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Konflikt im Donezk-Becken Eskalation in der Ostukraine - was man jetzt wissen sollte

Die ukrainische Regierung hat die Separatisten im Osten des Landes lange gewähren lassen, nun schickt sie Sicherheitskräfte in einen Anti-Terror-Einsatz - und in der Stadt Slawjansk gibt es erste Tote. Werden die prorussischen Aktivisten von Moskau gesteuert? Was will Putins Kreml? Fragen und Antworten.
Konflikt im Donezk-Becken: Eskalation in der Ostukraine - was man jetzt wissen sollte

Konflikt im Donezk-Becken: Eskalation in der Ostukraine - was man jetzt wissen sollte

Foto: DIMITAR DILKOFF/ AFP

Die Lage in der Ostukraine verschärft sich dramatisch. Bewaffnete Milizen haben Verwaltungsgebäude und Einrichtungen von Polizei und Geheimdienst in ihre Gewalt gebracht, vor allen Dingen in den Städten Donezk, Lugansk und in deren Umland.

Die Zentralregierung in Kiew hat im Gegenzug den Beginn einer "Anti-Terror-Operation" angeordnet. Innenminister Arsen Awakow forderte Zivilisten in der Stadt Slawjansk auf, "ihre Wohnungen nicht zu verlassen und sich fernzuhalten von den Fenstern". Bewaffnete Separatisten hätten das Feuer auf seine Polizisten eröffnet, es soll Opfer auf beiden Seiten geben. Mindestens ein Geheimdienstoffizier wurde erschossen.

Ein Überblick über eine unübersichtliche Lage.

Wer sind die Angreifer?

Nicht nur US-Außenminister John Kerry beschuldigt den Kreml. Er sieht "russische Provokateure und Agenten" am Werk. Berichte von Augenzeugen und Videos im Internet legen nahe, dass zumindest einige der Trupps über militärische Ausbildung verfügen.

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Kämpfe in Slawjansk: Unruhen in der Ostukraine

Foto: ANATOLIY STEPANOV/ AFP

Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen sehr geplant vor beim Sturm einer Polizei-Einheit in der 100.000-Einwohnerstadt Slawjansk. Sie blieben in Deckung, bis ein Lastwagen ein Gitter aus einem Fenster gerissen hatte, erst dann schlug ein Sturmtrupp die Scheibe ein (Filmbericht auf YouTube ).

Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet, die meisten tragen automatische Waffen, in der Regel Kalaschnikow-Gewehre. Innenminister Awakow spricht deshalb bereits von einer "Aggression der Russischen Föderation".

Zieht Russland die Strippen bei den Angriffen?

Schwer zu sagen, wie groß Moskaus Beitrag ist. Außenminister Sergej Lawrow hat jede Beteiligung russischer Einheiten vehement bestritten. In der Ukraine seien weder russische Militärs aktiv noch "unsere Agenten". Im Fall der russischen Intervention auf der Krim hatte Präsident Wladimir Putin allerdings auch stets den Einsatz russischer Soldaten verneint. Das war gelogen.

In der Ukraine befürchten viele eine Wiederholung des Krim-Szenarios. Auf Twitter machen Aufnahmen die Runde, die beweisen sollen, dass in der Ostukraine die gleichen russischen Einheiten operieren wie auf der Krim (Fotovergleich auf Twitter ).

Allerdings ähneln die Einsatztrupps der ostukrainischen Separatisten eher den bunt zusammengewürfelten "Selbstverteidigungskräften" der Krim und nicht den von Moskau entsandten Marine-Infanteristen in ihren dunkelgrünen Uniformen.

Das schließt nicht aus, dass unter den Kämpfern auch Russen sind, ob Freiwillige oder Angehörige von Spezialeinheiten. Anders als auf der Krim aber hat Moskau offenbar keine regulären Einheiten auf das Territorium des Nachbarlandes verlegt. Möglicherweise haben sich auch Männer der Sondereinheit "Berkut" ("Steinadler") dem Aufstand angeschlossen. Die Polizeitruppe war Wiktor Janukowitsch treu ergeben und wurde von den neuen Machthabern umgehend aufgelöst.

Auch in Kiew halten das inzwischen einige für einen Fehler, weil die Berkut nun im Untergrund ihren Kampf gegen die Maidan-Revolution fortführen könnten.

Unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung die Aktionen?

