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Angriffe auf saudi-arabische Ölanlagen Das Rätseln der Waffenexperten

Waren es tatsächlich Drohnen, mit denen die weltgrößte Ölraffinerie angegriffen wurde? Oder doch Marschflugkörper? Wer könnte sie abgefeuert haben? Und warum ließen sie sich nicht abfangen? Experten versuchen sich an Antworten.
Angriffe auf saudi-arabische Ölanlagen: Waren es tatsächlich Drohnen?

Angriffe auf saudi-arabische Ölanlagen: Waren es tatsächlich Drohnen?

Foto: Planet Labs Inc/ REUTERS

Wer sich mit Hightech beschäftigt, kann manchmal trotzdem von Lowtech profitieren. Zum Beispiel von einem Kompass. Nach den folgenschweren Angriffen auf die saudi-arabische Ölfabrik Abkaik hat die US-Regierung Satellitenfotos des Unternehmens DigitalGlobe veröffentlicht. Darauf sind die zerstörten Tanks und Anlagen in der weltgrößten Raffinerie zu sehen. Was auch immer dort eingeschlagen hat, so lässt sich erkennen, kam in etwa aus nordwestlicher Richtung.

Interessant ist diese Information, weil sie womöglich bei der Antwort auf gleich mehrere Fragen helfen kann: Waren es tatsächlich Drohnen, mit denen die Ölanlagen verwüstet wurden? Das nehmen die jemenitischen Huthi-Rebellen für sich in Anspruch. Oder kamen auch Marschflugkörper zum Einsatz, also auf ein bestimmtes Ziel programmierte Raketen, wie man es in der US-Regierung vermutet?

Und von wo wurden die Waffen losgeschickt, deren Einsatz fünf Prozent der weltweiten Ölkapazitäten für Wochen vom Markt genommen hat? Die saudi-arabische Produktion ist aktuell von zehn Millionen Barrel pro Tag auf rund fünf Millionen gesunken.

Die Huthis geben an, sie hätten die Waffen aus ihrem Herrschaftsbereich im Jemen gestartet oder womöglich gar von saudi-arabischem Territorium aus. Die US-Regierung glaubt dagegen, die Flugkörper seien aus dem Iran abgefeuert worden und droht Teheran mit Vergeltung. Zwischenzeitlich war auch über eine Attacke schiitischer Milizen von irakischem Hoheitsgebiet aus spekuliert worden. Die jeweiligen Regierungen weisen das vehement zurück. Ein angedachtes Treffen mit US-Präsident Donald Trump bei der Uno in New York hat der iranische Präsident Hassan Rohani auch deswegen abgesagt.

Die Frage, ob es Drohnen oder Marschflugkörper waren, ist allein schon begrifflich schwer zu beantworten. Was eine Drohne ist und was ein Marschflugkörper - selbst für Wissenschaftler ist die Abgrenzung nicht einfach.

Im Video: "Das kann die gesamte Region anzünden"

SPIEGEL ONLINE

"Drohnen sind normalerweise Trägersysteme, die eine Nutzlast von A nach B bringen können", sagt Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations in London dem SPIEGEL. "Und diese Nutzlast kann auch eine Waffe sein." Nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, sollten Drohnen im Prinzip in der Lage sein, ihren Weg fortzusetzen. Marschflugkörper können das dagegen nicht. Doch es gibt sogenannte Kamikaze-Drohnen, auch wenn Franke den Begriff nicht so recht mag, wie sie sagt. Diese Geräte werden bei einem Angriff vollständig zerstört.

"Bei optimalen Bedingungen könnte es vielleicht gerade so möglich sein"

Dass die Huthi-Rebellen über Drohnen verfügen, weiß die Welt unter anderem durch eine Uno-Expertengruppe. Diese rapportiert dem Sicherheitsrat regelmäßig, wie gut das Waffenembargo gegen den Jemen funktioniert. Und kurz gesagt, so richtig gut funktioniert es wohl nicht. Auf den Seiten 28 bis 31 des bisher letzten Berichts  finden sich Informationen zum Drohnenarsenal der Miliz. Es umfasst seit Mitte 2018 auch ein Gerät mit v-förmiger Heckflosse, das die Experten "UAV-X" nennen. Angetrieben wird es von Modellbaumotoren, womöglich aus Deutschland. GPS-Wegpunkte für den Flug lassen sich mit einer einfachen SD-Speicherkarte aufspielen.

Das Fluggerät ist 200 bis 250 Kilometer pro Stunde schnell und verfügt über eine Reichweite von 1200 bis 1500 Kilometern, je nach Windrichtung und -stärke. Eine neue, in dem Uno-Bericht noch nicht genannte Generation von Huthi-Drohnen, "Samad 3" genannt, erreiche die 1500-Kilometer-Marke wohl sogar noch etwas sicherer, sagt ein international anerkannter Waffenexperte, der seinen Namen aber nicht gedruckt sehen möchte, dem SPIEGEL. "Bei optimalen Bedingungen könnte es vielleicht gerade so möglich sein, Abkaik mit solchen Drohnen von jemenitischem Boden aus zu erreichen."

Die US-Regierung berichtet unter Berufung auf die Satellitenbilder von mindestens 17 Einschlägen in den Ölanlagen. Für die Huthis wäre der Start einer solchen "sehr komplexen" Operation, wie der Experte sagt, zumindest "bemerkenswert" - aber nicht ausgeschlossen. In jedem Fall wären die Waffen bei einem direkten Flug aus dem Jemen aber aus südlicher oder südwestlicher Richtung angeflogen. Theoretisch hätten sie vor dem Einschlag in ihr Ziel natürlich auch noch einmal die Richtung ändern können, um aus Nordwesten einzuschlagen. "Ist das wahrscheinlich?", fragt der Waffenexperte - und antwortet sich anschließend selbst: "Eher nicht."

