EU:Polen und die Milliarden aus Brüssel

FILE PHOTO: EU leaders summit in Brussels

Auf Konfrontationskurs mit Brüssel: Polens Premierminister Mateusz Morawiecki.

(Foto: POOL/REUTERS)

Bis zur letzten Minute wird um das Budget gerungen, vor allem Budapest und Warschau lehnen das Vorhaben ab, die Auszahlung von Fördergeldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen.

Von Florian Hassel und Matthias Kolb, Belgrad/Brüssel

Mateusz Morawiecki ist sehr aktiv auf Facebook. Dort gratulierte Polens Premier am Donnerstagabend etwa den "Freunden aus der Slowakei und Ungarn" zur Qualifikation für die Fußball-EM 2021. Kurz zuvor hatte der Politiker der rechtsnationalen PiS-Partei jedoch einen Beitrag veröffentlicht, der brisant ist für ganz Europa.

Es geht um den Kompromiss, den die deutsche Ratspräsidentschaft und das Europaparlament zum EU-Budget bis 2027 sowie den Corona-Hilfstopf geschlossen haben. 1,84 Billionen Euro umfasst das Paket, dem noch alle 27 Mitglieder zustimmen müssen. Nachdem Ungarns Premier Viktor Orbán mit einem Veto droht, bewegt sich auch Polen in diese Richtung.

Auf der Suche nach dem Schlupfloch

Er sehe nicht die "Möglichkeit, dass der Haushalt vom polnischen Parlament ratifiziert" werde, wenn es "keine hinreichenden Garantien" dafür gebe, dass die Rechte der Mitgliedstaaten respektiert würden, schrieb Morawiecki am Montag an Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel.

EU-Diplomaten berichten, der Vertreter Polens habe sich am Mittwoch in der Sitzung der EU-Botschafter nicht der Vetodrohung Ungarns angeschlossen. Morawiecki suche ein "Schlupfloch", um zustimmen zu können und zugleich innenpolitisch nicht schwach zu erscheinen, lautet eine Interpretation. In seinem Brief kritisiert Morawiecki, dass in Artikel 7 des EU-Vertrags bereits ein Verfahren für Rechtsstaatsprobleme beschrieben sei. Der neue Mechanismus würde es ermöglichen, einem Mitglied die Fördergelder zu kürzen, wenn dort etwa die Unabhängigkeit der Gerichte verletzt würde. Für Morawiecki verstößt diese "willkürliche" Konditionalität gegen den EU-Vertrag und Absprachen der Staats- und Regierungschefs.

Manfred Weber nennt die Drohungen "etwas hohl"

Dies weist Staatsminister Michael Roth (SPD) zurück: "Spätestens seit dem europäischen Gipfeltreffen im Juli ist klar, dass es einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gibt." Als "etwas hohl" bezeichnet Manfred Weber (CSU) die Drohungen: "Die beiden Länder können jetzt schon ein Stück weit die Muskeln spielen lassen, aber am Ende des Tages brauchen sie die EU-Gelder."

Dies ist das Argument aller, die erwarten, dass Orbán und Morawiecki letztlich einknicken. Allein im Corona-Hilfstopf sind 23 Milliarden Euro für Polen und sechs Milliarden Euro für Ungarn vorgesehen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Über den EU-Haushalt erhält Polen weitere Subventionen von mindestens 125 Milliarden Euro. Zudem scheint fraglich zu sein, ob beide die Wut der EU-Partner auf sich ziehen wollen, wenn sie die Auszahlung der dringend nötigen Milliarden verzögern. Diese Blockade würde nicht so schnell vergessen werden.

"Fatal für die Zukunft der europäischen Integration"

Am Donnerstag redeten Merkel und Morawiecki per Videokonferenz, am Wochenende dürfte viel telefoniert werden. Die Zeit drängt: Am Montag sollen die EU-Botschafter über den Rechtsstaatsmechanismus sowie den Haushalt abstimmen. Für diesen ist ebenso Einstimmigkeit nötig wie für den "Eigenmittelbeschluss". Es gibt noch weitere Chancen, eine Lösung zu finden: Am Dienstag tagen die Europaminister, am Donnerstag die Staats- und Regierungschefs. In der virtuellen Sitzung sollte es eigentlich um die Pandemie gehen, doch womöglich erhält Morawiecki jene "Garantien", etwa durch ein Zusatzprotokoll, die er fürs heimische Publikum braucht. EU-Diplomaten sind sich einig: Der Hardliner ist Orbán, nicht Morawiecki.

In der Zeitung Rzeczpospolita nannte der Historiker Marek Cichocki, der der PiS nahesteht, die Kopplung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit "fatal für die Zukunft der europäischen Integration". Sie sei eine Rückkehr in die Neunzigerjahre, die auf "der Logik zwischen Patron und Klient" funktioniert und die Länder Mitteleuropas benachteiligt hätten. Analysten werteten Warschaus Politik als desaströs. Der neue Mechanismus wäre "ohne den Streit über die Unabhängigkeit der Gerichte überhaupt nicht zustande gekommen", sagte Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations. Er kritisierte in der Gazeta Wyborcza Jarosław Kaczyński, den Chef der PiS-Partei und mächtigsten Politiker Polens: "Es sieht so aus, als sei der große Stratege über die eigenen Beine gestolpert" und bereite dem Land "ein politisches Waterloo".

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