Narendra Modi:Handel und handeln

Indian PM Modi addresses the crowd during a community reception in San Jose, California

Indiens Premier Narendra Modi während seines zweiten USA-Besuchs.

(Foto: Stephen Lam/Reuters)

Indien will an der Seite der Großen in der Welt stehen. Die Regierung umgarnt deshalb Nachbarn und Freunde.

Von Stefan Kornelius, Delhi

Auf den indischen Bestseller-Listen stehen zur Zeit zwei Bücher ganz vorne, die alles über den Aufbruchs-Hunger des Landes aussagen: Chetan Bhagat, ein 41-jähriger Star-Autor, beantwortet auf Platz eins die Frage, wie man Indien "großartig" macht. Und der 44-jährige Sanjeev Sanyal, ein mit Preisen überhäufter Stratege und Ökonom, erklärt "die indische Renaissance", den Aufstieg des Landes "nach 1000 Jahren des Niedergangs". Beide Autoren sind Vorzeige-Gesichter einer selbstbewussten und aufgeklärten Generation, die nach der Führung im Land greift - und Ambitionen weit hinaus über die Grenzen Indiens entwickelt.

Indische Denker und Politiker haben schon immer ein Faible für das große Staaten-Spiel entwickelt und mit Lust über strategische Allianzen oder die Stärke Indiens als Vorzeigenation der Blockfreien philosophiert. Der Regierungswechsel hin zu Premier Narendra Modi hat nun eine außenpolitische Zeitenwende eingeläutet.

Modi belässt es nicht bei der Theorie. Der Premier und sein Führungskader aus der Hindu-Partei BJP haben ein operatives Ziel gesetzt: Indien will seinen Platz in der Welt ehrgeizig verbessern, es geht um einen Rolle an der Seite der ganz Großen. Hebel für alle Ambitionen sind die Wirtschaftskraft und das rasante Wachstum. "Außenpolitik ist ein zentrales Element der innenpolitischen Entwicklung", wie es Santosh Jha, der Planungsstabschef im Außenministerium ausdrückt.

Was Modi damit meint, lässt sich an seinem Reisekalender ablesen. Seit dem Amtsantritt im Mai 2014 hat er 29 Staaten besucht, darunter alle unmittelbaren Nachbarn Indiens und die wichtigsten Partner der Region - mit Ausnahme Pakistans. Das ist außergewöhnlich: In Bhutan, Nepal, Bangladesh oder Australien waren indische Premiers viele Jahre lang nicht aufgetaucht. Bemerkenswert auch die Choreografie: Brasilien, USA, Japan - es musste ein ganzes Jahr vergehen, ehe es zum ersten Treffen in China kam, dem weißen Elefanten der indischen Außenpolitik.

Modis Außenpolitik verfolgt zwei simple Ziele: Durch die ambitionierte Nachbarschaftspolitik soll Indien handelspolitisch aber auch sicherheitspolitisch fest verankert bleiben. Nur so kann Ziel Nummer zwei erfüllt werden: Absicherung gegen China. Die Rivalität der asiatischen Großmächte wird nicht thematisiert, wechselseitige Besuche und Handelsabkommen zeugen von scheinbar fruchtbaren Beziehungen. Aber im Stillen gärt Konkurrenz und Misstrauen.

Monströse Hafenbauprojekte Chinas im Golf von Bengalen und auch in Pakistan treiben die Sorge vor der militärischen Konkurrenz auf hoher See, die Indien zum natürlichen Partner anderer südostasiatischen Nationen mit ähnlichen Problemen macht. Dazu kommt ein zweites chinesisches Entwicklungsprojekt: der China-Pakistan-Wirtschaftskorridor, der eine Landverbindung zwischen der süd-östlichen Provinz Xingjiang mit der pakistanischen Hafenstadt Gwadar herstellen soll.

"Nach Osten schauen und im Osten handeln", heißt deshalb die neue Devise der indischen Außenpolitik, die den Aktionismus Modis erklärt, vor allem auch mit Indiens wichtigstem sicherheitspolitischen Partner, den USA. Bereits zwei Mal reiste Modi während seiner Amtszeit in die USA, Präsident Barack Obama beehrte Indien seinerseits mit einer Visite.

In Neu-Delhi fühlt man sich von moralischen Belehrungen aus Brüssel gegängelt

Gerade in Washington aber auch auf seinen Touren nach Europa zeigt Modi, mit welchem Dreiklang er die Welt von Indiens neuer Attraktivität überzeugen will: Wachstum, Kultur und Diaspora heißen die Schlagworte. Wachstum ist vergleichsweise einfach, es geht um Handel, Investitionen und um sicherheitspolitische Deals bis hin zu Rüstungsgeschäften. Hinter Kultur verbirgt sich eine Charmeoffensive, in der von Toleranz bis zu Yoga die sanften Werte Indiens gepriesen werden.

Schließlich besinnt sich Modi auf die große Zahl der im Ausland lebenden Inder, mit oder ohne Staatsbürgerschaft. In New York jubelten ihm Tausende zu, ebenso in London. Die indische Diaspora hat Einfluss, Geld und möglicherweise eine Wahlstimme - alles lässt sich zum Nutzen der Regierung Modi einsetzen.

Wenn die indische Politik nach Westen schaut, dann verdüstert sich freilich der Blick. Zwischen Pakistan und Westeuropa findet sich eine lange Kette instabiler oder nicht mehr existierender Staaten. Und mit der EU selbst verbindet der Subkontinent: nichts. Es gehört zu den wenig erklärbaren Absurditäten, dass die Europäische Union schlichtweg ignoriert wird - so wie Brüssel den Blick auf Indien verloren hat. "Zwei Systeme, die sich nicht verstehen und nicht in der Lage sind, miteinander zu reden", wie ein Modi-Berater abschätzig sagt. Die EU ist zwar Indiens größter Handelspartner, aber Politik und Geschäft werden nur über die Mitgliedsstaaten abgewickelt. Die Kommission findet keine Sprache, und die Regierung Modi fühlt sich gegängelt von moralischen Belehrungen aus Brüssel. Daran wird auch Kanzlerin Angela Merkel nichts ändern, wenn sie nun zwei Tage in Indien verhandelt. Die EU-Handelsbeziehungen stehen auch auf ihrer Agenda weit hinten.

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