Außenansicht:Sagt's den Briten!

Mark Leonard

Mark Leonard, 40, ist Direktor des European Council on Foreign Relations. Er wird hier übersetzt von Nikolaus Piper.

(Foto: oh)

Euroskepsis als Projekt der Eliten: Was der Rest Europas tun kann, um das Vereinigte Königreich in der EU zu halten.

Von Mark Leonard

Europa hat ein britisches Problem. Seit gut einem Jahr wird über die Möglichkeit eines Brexit diskutiert. Ministerpräsident David Cameron versprach, noch vor 2017 über die britische EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen. Was würde der Austritt Großbritanniens für den Rest der EU bedeuten? Und gibt es überhaupt etwas, das dieser Rest gegen einen Austritt der Briten tun kann?

Nach einem verbreiteten Vorurteil hat Britannien eine besonders euroskeptische Bevölkerung, die so schnell wie möglich die EU verlassen möchte. Tatsächlich jedoch unterscheidet sich die britische Öffentlichkeit nicht so sehr von der anderer Mitgliedstaaten: Auch nach einem Jahr intensiver Berichterstattung über Brexit halten nur 17 Prozent der Befragten Europa für ein wichtiges Thema. Anders sieht es im Establishment aus. Ein Drittel der Abgeordneten der regierenden Konservativen möchte die EU verlassen, und sie haben Sympathisanten in den Medien und in der Wirtschaft. Die britische Euroskepsis ist, einfach ausgedrückt, ein Elitenprojekt,

Der Geniestreich des euroskeptischen Teils der Elite lag darin, ihrem Projekt einen populistischen Anstrich zu geben. Das ist die Leistung von Nigel Farage, dem charismatischen Führer der UK Independence Party. Er reduzierte das Europa-Thema auf die Frage nach der Kontrolle der Grenzen, womit er die verbreitete Sorge vor der wachsenden Einwanderung ansprach. Diese Sorge wurde zum Teil dadurch genährt, dass die Regierung vorhergesagt hatte, nur 13 000 Osteuropäer würden nach der EU-Erweiterung kommen, tatsächlich ließen sich aber 1,5 Millionen nieder.

Doch gerade dieser Erfolg der Ukip hat die Führer der Mainstream-Parteien enger zusammengezwungen - sie sind jetzt pro-EU und pro-Reform. Farage hat Mainstream-Wähler so erschreckt, dass sie ihren Flirt mit Brexit noch einmal überdachten. Jüngste Umfragen zeigen, dass 45 Prozent in der EU bleiben und nur 35 Prozent austreten wollen - es ist der höchste Pro-EU-Anteil seit Jahren. Trotzdem wird ein Referendum für die Ja-Seite schwer werden, wie die Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands gezeigt hat. Die Euroskeptiker werden von anti-elitistischen Populisten geführt werden. Die Pro-Seite, wird - wie in Schottland - versuchen, eine Reform-Perspektive anzubieten und nicht nur den Status quo verteidigen.

In Wahrheit ist die verbreitete Euroskepsis ein Projekt der Eliten

Welche Sorgen müssen sich die anderen Mitglieder wegen eines Brexit machen? Einige glauben ja, dass der Austritt der Briten das größte Hindernis zu einer politischen Union beseitigen würde. Aber das ist kurzsichtig. Die britische Regierung hat sich inzwischen mit dem Gedanken versöhnt, in einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten auf der dritten Stufe zu bleiben - solange jedenfalls, wie der Binnenmarkt intakt bleibt. Es sind Gründungsmitglieder der Gemeinschaft, die die Integration bremsen. Präsident François Hollande hat klargemacht, dass er keine Vertragsänderung wünscht, er wehrte alle Versuche ab, bindende Vereinbarungen über Reformen einzuführen. Berlin widersetzte sich der Vergemeinschaftung von Risiken, verwässerte die Banken- und die Energieunion und blockierte die Fusion der Rüstungsgiganten EADS und BAE, die zu einer echten europäischen Verteidigungsindustrie hätte führen können.

