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Kompetenz spielte bei ihrer Auswahl eine untergeordnete Rolle - Catherine Ashton.

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EU-Außenminister: Von Zwergen und Giganten

In dieser Woche soll es sich entscheiden: Wer wird Nachfolger von Catherine Ashton, der Quasi-EU-Außenministerin? Ukraine, Nahost, Irak - die Personalie ist von höchster Relevanz. Ein Gastkommentar.

David Ogilvy, Werbe-Guru und erfolgreicher Unternehmer, rekrutierte seine Führungskräfte nach der Maxime „Wenn jeder von uns Leute einstellt, die kleiner als wir sind, werden wir ein Unternehmen von Zwergen sein. Aber wenn jeder von uns Leute einstellt, die größer sind als wir, dann werden wir ein Unternehmen von Giganten sein.“

Warum erinnert mich dies an die bevorstehende Bestimmung des nächsten EU-Außenministers Ende August? Liegt es daran, dass die EU eine Tradition von schwachen Berufungen hat oder im Gegenteil daran, dass sie in schwierigen Zeiten sehr wohl Giganten hervorbringen kann? An beidem.

Mit dem Lissabon-Vertrag wurde der Posten des Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik, des Quasi-EU-Außenministers, geschaffen. Dieser steht einem integrierten europäischen diplomatischen Dienst vor und ist Vizepräsident der Europäischen Kommission. Dies sollte die Antwort auf Henry Kissingers Frage sein, welche Nummer er denn in Europa bei außenpolitischen Fragen anrufen könne. Die EU wollte international die gewichtige Rolle spielen, die von ihr erwartet wurde und die sie sich nach einer langen Phase der Osterweiterung und internen Prozessoptimierung auch zutraute. Ein guter Anspruch.

Vor fünf Jahren musste ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden werden

Als erste EU-Außenministerin wurde 2009 die britische Politikerin Catherine Ashton berufen. Sie hatte bis dahin fast keine Erfahrung in außenpolitischen Angelegenheiten und war erst kurz vorher als Nachrückerin für den scheidenden Handelskommissar Peter Mandelson in die Europäische Kommission gekommen, ihr erster internationaler Job überhaupt.

Damals, 2009, war es den EU-Staatschefs wichtiger alle EU-Jobs so zu verteilen, dass jedes EU-Mitgliedsland einen Posten abbekam und Frauen besser repräsentiert waren als zuvor. Kompetenz spielte bei der Auswahl eine untergeordnete Rolle. Frau Ashton wurde in letzter Minute als kleinster gemeinsamer Nenner bestimmt. Sie selbst war genauso überrascht wie alle anderen, dass nun ausgerechnet sie die europäische Telefonnummer haben sollte, bei der Kissinger und die Welt anrufen sollte.

Zum Zeitpunkt ihrer Wahl 2009 war sie gewiss kein außenpolitischer Riese. Sie hatte damals weder die Autorität noch die Kompetenz, um mit Gegenspielern aus den USA, China, Russland und dem Iran auf Augenhöhe zu verhandeln. Frau Ashton hat hart gearbeitet und andere sollen beurteilen, ob sie am Ende ihrer Amtszeit mehr als ein außenpolitischer Zwerg ist; ein Gigant sicher nicht.

Europa steht vor neuen Krisen, die außenpolitische Lage ist brisant

Dass Europa auch anders rekrutieren kann, zeigte die Berufung von Mario Draghi zum Chef der Europäischen Zentralbank auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Draghi ist ein Mann mit Erfahrung, Kompetenz und langjährigen Kontakten in der europäischen Finanzwelt. Er hat die italienische Notenbank durch schwierige Zeiten geführt. In Berlin wurde er als ein preußischer Italiener bezeichnet, und zugleich in Italien geschätzt. In seinem Fall haben sich die Regierungschefs über nationales Proporzdenken hinweggesetzt und den fähigsten Kandidaten für den Job ausgesucht. In der Eurokrise ist der Italiener zum politischen Giganten geworden, zum Glück für Europa.

Im August 2014 ist die Finanzkrise noch nicht überstanden, aber Europa steht schon vor neuen Krisen. Die außenpolitische Lage ist so brisant, wie vielleicht seit den Balkankriegen Anfang der 90er Jahre nicht mehr. Russland hat Teile eines europäischen Nachbarn annektiert und schürt in der Ukraine den Bürgerkrieg. Die Spannungen zwischen Israel und der Hamas sind am Siedepunkt. Der brutale Vormarsch des „Islamischen Staates“ ist nicht nur ein Problem für den Irak, sondern kann die ganze Region infizieren. Der Iran bastelt weiter an seinem Nuklearprogramm und der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien treibt hundertausende Flüchtlinge nach Europa.

Europa braucht ein echtes politisches Schwergewicht

Wer wird in dieser angespannten Krisenlage der Mario Draghi für Europas Außenpolitik? Werden Europas Staatschefs auch hier die Größe haben, sich über nationales Proporzdenken hinwegzusetzen und einen Giganten mit außenpolitischer Erfahrung, Kompetenz, Verhandlungsgeschick und Charisma zum europäischen Außenminister zu machen? Menschen vom Schlage des Polen Radek Sikorski, der Italienerin Emma Bonino, des Britten David Miliband und des Deutschen Frank-Walter Steinmeier.

Deutschland kann jetzt eine ganze Menge tun, um seine in den Feuilletons so viel diskutierte neue Verantwortung in der Welt zu demonstrieren, und das ganz ohne neue militärische Einsätze zu beschließen.

Deutschland sollte Weitblick zeigen und sich Ende August für die Rekrutierung eines echten politischen Schwergewichts auf den Posten des EU-Außenministers einsetzen. 

Oder wollen wir eine Europäische Union der Zwerge, eine Europäische Zwergen Union, sein?

- Andre Wilkens leitet seit 2011 das ProjektZentrum Berlin der Stiftung Mercator und ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations.

André Wilkens

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