kalte Füße in den Jamaika-Verhandlungen. Die liberalen NEOS zu dieser Koalition hinzuzunehmen, würde diese Spannungen im Übrigen nur verstärken. Im Unterschied zur deutschen FDP sind die NEOS sowohl gesellschaftsliberal – stoßen sich also mit der ÖVP in Kurz Kernthema Zuwanderung – wie wirtschaftsliberal, verstärken also den Konflikt mit den Grünen in allen nicht-Zuwanderungsthemen.

Die einzige mit Deutschland vergleichbare Entwicklung ist der Abstieg der Sozialdemokraten: Als Milieupartei der Arbeiterklasse stirbt ihre Klientel aus. Und die Neuerfindung als linksintellektuelle Partei der urbanen Eliten gelingt den Grünen durchaus besser. Auch die Sozialdemokraten sind rechnerisch ein möglicher Koalitionspartner für Kurz. Jedoch dominiert in der Partei eine starke personenbezogene Antipathie (vergleichbar mit der gegen Wolfgang Schüssel, der auch die SPÖ aus der Macht drängte) – der Wahlsieger wird aber seinen eigenen Kopf kaum einer Koalition opfern.

Der Vorteil der FPÖ? Sie hat nicht viel Expertise

Mit wem soll Kurz nun koalieren? Die FPÖ hat eine Regierungsbeteiligung vorerst ausgeschlossen. Sie will sich personell und organisatorisch neu aufstellen. Das kann aber auch in den kommenden Monaten geschehen, in denen Kurz mühsame Sondierungsgespräche mit SPÖ und Grünen führt, und die ideologischen Differenzen und jeweils inakzeptable Kompromissangebote breit durch die Presse getragen werden. Eine Neuauflage von Türkis-Blau ist also keineswegs ausgeschlossen. Für Kurz ist die FPÖ nicht nur ideologisch der einfachere Partner. Der Partei fehlen in vielen Themengebieten schlichtweg Expertise und Interesse, die ÖVP könnte also ihre eigene Agenda ohne viel Widerstand durchsetzen.

Bis die Öffentlichkeit dies aber als akzeptabel empfindet, wird noch einiges Wasser die Donau hinunterfließen. Und bis dahin sind auch die deutschen Kolumnen, die Kurz zur Einhegung der FPÖ gratulierten, wieder vergessen. 

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