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IS auf dem Vormarsch Wird Libyen zur nächsten Islamisten-Hochburg?

Die IS-Terrormiliz hat in Libyen Fuß gefasst. In dem ölreichen Land herrscht Chaos wie in Syrien und im Irak. Nun könnte ausgerechnet Ägypten für die Miliz der Schlüssel zum Wachstum sein.

Anfang Februar twitterte die von Malta aus arbeitende US-Botschafterin für Libyen, Deborah Jones, eine simple Frage: "Kann ein gespaltenes Libyen dem Islamischen Staat standhalten?". Elf Tage später erhielt sie eine Antwort - von der Terrormiliz selbst.

Anhänger des Islamischen Staates (IS) in Libyen zeigten in einem Video die Enthauptung mehrerer christlicher Kopten aus Ägypten. Es soll sich um 21 vor wenigen Wochen entführte Gastarbeiter handeln. Der IS nannte seinen Film "Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes". Darin ist zu sehen, wie sich die Extremisten an einem Mittelmeerstrand aufbauen, gleich "südlich von Rom" heißt es.

Libyen ist vom Bürgerkrieg geschwächt

Der professionell gemachte Film gilt als erster Paukenschlag der libyschen IS-Zelle. Bereits Ende Oktober gründete sie sich im östlichen Derna. Seither haben sie die wichtige Hafenstadt Sirte erobert und sollen schon in Tripolis, Bengasi und einigen kleinen Städten Fuß gefasst haben. Der tatsächliche Einfluss der IS-Miliz in Libyen dürfte noch gering sein - doch die Anfänge weisen gefährliche Parallelen zum einstigen Aufstieg des IS im Irak und in Syrien auf.

"Es gibt im ganzen Land keine Autorität mehr", sagt Libyen-Beobachter Mattia Toaldo vom Think-Tank European Council on Foreign Relations. Das ermögliche dem IS, sich in dem vom Bürgerkrieg geschwächten Land festzusetzen.

In dem ölreichen Land kämpfen die Milizen zweier Regierungen gegeneinander. Eine international anerkannte Regierung tagt in Tobruk im Osten des Landes, eine islamistische Regierung sitzt in Tripolis im Westen. Der Kampf hat die staatlichen Strukturen zum Erliegen gebracht. Eine Grundversorgung der Menschen gibt es kaum noch, Grenzen können nicht mehr ausreichend bewacht werden. "Der Islamische Staat hat sich bereits zu Anschlägen in Tobruk wie in Tripolis bekannt", sagt Toaldo, "das zeigt uns, wie wenig Macht die Autoritäten noch haben."

Zerfallende Staaten nutzen dem IS

Seinen Aufstieg organisierte der IS einst im von der US-Invasion und einem blutigen Bürgerkrieg geschwächten Irak, den größten Zuwachs erfuhr er schließlich mit der Ausbreitung auf das ebenfalls im Krieg versunkene Syrien. An beiden Orten konnten sich die Dschihadisten ein schwächelndes Staatswesen zunutze machen - wie nun in Libyen.

Darüber hinaus baut die Miliz auf dschihadistische Basisarbeit. Nach Meinung des Washingtoner Libyen-Experten Andrew Engel inszeniert der IS in Libyen eine Rivalität unter den vielen im Konflikt kämpfenden Milizen. "Dieser Wettkampf scheint die Dynamik in Syrien und im Irak zu spiegeln", sagt Engel. Auch dort inszenierten sich IS-Anhänger als härter und brutaler als die anderen Kämpfer. Gegner wurden so entweder zu Verbündeten - oder schließlich vernichtet.

Einen wesentlichen Unterschied gibt es zu Libyen jedoch: Der sunnitische IS konnte in Syrien wie im Irak auf eine starke religiöse Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten bauen. In beiden Ländern wurden Sunniten von der Regierung klein gehalten, in Libyen fehlt diese konfessionelle Spaltung. Ausgerechnet Nachbarland Ägypten könnte nun unfreiwillig für eine Spaltung anderer Art sorgen.

Ägypten rasselt mit Säbeln

In Kairo regiert der einstige Armeegeneral Abdel Fattah al-Sisi. Um von inneren Problemen abzulenken und seinen Militärstaat auszubauen, schwor er sein Land auf einen harten Kampf gegen Islamisten ein. Im Sommer 2013 stürzte Al-Sisi den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, jede Opposition wird seither als "terroristisch" gebrandmarkt. 

Ähnlich verfährt der in Libyen für die Ost-Regierung kämpfende General Chalifa Haftar, meinen die Nahost-Analysten Wolfram Lacher und Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Erst durch Haftars militärischen Aktionismus habe sich die politische Landschaft in Libyen polarisiert. Haftar habe einen ähnlich "flexiblen" Feindesbegriff wie Al-Sisi in Ägypten.

Nach der Tötung der Kopten durch den libyschen IS-Ableger flog Kairo vergangene Woche Luftschläge gegen dessen mutmaßliche Stellungen im Land. Das Außenministerium sprach von gezielten Schlägen, Menschenrechtler berichteten von mindestens sechs getöteten Zivilisten. So hilft das Säbelrasseln Ägyptens und General Haftars letztlich nur dem Aufbau neuer Fronten im ohnehin zerrütteten Land. Und treibt die einst moderaten Gegner Haftars dem IS in die Arme.

Marc Röhlig/DPA DPA

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