Wege aus der Euro-Krise:Volles Risiko für Europa

Wäre Europa eine Bank, dann könnte man die giftigen Wertpapiere in eine Bad Bank stecken. Nur: Europa lässt sich nicht wegschließen, und es lässt sich auch nicht neu verpacken wie Wurstware. Wer Europa wieder attraktiv machen will, der muss etwas risikieren, der muss den Streit suchen. Zum Beispiel beim Haushalt. Oder beim Militär.

Stefan Kornelius

In der Wirtschaft wäre die Sache einfach: Wenn ein Unternehmen in der Krise steckt, wenn die Kunden weglaufen und die Angestellten neue Jobs suchen, dann hilft die Radikalkur. Dann wird der Name geändert, das Produkt neu verpackt, und die maroden Firmenteile werden geschlossen. Noch leichter war die Lösung für Banken in der Finanzkrise. Da wurden die giftigen Wertpapiere in eine Bad Bank gesteckt, und die alte Bank konnte von vorne anfangen.

Sculpture showing the Euro currency sign is seen in front of ECB headquarters in Frankfurt

Die Euro-Skulptur vor der EZB in Frankfurt: Nach Jahren der Krise wäre es schön, wenn man sich eine Auszeit von Europa nehmen könnte - doch Europa lässt sich nicht so einfach wegschließen wie giftige Wertpapiere in einer Bad Bank.

(Foto: REUTERS)

Im Falle Europas hätte man das auch gerne. Nach zwei Jahren Krise wäre es schön, wenn man sich eine Auszeit von Europa nehmen könnte. Schon die Erwähnung des Kontinents löst einen mentalen Ausschaltreflex aus. Also müsste dieses Europa weggeschlossen werden können, in der Hoffnung, dass es nach einiger Zeit wieder entgiftet ist und genießbar für den Verzehr.

Europa lässt sich aber nicht wegschließen, und es lässt sich auch nicht neu verpacken wie Wurstware oder Müller-Brot. Europa und sein politisches System sind einfach da. Und wenn den Bewohnern dieses wunderbaren Kontinents an ihrer Zukunft gelegen ist, dann sollten sie sich jetzt aufraffen und - wie ein Judoka - die Dynamik der Krise als Hebel benutzen, um die grassierende Lethargie und ihre Depression zu überwinden.

Das ist leicht gesagt und wird in diesen Tagen auch schnell aufs Papier geschrieben - zum Beispiel in all den Appellen der politischen Groß- und Altmeister und den Analysen der EU-Think-Tanks. Sie alle fordern "mehr Europa" und ein "tieferes Europa". Helmut Kohl, der sich wahrlich Verdienste um den Kontinent erworben hat, schreibt von "einem immer engeren Miteinander", von der Bedeutung Europas "für Frieden und Freiheit", als Hort der Stärke im globalen Wettbewerb.

Richtige, aber blutleere Worte

Das sind alles richtige Worte. Aber es sind auch blutleere Worte. Das europäische Pathos verfängt nicht mehr. All die Appelle und Beschwörungen sind viel zu schicksalsschwere Vokabeln, gemessen an der dünnen Kommuniqué-Suppe, die etwa der gerade beendete Gipfel produziert hat. Ein Fiskalpakt als wuchtige Antwort auf die Existenzkrise der Union? Das Missverhältnis ist kaum zu steigern.

Das Kabinett in Berlin hat gerade ein Konzept des Außenministers zur Europakommunikation zur Kenntnis genommen, das richtigerweise von einer "europäischen Prägephase" spricht. Was die Menschen heute in Europa erleben, wird ihr Bild vom Kontinent über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bestimmen (wobei es die Deutschen mit ihrer Lehnstuhlperspektive auf die Krise noch bequem haben).

Westerwelles Papier sagt viel Richtiges, vor allem ist es höchste Zeit, dass sich die deutsche Politik angesichts der seltsamen Lust an Hakenkreuz-Vergleichen besser erklärt bei ihren Nachbarn. Aber: Auch hier mündet die Analyse nicht in einer Strategie. Auch hier fehlt der Judoka-Hebel, der aus dem verzagten ein dynamisches Europa macht.

Wo also sind sie, die vielgepriesenen "Projekte", wo hat sich "mehr Europa" versteckt? Oder hat Europa seinen politischen Scheitelpunkt überschritten?

