Forum:Hört auf die Studenten!

Forum: Sebastian Dullien ist VWL-Professor der HTW Berlin und Sprecher des Netzwerks "Macroeconomics and Macroeconomic Policies".

Sebastian Dullien ist VWL-Professor der HTW Berlin und Sprecher des Netzwerks "Macroeconomics and Macroeconomic Policies".

(Foto: Lessin)

Der Verein für Socialpolitik lehnt mehr Pluralismus im VWL-Studium ab. Ein Fehler, findet Sebastian Dullien.

Von Sebastian Dullien

Nach Ausbruch der Finanzkrise 2008/09 sah es einen Moment lang so aus, als könnte es eine kleine Revolution in der deutschen Volkswirtschaftslehre geben. Aus dem Gefühl heraus, dass ihnen ihr Studium kaum Instrumente an die Hand gegeben hatte, die jüngste Krise zu verstehen, bildeten sich an vielen Universitäten Basisgruppen, die eine Reform des Lehrplans forderten.

So wünschten sich die Studenten mehr Pluralität, Dogmengeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie. Außerdem forderten sie Alternativen zu jenen makroökonomischen Modellen, die weder die Finanzkrise erklären, noch ihre Tiefe voraussagen konnten und wenig Sinnvolles zur Analyse der damals verabschiedeten Konjunkturpakete beitrugen. Michael Burda, von 2011 bis 2014 Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik (VfS), der Vereinigung deutscher Volkswirte, signalisierte zumindest Gesprächsbereitschaft.

Davon ist nichts mehr zu spüren. Die jetzige VfS-Vorsitzende Monika Schnitzer ließ in Interviews wissen, dass aus ihrer Sicht mit dem VWL-Studium in Deutschland alles in Ordnung sei. Bücher zur Wirtschafts- und Dogmengeschichte könnten die Studenten doch in ihrer Freizeit lesen. Im Lehrplan sei für so etwas kein Platz, da man sonst andere, wichtigere Inhalte streichen müsse. Am Ende des Studiums solle "ein Ökonom herauskommen, der Aussichten hat, einen Job zu finden".

Und der Nachwuchsbeauftragte des Vereins, Rüdiger Bachmann, ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, dass die modernen Mainstream-Modelle der Makroökonomie, die DSGE-Modelle (Dynamic Stochastic General Equilibrium), inzwischen jede fundamentale Kritik aufgegriffen hätten. In aktuellen Versionen würden nun Probleme der Banken und des Finanzsektors modelliert. Auch die Wirkung von Finanzpolitik werde nun besser abgebildet.

Bachmann zufolge ist dem Pluralismus in der Makroökonomie mit den überarbeiteten DSGE-Modellen Genüge getan. Weiteres Wissen über alternative Denkschulen oder gar die Lektüre von Texten, die Ideen und Argumente weitgehend ohne Mathematik präsentieren, bräuchten Studentinnen und Studenten nicht. Dies habe mit moderner Ökonomie nichts zu tun.

Es stimmt zwar, dass die neueste Generation der DSGE-Modelle nun sowohl einen, grob vereinfachten, Finanzsektor modellieren als auch realistischere Vorhersagen zur Wirkung massiver Kürzungen öffentlicher Ausgaben machen. Allerdings sind diese Veränderungen in die gängigen Standardmodelle erst nach Ausbruch der Finanz- und Euro-Krise integriert worden. Die in beiden Krisen von vielen Ökonomen verwendeten Versionen lieferten dagegen teils spektakuläre Fehlprognosen und Fehlempfehlungen. So basieren einige der Empfehlungen für massive Austeritätsprogramme in der Euro-Krise 2010/11 auf damals üblichen DSGE-Modellen, die, wie wir nun wissen, fälschlicherweise kaum negative Effekte und eine schnelle Wirtschaftserholung prognostizierten.

