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Szenarien für die Krim Sanktionen, Chaos, Krieg

Die Ukraine droht zu zerreißen, die Krim könnte sich schon bald abspalten. Setzt Kiew dann Truppen in Marsch? Wie reagiert Moskau? Und was kann der Westen bewirken? Sechs Szenarien.
Szenarien für die Krim: Sanktionen, Chaos, Krieg

Szenarien für die Krim: Sanktionen, Chaos, Krieg

Foto: VASILY FEDOSENKO/ REUTERS

Die nur von Russland anerkannte neue Krim-Regierung hat das geplante Referendum vorgezogen. Die Bevölkerung der Halbinsel soll schon am 16. März darüber entscheiden, ob die Krim Teil der Ukraine bleiben oder Russland beitreten soll. Die Übergangsregierung in Kiew hält das Referendum für illegal. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnt, mit der übereilten Volksabstimmung werde "Öl ins Feuer gegossen".

Droht eine Eskalation? Sechs Szenarien für die Krim-Krise.

1. Annexion: Beginn eines neuen Kalten Kriegs

Russlands Parlament hat der Krim Unterstützung zugesagt, sollte sich eine Mehrheit bei dem Referendum für einen Beitritt aussprechen. Die Mehrheit der Krim-Bevölkerung hofft seit langem auf einen Beitritt zu Russland. Alles andere als eine klare Mehrheit am 16. März wäre daher eine Überraschung.

Wie hoch die Zustimmung im Endeffekt auch tatsächlich ausfallen mag: International wird die Abstimmung keine Anerkennung finden. Zum einen ist im besten Falle strittig, ob sich ein Landesteil ohne Zustimmung oder zumindest Konsultationen mit der Zentralregierung abspalten kann. Der Kosovo hat sich zwar ebenfalls von Serbien abgespalten, allerdings ging dem ein blutiger Krieg voraus.

Zweifelhaft bleibt auch, ob die Abstimmung frei und fair abläuft. Das Referendum war erst für den 25. Mai geplant, wurde dann aber mehrfach vorgezogen. Die Zentralregierung in Kiew hat keinerlei Möglichkeit, für ein Verbleiben der Krim in der Ukraine zu werben.

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Machtkampf um die Ukraine: Ringen um die Krim

Foto: VASILY FEDOSENKO/ REUTERS

Das Referendum findet praktisch unter den Gewehrläufen russischer Militärs statt. Gegner eines Beitritts zu Russland werden entweder den Urnen fernbleiben oder aus Furcht vor Repressionen zustimmen. Die Krim-Tataren prüfen einen Boykott des aus ihrer Sicht überstürzten Referendums.

Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie-Center hält es für das wahrscheinlichste Szenario, dass Moskau sich die Krim vollständig einverleibt. Anders als die von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien "fühlt sich die Krim klar russisch".

Der Westen dürfte dann deutlich schärfere Sanktionen als bislang diskutieren. Russland könnte aus den G8 geworfen werden, die Zusammenarbeit mit Moskau würde auf ein Minimum heruntergefahren. Das wäre der Beginn einer neuen Eiszeit, die Erinnerungen wecken wird an den Kalten Krieg.


2. Ukrainischer Gegenschlag: Der Weg ins Chaos

Die Übergangsregierung in Kiew hat die Mobilisierung der Armee verkündet. Kiew hat formal 160.000 Mann unter Waffen und verfügt auf dem Papier über rund 4000 Panzer. Allerdings gibt es große Zweifel an der Einsatzfähigkeit der ukrainischen Armee.

Unklar ist die Lage der ukrainischen Truppenteile auf der Krim. Einerseits verweigern dort noch immer Einheiten die Kapitulation. Doch die ukrainischen Soldaten sind extrem schlecht ausgerüstet, viele Soldaten demoralisiert, weil sie keinen Ausweg sehen.

