politnews – Bodo Ramelow und der erste Clubhouse-Eklat

[ Mit Meldungen zu: Rückblick auf 20 Jahre Hauptstadtjournalismus, politischer Social-Media-Manipulation, AfD-Beobachtung durch den Verfassungsschutz, europäischer Sicht auf die USA unter Biden und Social-Media-Trends 2021 ]

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Eine gute Woche hat es gedauert, bis Clubhouse, der neue Stern am Himmel der politischen Kommunikation, seinen ersten Skandal hat. Und dabei geht es noch nicht einmal um die Datenschutzlücken des Unternehmens, sondern um Bodo Ramelow. Der thüringische Ministerpräsident plauderte am Freitagabend in einem Room (man stelle sich das wie eine große Telefonkonferenz vor, bei der viele zuhören, aber nur wenige reden können) mit seiner Amtskollegin Manuela Schwesig, SPD-Nachwuchshoffnung Lilly Blaudszun und Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung (dessen Account mittlerweile gesperrt ist) munter aus dem Nähkästchen.

In lockerem Ton berichtete Ramelow zum Beispiel, wie er während der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zur Bewältigung der Coronakrise auf dem Smartphone Candy Crush spielte: „Bis zu zehn Level schaffe ich“. Bemerkenswerte Seitennotiz: Dass Teilnehmende der MPK Candy Crush spielen, berichtete der Spiegel ohne Nennung von Namen schon im November (Paywall). Darüber hinaus bedachte Ramelow Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem abschätzigen Spitznamen: „Da können wir die MPK auch gleich auf Clubhouse machen und holen das Merkelchen dazu.“

Ramelow, der noch vor wenigen Tagen mit einem für den Politikbetrieb unüblich offenen Fehlereingeständnis von sich reden machte, hatte sich vor vollem Clubhouse vergaloppiert. Das fand auch Johannes Boie, Zuhörer und Chefredakteur der Welt am Sonntag, und veröffentlichte am Samstag einen Artikel (Paywall) dazu – zum Ärger von Ramelow. Einen Tag später trafen die Kontrahenten dann wieder in Clubhouse aufeinander und es ging dem Vernehmen nach hoch her. Auch auf Twitter äußerte Ramelow sich recht deutlich gegenüber dem Springer-Journalisten, löschte den Tweet dann aber wieder.

Ramelow war mit seinem Clubhouse-Fauxpas nicht alleine: Philipp Amthor ließ sich von genanntem Ronzheimer dazu hinreißen, das Pommernlied zu singen. Eine Aufnahme dessen kursiert seitdem im Netz. WDR-Investigativreporter und Room-Host Martin Kaul kritisierte daraufhin den Leak, handelte sich daraufhin aber selbst arge Kritik und die Frage ein, warum das Verbreiten eines öffentlichen Zitats eines Politikers nun unanständig sein sollte.

Der Vorfall setzte also auch eine Diskussion über das grundsätzliche Verhältnis von Journalist:innen und Politiker:innen im digitalen Raum in Gang. Plattformen, die künstlich Intimität herstellen, neigen dazu, Grenzen verschwimmen zu lassen. Eine pseudo-exklusive „First Mover“ Umgebung wie bei Clubhouse umso mehr. Das Distanzgebot zwischen Journalist:innen und Politiker:innen gilt aber natürlich auch für den neuesten Social-Media-Hype.

Der Wunsch, dass Politiker:innen menschlich und nahbar erscheinen und auch mal Privates und Persönliches preisgeben, das nicht zitierfähig ist, ist verständlich. Und wer noch nie in einem wichtigen Termin auf dem Handy nach Ablenkung gesucht hat, der werfe das erste Geleebonbon. Doch funktioniert der digitale Raum in diesem Falle nicht anders als der analoge, nur animiert er stärker: Clubhouse stellt eine scheinbar vertrauenswürdige Atmosphäre her, die zu Unbedarftheit verleitet. Die Zuhörer:innen sind zwar da – im Falle von Ramelow sogar mehr als 3.000 von ihnen – dennoch sieht man sie nicht direkt, bzw. muss erst scrollen.

Politiker:innen müssen sich der eigenen Äußerungen jedoch immer bewusst sein. Im Bierzelt, nach der Marktplatzrede oder eben auf der neuesten Social-Media-App. „Safe Spaces“ schafft man sich so gut man kann in Hintergrundgesprächen, internen Besprechungen und im privaten Rahmen und auch die sind niemals vollkommen sicher.

Ramelow gab sich dann auch am Sonntag gegenüber dem RND geläutert. „Das Neue macht mich neugierig. Ich habe es ausprobiert. Und es war toll. Aber ich habe sofort auch die Grenzen aufgezeigt gekriegt.

Clubhouse hat derzeit 2 Millionen User:innen weltweit. Zum Vergleich: Selbst das in Deutschland nicht besonders weit verbreitete Twitter hat 330 Millionen. Wer noch keine Einladung hat, kann sich in einer Telegram-Gruppe helfen lassen. Laut Firmengründern soll es auch bald eine Android-Version geben. Im Bundestag wurden bereits Konsequenzen gezogen: Die Unionsfraktion hat laut Informationen von Tagesspiegel Background eine Installation der Clubhouse-App auf Diensthandys unterbunden. Das hat aber weniger mit Bodo Ramelow als mit der datenschutzrechtlich bedenklichen Freigabe des Adressbuches zu tun, auf welche die App besteht. Welche Auswirkungen die App auf den Politikbetrieb haben wird, fasst der Tagesspiegel zusammen.