Natürlich ist es erfreulich, dass Volkswirte lernfähig genug sind, ihre Modelle im Nachhinein anzupassen. Nur: Für die Politik wäre es wichtig gewesen, wenn die Experten sich vorher mehr Gedanken über die Grenzen ihrer Erkenntnis gemacht hätten. Vielleicht hätte ein wenig mehr Wissen über die Geschichte der Bankenkrisen der 1920er geholfen, den Verlauf der Krise besser abzuschätzen. Vielleicht hätten Kenntnisse der überwiegend verbalen Theorie Hyman Minskys zu Finanzkrisen davon abgehalten, Finanzblasen in den Standardmodellen weitgehend zu ignorieren. Vielleicht hätte etwas mehr Wissen über traditionell keynesianische Argumentation und Empirie den Antrieb gebremst, eine massive Sparpolitik zu verschreiben. Und vielleicht hätte ein bisschen mehr Wissenschaftstheorie geholfen, die Grenzen der eigenen Modelle und des eigenen Wissens zu verstehen.

Doch was ist mit dem Argument, dass es im Wirtschaftsstudium einfach keinen Platz für Wirtschafts- und Dogmengeschichte oder Wissenschaftstheorie gebe, weil alles andere so ungemein wichtig sei? Ein normaler sechssemestriger Bachelor hat heute 20 bis 30 Module mit insgesamt 180 Kreditpunkten, wobei jeder Punkt für rund 30 Stunden Arbeitseinsatz der Studierenden steht. Ist es da wirklich plausibel, dass die Umwidmung von ein oder zwei Modulen oder vielleicht zehn Kreditpunkten in Richtung der Vorstellungen der Studenteninitiativen einen gravierenden Qualifikationsverlust der Absolventen zur Folge hätte? Zumal in vielen anderen Ländern bereits heute mehr von diesen Inhalten gelehrt wird, wie eine Erhebung der studentischen Pluralismus-Initiative jüngst hervorhob.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass in Großbritannien gerade die Notenbank, die Bank of England, eine Praxisferne der Vor-Krisen-VWL-Ausbildung monierte und Konferenzen zur Reform der Lehrpläne mitorganisierte. Wenn es um Jobs außerhalb der Universitäten geht, ist also mitnichten klar, dass die bisherige Studienstruktur ein Optimum darstellt.

Im internationalen Vergleich erscheint die deutsche Debatte erneut extrem engstirnig. In den USA waren es nicht Außenseitergruppen von Studierenden, die beißende Kritik an den makroökonomischen DSGE-Modellen formulierten, sondern Nobelpreisträger wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz. Auch von den neuen Varianten der Modelle scheinen diese Experten nicht überzeugt zu sein. Wäre es nicht angemessen, auch in Deutschland zumindest die Kritik an dieser Modellklasse zu lehren und mit den Studenten zu diskutieren?

In Großbritannien gibt es sogar eine Gruppe teils hochrangiger Ökonomen, die systematisch die Lehrpläne des Wirtschaftsstudiums überdacht haben. Das Ergebnis sind ein neues Lehrkonzept und zum Teil neue Lehrinhalte für die Grundausbildung der Ökonomen, die von einer Reihe Universitäten übernommen worden sind. Mit den Details waren dabei nicht alle zufrieden, aber der Prozess zeigt eine weit größere Offenheit der dortigen Ökonomenzunft. Die Royal Economic Society, das britische Pendant des VfS, brachte sich aktiv in die Debatte ein. In den Newslettern der Society kamen scharfe Kritiker des Mainstreams ebenso zu Wort wie Verfechter des Status quo. Eine solch offene Debatte sucht man in den Publikationen des Vereins für Socialpolitik vergeblich.

Natürlich überblicken die Studierenden nicht das ganze Feld der Volkswirtschaftslehre und können nicht im Detail entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Im Grundsatz aber ist ihre Kritik weiter durchaus berechtigt - und die pauschale Ablehnung durch die Granden der deutschen VWL absolut nicht gerechtfertigt.

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