Das Chaos nach einem Austritt der Briten könnte einen Kreislauf der Desintegration in Gang setzen, der andere Mitgliedstaaten ebenfalls zum Ausgang rennen lässt. Er würde ein hohes Maß an Unsicherheit für die 2,5 Millionen EU-Bürger aus anderen Staaten bringen, die in Britannien leben, ebenso wie für europäische Firmen, die hier investiert haben. Eine EU ohne Großbritannien wäre ärmer und kleiner, sie würde ein Sechstel ihres Bruttoinlandsprodukts und ihres Haushalts und ein Viertel der Verteidigungsausgaben verlieren. In einer Zeit, in der sich die Macht weltweit von West nach Ost verschiebt und die USA ihre Interessen neu ausbalancieren, sind Europas Chancen, auf der Weltbühne gehört zu werden, wesentlich besser, wenn Britannien im Team mitspielt.

Aber können die anderen Staaten überhaupt etwas tun? Offenkundig ist es Sache von Großbritanniens Pro-Europäern, ihre Landsleute zu überzeugen, aber andere EU-Länder könnten eine wichtige Rolle dabei spielen, einen Keil zwischen der pragmatischen britischen Öffentlichkeit und der europhoben Elite zu treiben. Sie sollten London ermutigen, nicht mehr nur nach Sonderregeln für sich zu suchen, sondern Partner bei einer EU-Reform zu werden.

Erstens sollten EU-Politiker daran arbeiten, den Link zwischen den Sorgen über Migration und der Euro-Skepsis zu brechen. Zwar leisten Migranten aus der EU netto einen positiven Fiskalbeitrag, trotzdem gibt es in einigen Gegenden ein Problem mit öffentlichen Dienstleistungen. Die EU sollte die Regeln über Sozialleistungen ändern und Regierungen dabei helfen, Ressourcen in Gegenden mit schnellem Bevölkerungswachstum zu verschieben. Ein sehr wirksamer Weg könnte ein EU-Migrations-Anpassungsfonds sein, an den sich lokale Behörden wegen Hilfe bei der Bereitstellung von Schulen, Gesundheitsdiensten und Wohnraum wenden können.

Zweitens sollten die anderen EU-Mitglieder Britannien selbst dann, wenn es sich selbst marginalisiert, in wichtige Debatten miteinbeziehen. Das betrifft die Außenpolitik, es betrifft auch Wirtschaftsfragen, wo die Gremien der Euro-Zone die britische Furcht nähren, aus der Entscheidungsfindung über den Binnenmarkt herausgeboxt zu werden. Alles was so aussieht, als sei das Vereinigte Königreich isoliert hilft den Euro-Skeptikern.

Schließlich sollten sich mehr Stimmen von außen zu Wort melden. Die Öffentlichkeit ist meist misstrauisch, wenn Politiker etwas sagen; sie hören aber zu, wenn der Arbeitgeber über die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit spricht. Wenn große Unternehmen - von Ikea über Findus bis zu BMW und der Deutschen Bank - Mitarbeitern, Wahlkreisabgeordneten und Lokalzeitungen ihre Bedenken sagen, werden die Kosten des Austritts konkreter.

Das nächste Jahr wird kritisch sein für die Europa-Debatte in Britannien. Die EU-Mitglieder sollten keine Mühen scheuen und das Land einbeziehen in die Suche nach konkreten Vorschlägen für eine Reform der EU. Auch wenn Labour die Wahl am 7. Mai gewinnen sollte, ist das für die übrigen EU-Staaten kein Grund aufzuatmen und zum business as usual zurückzukehren. Wenn sie nicht einige der Strukturfragen angehen, wird die Frage nach dem Brexit ihr hässliches Gesicht wieder zeigen. Die beste Antwort auf die britische Frage ist es, einer neuen Generation von Europäern zu zeigen, dass die EU die Antwort auf ihre Probleme im 21. Jahrhundert ist.

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