Studie:Kooperation ja, Integration nein

Ein Think Tank hat 11000 Europäerinnen und Europäer zur Corona-Krise befragt - auf den ersten Blick sind die Antworten widersprüchlich.

Von Francesca Polistina

Auf die Frage, was sie von der Europäischen Union in Zeiten der Corona-Krise halten, antworten die europäischen Bürgerinnen und Bürger auf den ersten Blick widersprüchlich. Sie erklären, dass die EU auf die Pandemie schlecht reagiert hat. Aber auch, dass für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten notwendig sei. Diese geforderte Zusammenarbeit soll sich in mehr Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten ausdrücken, nicht aber einen weiteren Schritt in Richtung Integration bedeutetn. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), die an diesem Mittwoch veröffentlicht wird und die der Süddeutschen Zeitung vorab vorlag. Der ECFR - eine Denkfabrik, die sich vor allem mit Themen der europäischen Außenpolitik beschäftigt - hat zwischen Ende April und Anfang Mai mehr als 11000 Menschen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden, Polen und Bulgarien befragen lassen. Das Fazit: die Corona-Krise hat bisher nicht zu einem Anstieg des nationalistischen Euroskeptizismus geführt - aber auch nicht zu mehr Föderalismus.

Schlechte Reaktion auf die Pandemie

Über eines sind sich die Befragten in allen Ländern einig: die EU hat angesichts der Corona-Krise nicht genug getan. Das ist vor allem in Italien die Wahrnehmung: im Land südlich der Alpen, das von der Pandemie besonders stark betroffen war, teilen diese Meinung 63 Prozent der Befragten - gleich danach kommen Frankreich (61 Prozent) und Spanien (52), ebenfalls Länder mit hohen Infektionszahlen. Eine positivere Meinung haben die Befragten hingegen in Deutschland und Schweden, das Gesamtbild aber bleibt düster: nur weniger als ein Viertel der Befragten glaubt, die Reaktion der EU auf das Coronavirus sei angemessen gewesen.

Kritisch in Frankreich, wohlgesinnt in Deutschland

Die Meinung über die eigenen Regierungen fällt bei den Befragten hingegen wohlwollender aus - wenn auch mit großen Unterschieden. So bezeichnen 71 Prozent der Franzosen die Leistung der eigenen Regierung als "schlecht", während in Deutschland 75 Prozent der Befragten sich positiv dazu äußern. Auch mehr als 70 Prozent der Interviewten in Schweden, wo die Infektionszahlen immer noch rasant steigen, betrachten die Leistung der Regierung als "gut" - die neuesten Zahlen des YouGov-Trackers lassen allerdings auch im skandinavischen Land einen sinkenden Konsens erblicken.

Kein Anstieg des Nationalismus

Die gute Nachricht: Covid-19 hat zu keinem Anstieg von nationalistischen und euroskeptischen Tendenzen geführt, wie zunächst vermutet. Fast zwei Drittel der Befragten sind der Auffassung, dass die EU-Länder miteinander mehr kooperieren sollten, etwa bei der Bekämpfung globaler Krisen. Insbesondere Südeuropäer verlangen eine engere Zusammenarbeit, während Nordeuropäer - darunter Deutsche - sich in dieser Hinsicht zurückhaltender zeigen. Kooperation bedeutet aber nicht automatisch Integration. Die Politologen Ivan Krastev und Mark Leonard, Autoren der Studie, betonen, dass "die Unterstützung für die EU nicht als Mandat für einen verstärkten Ausbau der Institutionen interpretiert werden sollte". So denken insbesondere Deutsche (23 Prozent) und Franzose (22), dass die EU-Integration - nämlich der Prozess der immer enger werdenden politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit - schon zu weit gegangen ist.

Es war einmal ein Freund

Klar ist: Die Corona-Krise hat die Sicht der Europäer auf den Rest der Welt verändert - und dem Ruf der beiden größten Wirtschaftspartner Europas, USA und China, deutlich geschadet. Besonders die Vereinigten Staaten, wo sich mittlerweile mehr als zwei Millionen Menschen infiziert haben, kommen schlecht weg: ihr Bild hat sich bei fast 60 Prozent der Befragten verschlechtert. Laut Krastev und Leonard ist der Einbruch des US-amerikanischen Images in den Augen vieler Europäer nicht nur ein weiterer Hinweis darauf, dass die Europäer sich gegen Trumps Außenpolitik aussprechen. Sondern auch ein Zeichen dafür, dass "viele Europäer aufgrund der Covid-19-Krise die USA als gebrochenen Hegemon betrachteten". Sogar die chinesische Regierung scheint trotz der vielen Vertuschungen ein besseres Ansehen zu genießen - insbesondere in Italien, wo immerhin 25 Prozent der Befragten die asiatische Wirtschaftsmacht als "nützlichen Verbündeten" bezeichnen.

Skepsis gegenüber den Experten

Christian Drosten, Alexander Kekulé, Hendrik Streeck sind nur einige der Experten, die durch die Corona-Krise bekannt geworden sind. Den Fachleuten gegenüber bleiben die Deutschen allerdings skeptisch: nur 44 Prozent der Befragten sagten, dass sie es im Zuge der Corona-Krise die Einschätzungen von Experten und Behörden als nützlich empfunden hätten. Viele Befragten fürchten einen zu engen Kontakt zwischen Regierung und Fachleuten. Aber auch in den anderen Ländern ist eine bestimmte Skepsis zu spüren: so haben insgesamt nur 35 Prozent der Europäer Vertrauen in Fachleute und Behörden.

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