Sollten ukrainische Soldaten Schüsse abgeben auf russische Soldaten, droht dem Land ein Blutbad. Die ukrainischen Verbände sind Moskaus Truppen hoffnungslos unterlegen.


3. Flächenbrand: Russland rückt in weitere Landesteile vor

Prorussische Demonstrationen haben in der vergangenen Woche den Süden und Osten der Ukraine erfasst. Auf öffentlichen Gebäuden wurden russische Fahnen gehisst. Die Regionen im Osten (Donezk, Charkow) und im Süden (Odessa) unterscheiden sich wirtschaftlich und kulturell stark von den Hochburgen der Maidan-Revolution in der Westukraine.

Hardliner in Moskau fordern, Russlands Armee sollte auch in diesen Gebieten intervenieren, zum Schutz der russischen Bevölkerung. Der Krim-Konflikt würde sich zu einem Flächenbrand ausweiten.

Sehr wahrscheinlich ist dieses Szenario allerdings nicht. Der Süden und Osten der Ukraine unterscheidet sich zwar stark vom Westteil des Landes, hat aber auch mit der Krim wenig gemein. "Der Widerstand gegen Moskau wäre viel größer", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations. Während auf der Schwarzmeer-Halbinsel 60 Prozent Russen leben, stellen Ukrainer in Donezk, Charkow und Odessa zumindest eine knappe Mehrheit. Im Falle eines Einmarschs der Russen bliebe Kiew keine andere Wahl, als das eigene Militär in Stellung zu bringen. Zugleich würden paramilitärische Nationalistentrupps mobil machen für den Kampf gegen die Russen.


4. Autonomie für den Osten: "Föderalisierung" der Ukraine

Mit einer Militärintervention in der Ostukraine könnte sich Russland auch wirtschaftlich leicht überheben. Wahrscheinlicher ist, dass Moskau weiter Pläne für eine "Föderalisierung" des Landes voran treibt. Die stärker russisch geprägten Regionen im Osten und Süden wären weiter Teil der Ukraine, genössen aber weitreichende Autonomierechte. "Russland könnte dann versuchen, zumindest Teile der Ostukraine in die von Moskau geführte Zollunion zu integrieren", sagt Meister. Die Zollunion ist das geopolitische Prestigeprojekt von Präsident Wladimir Putin.


5. Scharfe Sanktionen: Russland gibt nach

Der Westen hat bislang nur kosmetische Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt. Das könnte sich ändern. "Ich rechne damit, dass die USA hart zuschlagen werden", sagt Carnegie-Mann Trenin.

Russlands Staatshaushalt ist extrem abhängig von Einnahmen aus Rohstoffexporten. Moskau könnte sich aus der Krim zurückziehen, wenn es einen zu hohen Preis für die Halbinsel zahlen muss. Moskau könnte sich dann gezwungen sehen, internationale Beobachter auf der Krim zuzulassen und internationale Verhandlungen aufzunehmen.

Wahrscheinlich ist das aber nicht. "Die EU wird sich niemals auf einen Stopp von Öl- und Gasimporten einigen, weil sie sich damit selbst ins eigene Fleisch schneidet", sagt Russland-Experte Meister.


6. Protektorat Krim: Der Stachel im Fleisch der Ukraine

Russland könnte - das Referendum vom 16. März hin oder her - vor einer offiziellen Annektierung der Krim zurückschrecken. Die Halbinsel bliebe formal ein Teil der Ukraine, faktisch aber ein Protektorat unter der Aufsicht von Moskaus Truppen "Für den Kreml ist das attraktiv, weil er dann noch mehr Einfluss auf Kiew ausüben kann, auch was einen möglichen Beitritt des Landes zur EU oder Nato angeht", sagt Meister.

Die neue Regierung in Kiew liebäugelt mit einer Mitgliedschaft in dem westlichen Verteidigungsbündnis. Die Allianz aber wird sich gut überlegen, ob sie ein Land mit einem schwelenden Territorialstreit mit Russland aufnimmt.