Im Arsenal der Huthis gibt es auch Marschflugkörper. Auf ein Modell namens "Quds 1" ist die Miliz besonders stolz. Experten haben darauf hingewiesen, dass die Rakete große Ähnlichkeit mit dem in Iran entwickelten Marschflugkörper "Soumar" habe. Diese wiederum basiert auf dem Nachbau einer russischen Waffe namens "Kh-55", die sich die Regierung in Teheran Anfang des Jahrtausends illegal aus der Ukraine beschafft haben soll.

Fotos von angeblich abgestürzter Rakete

Nach dem Angriff auf Abkaik tauchte in den sozialen Medien ein Foto einer angeblich in der saudi-arabischen Wüste abgestürzten Rakete auf. Vorausgesetzt, das Bild der Trümmerstücke ist echt, lassen sich daraus einige interessante Schlüsse ziehen.

In einem detaillierten Blogbeitrag  zum Thema zeigt Fabian Hinz vom James Martin Center for Nonproliferation Studies im kalifornischen Monterey zunächst, dass es im Detail sehr wohl technische Unterschiede Zwischen der "Quds 1" und der "Soumar"-Rakete gibt. So verfüge die "Quds 1" über einen deutlich kleineren Durchmesser und werde von einem schwächeren, aus Tschechien stammenden Motor - oder einen Nachbau desselben - angetrieben.

Die Reichweite der "Soumar"-Rakete liegt nach iranischen Angaben bei 1350 Kilometer, die der "Quds 1" nach Hinz' Analyse dagegen deutlich darunter. Das Bild aus der saudi-arabischen Wüste, so der Forscher, zeige aber eindeutig diese kleinere Rakete. Und das wiederum heißt, dass es schwer bis unmöglich wäre, dass sie aus dem Jemen abgefeuert wurde. "Ich glaube nicht, dass der auf dem Bild zu erkennende Marschflugkörper die nötige Reichweite für einen Start aus dem Jemen hätte", sagt auch der Waffenexperte, der anonym bleiben möchte. Hinz Einschätzungen, so sagt er, teile er.

Angriff unter falscher Flagge?

Was da nun auf Abkaik und das Ölfeld Khurais abgeschossen wurde, ist noch unklar. Womöglich eine Kombination aus Drohnen und kleinen, relativ schwach motorisierten Marschflugkörpern, die nur vergleichsweise geringe Mengen an Sprengstoff transportieren konnten.

Ebenso unklar ist, wer die Waffen abgefeuert hat, auch wenn einige Indizien gegen die Huthi-Miliz im Jemen sprechen. Die US-Regierung macht den Iran verantwortlich, der dementiert. Denkbar wäre ein Start auch aus dem Irak, wo die Regierung ebenfalls jegliche Verantwortung von sich weist. In diesem Fall wäre der direkte Anflug der Waffen ungefähr aus Nordosten erfolgt. Auch das geben die Bilder aus Abkaik nicht ohne weiteres her.

Denkbar wäre theoretisch auch ein Angriff von einem Schiff aus. Oder aber eine Attacke gewissermaßen unter falscher Flagge, um die Tat beispielsweise der iranischen Führung in die Schuhe zu schieben. Ausgeschlossen sei das nicht, sagt der Experte, der ungenannt bleiben möchte. Aber allein wegen der großen Anzahl der eingesetzten Waffen, die allesamt illegal hätten beschafft werden müssen, halte er das für wenig wahrscheinlich.

"Keine funktionierende Verteidigung"

Oder war vielleicht alles doch nicht so kompliziert? Haben die Rebellen im Jemen das maximale aus ihren technischen Möglichkeiten herausgeholt? "Noch kann man nicht sicher ausschließen, dass die Huthis den Angriff durchgeführt haben", sagt Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München. "Vielleicht eben mit einem Waffensystem, das wir noch nicht kennen."

Warum aber ist es der saudi-arabischen Raketenabwehr eigentlich nicht gelungen, diese noch im Flug vom Himmel zu holen? Immerhin verfügt das Land über ein amerikanisches "Patriot"-Luftabwehrsystem. Allerdings war über dessen Wirksamkeit schon seit einiger Zeit diskutiert worden. Und auch in diesem Fall hat es nichts genutzt. "Die bisher noch nicht eindeutig identifizierten Flugkörper flogen offensichtlich zu niedrig für das Radar des Luftabwehrsystems", sagt Sauer.

Wenn ein angreifender Flugkörper erst wenige Kilometer vor dem Ziel entdeckt werde, sei es zu spät, noch eine "Patriot"-Abfangrakete abzufeuern, erklärt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg dem SPIEGEL. "Gegen Marschflugkörper oder gar Drohnen gibt es unter anderem wegen des flachen, landschaftsangepassten Anfluges keine funktionierende Verteidigung. Davor warnen wir in der Forschung schon seit Jahren."


Zusammengefasst: Waffenexperten halten es nach technischen Analysen nicht für ausgeschlossen, dass Huthi-Rebellen von jemenitischem Territorium tatsächlich Waffen auf saudi-arabische Ölanlagen abgefeuert haben. Es gibt aber zumindest Indizien, die solch ein Szenario etwas unwahrscheinlich erscheinen lassen. Ein eindeutiger Ursprung der Attacken lässt sich derzeit noch nicht erkennen. Die USA beschuldigen Iran, die Regierung in Teheran dementiert.