Technisch gesehen, gäbe es drei, vier Möglichkeiten, wie dieses Europa weitermachen könnte nach der Krise. Entweder versuchen sich die 27 Staaten an einem neuen Vertrag und erfinden politische Spielfelder, auf denen sie sich in Zukunft tummeln wollen.

[] Variante eins: Nicht alle 27 machen mit - das wäre dann das Europa der zwei Geschwindigkeiten, das es in Wahrheit schon lange gibt (beim Euro etwa), und das seinen Schrecken bereits seit einer Weile verloren hat. Zum Beispiel entwickelt die Vorstellung einer kleinen, schlagkräftigen Euro-Zone ohne die Problemkandidaten einen ungeheuren Charme.

[] Option zwei: Weiterwursteln wie bisher, indem der Rat, also der Kreis der Regierungschefs, immer neue Initiativen beschließt wie jetzt den Fiskalpakt. Dieser Kurs führt in unsichere Gewässer. Er umschifft zwar die Institutionen und befriedigt das Bedürfnis der Mehrheit nach klarer Führung. Aber so werden auch die demokratischen Strukturen Europas zerstört. Und Deutschland könnte als Hegemon des Augenblicks schnell seine Lust an der Führung verlieren, angesichts all der Anfeindungen.

[] Variante drei: Versuch's mal mit mehr Demokratie. Mark Leonard, einer der europäischen Vordenker vom Council on Foreign Relations, macht den pragmatischen Vorschlag, dass man zur Abwechslung auf Wahlen, Referenden oder nationale Austritts-Optionen setzen könnte. Gebt dem Volk, was dem Volk gehört - lasst es abstimmen. So könnte Europa genau das bekommen, was ihm am meisten fehlt: Legitimität und damit das Vertrauen der Bürger.

Nur mit wechselseitigem Vertrauen werden am Ende alle Nationalismen überwunden. Denn es ist immer noch der Nationalstaat, der zur Zeit am meisten Sicherheit verspricht. Risiken und Nebenwirkungen dieser Strategie: Möglicherweise tritt genau das Gegenteil ein und Europa erlebt einen nationalistischen Rückfall.

Europa ist kein Risikospielplatz, das ist sein größtes Problem. In der europäischen Politik gibt es in der Regel keine Verlierer, es sei denn, einer wie der Brite David Cameron stellt sich bewusst außerhalb des Konsenses, um zu Hause Beifall einzusammeln. Wenn Europa aber attraktiv werden will, dann braucht es den Streit. Risiko muss belohnt werden. Themen gäbe es dafür, sie berühren alle den Kern nationaler Souveränität.

Wer Europa weiterbringen will, der muss jetzt den Streit suchen. Etwa beim Haushaltsrecht. Warum kein Plan zur Zusammenlegung nationaler Haushalte? Was einst in Maastricht für den Euro beschlossen und in zehn Jahren umgesetzt wurde, kann auch in der Haushaltspolitik gelingen - bis hin zur Preisgabe der Budgetsouveränität inklusive Verfassungsänderung und Volksabstimmung darüber, wie es der Artikel 146 des deutschen Grundgesetzes vorsieht.

Das ultimative Signal für Europa

Beispiel Verteidigungspolitik: Nationale Armeen sind ein Anachronismus in Europa. Diese Streitkräfte sind zu teuer, sie sind redundant, viele Staaten unterhalten aus Etatzwängen nur noch Scheinarmeen. Eine Europäisierung scheitert an der Frage, wer Streitkräften den Einsatzbefehl geben darf, und zu welchem Anlass. Über Krieg und Frieden gebietet der Souverän. Aber muss das notwendigerweise der Nationalstaat sein? Könnte nicht auch ein europäischer Mechanismus für Krieg und Frieden gefunden werden? Er würde der gemeinsamen Außenpolitik schwer auf die Sprünge helfen.

Dies sind die Fragen, die an den Kernbestand des Nationalstaates rühren. Wer sie jetzt in der Krise nicht stellt, wird sie niemals stellen. Und wäre es nicht das ultimative Signal für Europa, wenn die Bundeskanzlerin, Symbolfigur nationaler Politik schlechthin, nach der Wahl 2013 ein europäisches Amt anstrebte? Wenn sie als Kommissionspräsidentin oder Kabinettschefin einer wirklich europäischen Regierung nach Brüssel wechselte und die nationale Bühne hinter sich ließe?

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