Gaspipeline South Stream:Russlands Direktleitung nach Sofia

Zur bulgarischen Regierung hat der Kreml beste Beziehungen. Das zeigt sich an der geplanten Gaspipeline South Stream. Sie ist volkswirtschaftlich sinnlos, doch sie macht viele reich.

Von Florian Hassel, Sofia

Es war eine erstaunliche Entscheidung, die Bulgariens Regierung im März zum Thema South Stream vorbereitete. Das ist die geplante Pipeline, durch die der Gazprom-Konzern russisches Erdgas durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und weiter durch Serbien, Ungarn und Slowenien nach Norditalien und Österreich bringen will, mit Abzweigen nach Griechenland, Kroatien und Bosnien. Schon im Sommer 2013 aber warnte die EU-Kommission Bulgarien und andere South-Stream-Länder, ihre Verträge widersprächen EU-Recht, weil Gazprom faktisch ein Monopol bekomme. Später warnte sie die Länder zweimal, sie müssten ihre Verträge neu aushandeln.

Bulgarien aber dachte nicht daran. Stattdessen versteckte die Regierung in einer geplanten Reform des Energiegesetzes eine Passage, die den Status des bulgarischen South-Stream-Teils umdefinieren sollte. Die Pipeline, so der Gesetzentwurf, sei eigentlich keine Pipeline, sondern nur ein Verbindungsstück, das als solches nicht EU-Recht unterliege. EU-Energiekommissar Günther Oettinger sah das anders und verlangte von Bulgariens Energieminister Ende März Aufklärung über die geplanten Änderungen.

Eine Antwort blieb aus. Stattdessen nahm das Parlament in Sofia die Lex South Stream am 4. April in erster Lesung an. "Bulgarien hat der EU demonstrativ den Finger gezeigt", sagt ein westlicher Diplomat in Sofia. "Dies wird Sofias Ruf nicht verbessern."

Schon zuvor tat sich Bulgarien wegen Korruption, der Unterschlagung von EU-Geldern und zögerlicher Reformen hervor, wie die EU Ende Januar feststellte. Nehme Bulgariens Parlament die Lex South Stream auch in zweiter und letzter Lesung an, werde die Kommission ein Verfahren gegen Bulgarien einleiten, sagt ein Diplomat.

Nach SZ-Informationen überlegt die EU, Sofia als ersten Schritt eine Strafe von täglich 8000 Euro aufzuerlegen. Das wären knapp drei Millionen Euro im Jahr, ein Betrag, den Bulgarien und erst recht der Gazprom-Konzern aus der Kaffeekasse zahlen.

Traditionell großer Einfluss

Und Gazprom - genauer: Russlands hinter ihm stehender Präsident Wladimir Putin - will die neue Pipeline "um jeden Preis durchsetzen, zu seinen Bedingungen", sagt Ognyan Minchev, Direktor des Instituts für regionale und internationale Studien. "South Stream ist immens teuer, und Bulgarien bekommt ohnehin ausreichend Erdgas über die Ukraine. Rein wirtschaftlich hat die Pipeline keinen Sinn. Aber für Putin ist South Stream ein geopolitisches Projekt, mit dem er die Ukraine ein für alle Mal als Transitland für russisches Gas ausschalten will. Nachdem Rumänien sich geweigert hat, an South Stream teilzunehmen, bleibt Putin nur Bulgarien."

Moskaus Einfluss beim ärmsten EU-Mitglied ist traditionell groß. Seit das Zarenreich mit einem Sieg gegen das Osmanische Reich Bulgarien zur Selbständigkeit verhalf, fühlen sich viele Bulgaren Russland verbunden. Zu Sowjetzeiten waren Sofias Kommunisten so moskautreu, dass Bulgarien als "16. Republik der Sowjetunion" galt. "Unsere Diplomaten und Militärs wurden in Moskau ausgebildet, der KGB hatte in Sofia Vertreter in allen wichtigen Ministerien und natürlich beste Kontakte zu unseren Geheimdiensten", so Minchev.

Russlands Freunde sitzen auch in der Staatsspitze

Nach dem Ende des Ostblocks sicherten sich in Sofia die zur Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) umgetauften Kommunisten und Geheimdienstler Filetstücke der Wirtschaft: ehemalige Staatsfabriken, Grundstücke, Handelslizenzen, Banken. Auch hier waren und sind oft Russen beteiligt. Bulgariens viertgrößte, rasch wachsende Bank KTB mit dem heute als mächtigster Oligarch Bulgariens geltenden Zvetan Vassilev ging aus einer sowjetischen Auslandsbank hervor. Der russische Lukoil-Konzern gebietet im Schwarzmeerhafen Burgas über die größte Erdölraffinerie Osteuropas und steht allein für knapp ein Zehntel der Wirtschaftsleistung und ein Viertel der bulgarischen Steuern.