Eher nicht - aber das kann sich ändern. Wenn Moskau sich für die Rechte "der russischsprachigen Bürger in der Ostukraine" starkmacht, dann verweist der Kreml stets auf den hohen Anteil von Bürgern, die im Alltag eher Russisch sprechen als Ukrainisch.

Dieser Anteil ist im Südosten sehr hoch. In Donezk liegt er etwa bei 70 Prozent. Allerdings will nicht jeder russischsprechende Bürger auch einen Anschluss an Russland. Aktuelle Umfragen beziffern den Anteil der Anschluss-Befürworter auf 33 Prozent.

Womöglich haben die Separatisten auch zu den Waffen gegriffen, weil es ihnen bislang nicht gelang, große Massendemonstrationen auf die Beine zu stellen. Die größten Proteste gab es in der Millionenstadt Donezk, aber auch hier gingen nie mehr als 10.000 Menschen auf die Straße.

Entwarnung für Kiew bedeutet das allerdings auch nicht. Laut Umfragen haben nur 24 Prozent der Ukrainer im Osten des Landes die Maidan-Revolution unterstützt (März-Umfrage als pdf ). Die Mehrheit war dagegen, mochte aber auch den als korrupt verschrienen Präsidenten Janukowitsch nicht verteidigen. Die Bürger im Osten des Landes verhalten sich momentan passiv.

Wenn es zu lang anhaltenden Gefechten mit Toten kommen sollte oder einer schweren Wirtschaftskrise, kann sich das aber auch ändern. Kiew muss sich dringend etwas einfallen lassen, um die Herzen der Ostukrainer zu gewinnen.

Wie reagiert die Übergangsregierung?

Die neuen Machthaber in Kiew haben die Separatisten, die schon seit Tagen Gebäude besetzen, lange gewähren lassen. Es schien nicht ganz klar, ob sie den prorussischen Kräften nicht Einhalt gewähren wollten - oder es womöglich nicht konnten, weil ihr loyale Einheiten fehlen. In vielen Städten räumten Polizisten kampflos wichtige Gebäude, selbst Waffenlager fielen den Aufständischen in die Hände.

Die Regierung hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt und "null Toleranz". Das könnte allerdings Gegenmaßnahmen Moskaus auslösen. Der Kreml hatte Kiew vor Einsätzen gegen die Separatisten gewarnt.

Was will Russland?

Womöglich die Integration des industriestarken Ostens der Ukraine, entweder als Teil der Russischen Föderation oder in Form eines Moskau treu ergebenen Vasallenstaats. Das birgt allerdings erhebliche Risiken.

Militärisch könnte Russland die ukrainische Armee zwar wohl bezwingen. Um die ukrainische Armee komplett zu zerschlagen, müssten russische Einheiten aber wohl bis an den Dnjepr oder gar Kiew vorstoßen - und damit auf ein Territorium, in dem die Bevölkerung russischen Truppen wohl nicht mit Blumen begegnen würde, sondern mit der Waffe in der Hand. International wäre Russland auf Jahrzehnte isoliert, harte Wirtschaftssanktionen würden die bereits erkennbare Stagnation der russischen Wirtschaft verschärfen.

Experten halten eine Intervention Moskaus in der Ostukraine deshalb weiter für wenig wahrscheinlich. Russland wolle den Druck vor Verhandlungen erhöhen, die für Ende der Woche mit Washington, Brüssel und Kiew geplant sind, glaubt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Meister. Russland wolle so für eine Föderalisierung der Ukraine werben. Den Gebieten in der Ostukraine gäbe das mehr Autonomie von Kiew, und Moskau zugleich die Möglichkeit, Gebiete wie Donezk und Charkiw enger an sich zu binden.

Ist die Gefahr einer weiteren Eskalation also klein?

Absolut nicht. Weder die Übergangsregierung in Kiew noch Moskau haben vollständige Kontrolle über die Hardliner auf beiden Seiten. Militante prorussische Kräfte haben offenbar Hunderte automatische Waffen erbeutet, möglicherweise haben sie auch Waffenlieferungen aus Russland erhalten. Anders als auf der Krim machen sie von ihren Gewehren auch ohne Zögern Gebrauch.

Auf der anderen Seite machen nun auch ukrainische Nationalisten Front gegen die Separatisten. Der "Rechte Sektor", laut eigenen Angaben rund 10.000 Mann stark, hat die "vollständige Mobilisierung" verkündet. Während der Maidan-Revolution haben auch die Nationalisten automatische Waffen erbeutet.

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