Auch wenn Clubhouse nun „seine Unschuld verloren“ hat: Es gibt noch genügend interessante politische Formate auf der Plattform (Link jeweils auf die Twitter-Profile, die regelmäßig über neue Folgen informieren):

Und – so viel Eigenwerbung sei uns gestattet – die politjobs der Woche im Kreuzverhör, jeden Freitag um 17 Uhr mit unserer politjobs-Leiterin Sarah Brunner.

Mit besten Grüßen
Philipp Sälhoff

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politnews


[ Rückblick auf 20 Jahre Hauptstadtjournalismus ]

Der Korrespondent Markus Decker begleitet den Berliner Politikbetrieb seit 2001 als Hauptstadtjournalist. In seiner Karriere berichtete er u. a. für die Mitteldeutsche Zeitung, die Berliner Zeitung, die FR und seit 2018 für das RND. In einem persönlichen Rückblick schaut er zurück auf 20 Jahre Tätigkeit als Hauptstadtkorrespondent, angefangen von den Ereignissen des 11. September 2001 über den Einzug von Twitter und Facebook in die politische Kommunikation bis hin zu Anekdoten über Roger Willemsen und Peter Struck. Außerdem verrät er, welchen Politiker er so oft angerufen hat, dass er seine Handynummer noch heute weiß.

RND (Rückblick) | Twitter (Account Markus Decker)


[ Anstieg organisierter, politischer Social-Media-Manipulation ]

In 81 Ländern, darunter auch Deutschland und Österreich, fand das Oxford Internet Institute für das vergangene Jahr organisierte Manipulationskampagnen in den sozialen Medien, ein Plus von 11 Ländern im Vergleich zu 2019. Die Autor:innen der jährlich erscheinenden Studie warnen vor Desinformationsstrategien durch Regierungen, Parteien und Public-Affairs-Agenturen. Demnach gehört in 76 Ländern die Verbreitung von Desinformation mittlerweile zum Standard politischer Kommunikation. Der Bericht beobachtet eine Professionalisierung im Angebot von Manipulationskampagnen durch private Firmen, die von politischen Akteuren beauftragt werden.

Oxford Internet Institute (Studie)


[ AfD soll Verdachtsfall des Verfassungsschutzes werden ]

Ab dieser Woche will das Bundesamt für Verfassungsschutz die komplette AfD unter Beobachtung stellen. Damit können Mitglieder der Partei zukünftig observiert und abgehört werden. Im Januar 2019 hatte der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, die Partei wegen ihrer extremistischen Tendenzen zum Prüffall ausgerufen. In einer zweijährigen Prüfungsphase wurden nun Tausende Seiten Material gesammelt, die den Verdachtsfall begründen sollen. Die Partei ging zuletzt in die Offensive und versuchte mit einem Papier des Berliner Verfassungsschutzes zur Einordnung der Berliner AfD Druck auf Innensenator Andreas Geisel auszuüben. Das interne Dokument soll über eine undichte Stelle in der Senatsinnenverwaltung erlangt worden sein.

RND (Bericht Verdachtsfall) | Der Tagesspiegel (Bericht Vorfall Berlin)


[ Blick der Europäer:innen auf die USA unter Biden ]

Trotz Erleichterung über die Wahl Joe Bidens sind die Europäer:innen nicht davon überzeugt, dass die USA unter dem neuen Präsidenten wieder eine globale Führungsrolle einnehmen werden. Dies hat eine paneuropäische Studie im Auftrag des European Council on Foreign Relations ergeben. Insbesondere die Deutschen sind der Auffassung, dass Amerikaner:innen nach der Wahl Trumps im Jahr 2016 „nicht mehr getraut“ werden kann – 53 % zu 32 % im europäischen Schnitt. Gleichzeitig hat sich die Sicht der Menschen auf die EU verbessert. Darüber hinaus stellt die Studie vier politische Gruppen heraus, sortiert nach deren Glauben an „den Westen“ bzw. dessen Abstieg, die USA und Europa.

European Council on Foreign Relations (Kurzdossier)


[ Social-Media-Trends für 2021 ]

Durch die Corona-Pandemie ist die Nutzung von sozialen Medien stark angestiegen, 4,41 Milliarden aktive Nutzer:innen gibt es mittlerweile weltweit. Im Schnitt haben Menschen 8,5 Social-Media-Accounts und verbringen damit täglich 144 Minuten. Eine Studie von Adenion und pressrelations hat sich nun mit den wichtigsten Trends und Prognosen für das Jahr 2021 auseinandergesetzt. Die Studie sieht besonders für vier Themenbereiche ein hohes Trendpotential: Consumer & Culture, Work, Web & Digitalisierung sowie Business & Finance.

Adenion (Studie) | marktforschung.de (Bericht)


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Mit Humor gegen Desinformation

Wer den abgesicherten Modus von Windows 95 noch kennt, dem bleibt das Lachen im Halse stecken.

Mi, 27.01.2021 – Social Media in der Kommunalpolitik
Konrad Adenauer Stiftung | Social Media | online | 18:00 Uhr

Di, 26.01.2021 – Keinen Pixel den Faschisten – extrem rechte Ideologie in Gaming-Communities
Rosa Luxemburg Stiftung | Rechtsextremismus | online | 19:30 Uhr

Di, 26.01.2021 – Are We Still Friends? Die deutsch-amerikanische Freundschaft auf dem Prüfstand
Friedrich Ebert Stiftung | Internationale Politik | online | 16:00 Uhr

Mi, 27.01.2021 – Towards a green and smart economy in Germany and the EU
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung | Green Economy | online | 12:30 Uhr

Do, 28.01.2021 – Forum Antisemitismus. Erscheinungsformen, Erkenntnisse & Handlungsstrategien
Amadeu Antonio Stiftung | Antisemitismus | online | 9:00 Uhr

Do, 28.01.2021 – TikTok – (Wahl-)Werbung von morgen?
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25. Januar 2021