Moskau sichert seine Interessen mit Freunden bis in die Staatsspitze ab. Bulgariens langjähriger Präsident Georgij Parwanow (zu sowjetischer Zeit Geheimdienstagent "Gotse") stritt bis 2012 in zehn Jahren als Präsident gleich für drei russische Milliardenprojekte: eine Ölpipeline von Burgas ins griechische Alexandropoulos, das Atomkraftwerk Belene - und South Stream.

Doch Bulgariens damaliger Regierungschef Boris Borisow kippte bis 2012 gleich zwei der von Putin persönlich beworbenen Projekte: erst die wirtschaftlich fragwürdige Pipeline, die Bulgariens Schwarzmeerküste und seinem Tourismus im Fall einer Havarie den Garaus gemacht hätte. Und dann das Atomkraftwerk Belene, ein energiepolitisch und ökologisch hoch umstrittenes, von Korruptionsvorwürfen umgebenes Projekt, dessen Kostenschätzungen schon vor dem Bau von einer auf zehn Milliarden Euro stiegen.

Gratulation zur Annexion der Krim

Doch nach wochenlangen Protesten gegen seine Regierung trat Borisow im Frühjahr 2013 zurück. In der heutigen, von den Ex-Kommunisten der BSP bestimmte Regierung sitzen wieder viele Freunde Moskaus, von Parteichef Sergej Stanischew bis zu Nikolaj Malinow, Chef der bulgarisch-russischen Freundschaftsgruppe, die 131 von 240 Parlamentariern vereint. Nach Moskaus Annexion der Krim gratulierte Malinow "allen rechtgläubigen Slawen zum Sieg im Dritten Krimkrieg". Zur gleichen Zeit winkte der Energieausschuss mit Malinov die Lex South Stream durch; wenige Tage später folgte das Parlament.

Der kremlfreundlichen Rhetorik zum Trotz haben in Bulgarien Großprojekte wie South Stream "wenig mit Liebe zu Russland zu tun, aber viel mit der Liebe für die an den Projekten hängenden Milliardensummen", sagt Dimitar Bechew vom Sofia-Büro des Europäischen Rates für Außenpolitik (ECFR). Allein zwischen Juli 2013 und Januar 2014 schnellten die Kostenschätzungen für den bulgarischen South-Stream-Teil um mehr als eine Milliarde Euro nach oben, auf mittlerweile knapp 4,2 Milliarden Euro. Fachleute in Sofia kalkulieren, dass mindestens eine Milliarde Euro der Bausumme für Korruption und Bestechungsgelder abgeht.

Energiespezialist Ilian Wassilew, langjähriger bulgarischer Botschafter in Moskau, hält diese Schätzung für zu niedrig. Er vergleicht: Die 475 Kilometer lange Opal-Pipeline, die russisches Erdgas von Lubmin an der Ostsee bis Brandov an der tschechischen Grenze bringt, kostet 1,2 Milliarden Euro. "Die für Bulgarien geplante Pipeline ist etwas länger, leistungsfähiger und aufwendiger und rechtfertigt einen höheren Preis", gibt Wassilew zu. "Aber gleich vier Mal mehr? Ich schätze, von der Bausumme sollen rund zwei Milliarden Euro abgezweigt werden."

Wer am South Stream-Bau teilnehmen wollte, musste schnell sein. "Die Ausschreibung wurde am Abend des 22. Dezember im Internet veröffentlicht, auf Russisch", sagt ein Diplomat in Sofia. "Schon am 10. Januar endete die Ausschreibungsfrist - bei einem Projekt von mehr als vier Milliarden Euro etwas ungewöhnlich", so der Diplomat trocken. Die mutmaßlichen Gewinner der Ausschreibung wurden bereits bekannt: Zu ihnen gehören auf der Sanktionsliste der USA stehende Putin-Freund und Multimilliardär Gennadij Timtschenko mit seinem Unternehmen Stroitransgas und vier bulgarische Subunternehmer - bis auf eine Ausnahme ohne Erfahrung beim Pipelinebau, dafür aber mit offenbar guten Kontakten.

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