Ein Baulöwe soll Libyen versöhnen

Die Wahl einer geeinten libyschen Staatsführung in Genf endete am Freitag mit einer Überraschung: Ein reicher Geschäftsmann und ein Diplomat setzten sich gegen die politischen Schwergewichte durch. Doch die kleine Revolution könnte sich noch rächen.

Christian Weisflog
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Soldaten aus der Armee des ostlibyschen Kriegsherrn Khalifa Haftar im Dezember bei einer Feier zum Unabhängigkeitstag. Haftar wird aller Voraussicht nach ein zentraler Machtfaktor in dem Bürgerkriegsland bleiben.

Soldaten aus der Armee des ostlibyschen Kriegsherrn Khalifa Haftar im Dezember bei einer Feier zum Unabhängigkeitstag. Haftar wird aller Voraussicht nach ein zentraler Machtfaktor in dem Bürgerkriegsland bleiben.

Esam Omran Al-Fetori /Reuters

Allein die Wahl einer neuen Einheitsführung ist für das gespaltene Libyen ein Erfolg. Als die 74 Mitglieder des sogenannten Politischen Dialogforums am vergangenen Montag in Genf zusammenkamen, war nicht sicher, ob sie sich bis Ende der Woche auf ein Führungsquartett würden einigen können. Am Freitag jedoch war es so weit: Das weitgehend von der Uno formierte Gremium mit Vertretern unterschiedlicher Parteien, gesellschaftlicher Organisationen und Stämme wählte mit Abdulhamid al-Dbaiba einen reichen Geschäftsmann zum Regierungschef. Der aus je einem Vertreter des Westens, Ostens und Südens des Landes bestehende Präsidialrat soll neu vom Diplomaten Mohammed al-Menfi geführt werden.

Das Wahlresultat kommt einem Paukenschlag gleich. Die Mehrheit der Beobachter rechnete mit einem Sieg der politischen Schwergewichte Fathi Bashagha und Aguila Saleh. Bashagha, ein ehemaliger Kampfpilot, ist Innenminister in der Regierung von Fayez al-Sarraj in der Hauptstadt Tripolis. Saleh ist der einflussreiche Vorsitzende des in der östlichen Stadt Tobruk tagenden Parlaments und unterstützte als solcher die im Frühsommer gescheiterte Offensive von General Khalifa Haftar auf Tripolis. Erst als sich Haftars Niederlage als Folge der türkischen Militärintervention abzeichnete, ging Saleh zu Haftar auf Distanz.

Haftars Niederlage könnte täuschen

Wie sich nun zeigte, haben sich Bashagha und Saleh zu viele Feinde gemacht. Wegen seiner Unterstützung für Haftars Offensive hätte eine Wahl Salehs zum Vorsitzenden des Präsidialrats im Westen des Landes wohl für viel böses Blut gesorgt. Gleichzeitig war auch Bashagha in der Hauptstadt eine umstrittene Figur. Der aus der Hafenstadt Misrata stammende Innenminister ist ein erklärter Gegner der vielen bewaffneten Milizen in Tripolis und möchte diese endlich entwaffnen. Seine Wahl zum Regierungschef hätte zu neuen Kämpfen in der Hauptstadt führen können.

Die gemeinsame Liste von Bashagha und Saleh erhielt in der entscheidenden Wahlrunde nur 34 Stimmen. Die Liste von Dbaiba und Menfi gewann mit 39 Stimmen. Viele Beobachter begrüssten die Wahl der politisch frischeren, weniger polarisierenden Persönlichkeiten und werteten das Ergebnis als Niederlage für Haftar, den starken Mann im Osten. Doch dies könnte sich letztlich als Trugschluss erweisen. Menfi stammt zwar aus Tobruk, aber ob der ehemalige Botschafter in Griechenland die Stämme im Osten hinter sich scharen und die Milizen von Haftar abbringen kann, ist fraglich. «Anstatt durch einen Sieg von Aguila Saleh marginalisiert zu werden, ist Haftar nun wieder als Königsmacher zurück», schreibt der Journalist und Libyen-Kenner Samer al-Atrush auf Twitter.

Der Baulöwe Dbaiba mag politisch ein unbeschriebenes Blatt sein, aber auch er ist keine unumstrittene Figur. «Der Name seiner Familie ist ein Synonym für Korruption während der Ghadhafi-Ära», twitterte der Libyen-Experte Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations. Dbaiba, der ein Ingenieurdiplom von der Universität Toronto besitzt, leitete von 2007 bis 2011 eine staatlich kontrollierte Investitionsgesellschaft, die für einige der grössten öffentlichen Bauprojekte verantwortlich war. Im November wurden Vorwürfe laut, dass Dbaiba versucht habe, innerhalb des Dialogforums auf Stimmenkauf zu gehen.

Dbaiba muss grosses Geschick beweisen

In den kommenden drei Wochen wird der designierte Regierungschef sein politisches Geschick beweisen müssen, um ein neues Kabinett zu bilden. Denn dieses muss noch durch das libysche Parlament im Osten, das Repräsentantenhaus, bestätigt werden. Geschieht dies nicht, soll diese Aufgabe erneut dem nicht demokratisch gewählten Dialogforum zufallen. Ob das Parlament jedoch einfach übergangen werden kann, scheint fraglich. Denn die rivalisierenden Parallelregierungen und Volksvertretungen im Osten und im Westen müssten sich selbst auflösen, damit die neue Exekutive ihre Arbeit aufnehmen kann. Dies dürften sie nur tun, wenn sie sich in den neuen Machtstrukturen genügend vertreten fühlen.

Nur schon die Ernennung eines allen Seiten genehmen Verteidigungsministers dürfte äusserst schwierig werden. Selbst wenn die Bildung einer neuen Übergangsregierung gelingen sollte, steht diese vor einer sehr schwierigen Mission. Ihre zentrale Aufgabe ist die Vorbereitung und Durchführung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Dezember. Dafür allerdings muss zunächst noch in einem Referendum eine Verfassungsgrundlage verabschiedet werden. Auch dieses Vorhaben birgt viel Konfliktstoff.