Der Uno-Sicherheitsrat und die Corona-Krise: Ein Versagen auf ganzer Linie

Uno-Generalsekretär Guterres spricht von der «schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg». Trotzdem hat das wichtigste Gremium der Organisation die Coronavirus-Pandemie bisher nicht einmal auf seine Agenda gesetzt.

Fabian Urech
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Der Uno-Sicherheitsrat – hier sein Saal in New York – hat sich bisher nicht zur Corona-Krise geäussert.

Der Uno-Sicherheitsrat – hier sein Saal in New York – hat sich bisher nicht zur Corona-Krise geäussert.

Thomas Trutschel / Imago

Ist die Corona-Krise nur ein böser Traum? Oder eine weltpolitische Marginalie? Wer sich das März-Programm des Uno-Sicherheitsrats anschaut, wähnt sich in einer Parallelwelt.

Syrien, die Friedensmission in Kongo-Kinshasa, die Menschenrechtslage in Kolumbien, Terrorismus in Afrika: Das Themenspektrum, mit dem sich der Rat zuletzt beschäftigte, war breit. Doch etwas fehlte auf der Agenda: Die Coronavirus-Pandemie, die Uno-Generalsekretär Antonio Guterres als «grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg» bezeichnet, ist im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen bis heute kein Thema.

Keine Sitzung, keine Erklärung, schon gar keine Resolution – der Rat schweigt. Inmitten des globalen Sturms scheint das wichtigste Entscheidungsgremium für internationale Sicherheitsfragen wie vom Radar verschwunden.

Absurde Begründungen

Anfang Monat hatte China, das im März den Vorsitz über den Sicherheitsrat innehatte, an einer Pressekonferenz verlauten lassen, das Coronavirus falle nicht unter den «geopolitischen Geltungsbereich», mit dem sich das Gremium beschäftige. «Die Mitglieder des Sicherheitsrats», fügte ein Sprecher an, «sehen keinen Grund zur Panik».

Später scheiterte das Anberaumen eines Treffens zur Krise an der Forderung der amerikanischen Regierung, in einer allfälligen Erklärung explizit auf den chinesischen Ursprung des Virus hinzuweisen. Präsident Donald Trump sprach jüngst immer wieder vom «China-Virus», was in Peking Empörung auslöste. Letztmals versuchte das nichtpermanente Sicherheitsratsmitglied Estland letzte Woche ein Sondertreffen zu erwirken. China lehnte ab – genauso wie Russland.

In Moskau scheint das Interesse an einem Austausch zur Krise ähnlich gering wie in Peking und Washington. Nachdem der Sicherheitsrat Mitte März entschied, künftig virtuell zu tagen, lehnte die russische Regierung die virtuelle Stimmabgabe während fast zweier Wochen ab –und verhinderte so jeglichen formellen Beschluss. Während sich Staats- und Regierungschefs im Rahmen der G-7, der G-20 und der EU in den letzten drei Wochen offenbar problemlos virtuell austauschen konnten, führte im Sicherheitsrat ein penibler Streit um Abstimmungsmodalitäten zum totalen Stillstand.

Als «völlig chaotisch» bezeichnet Richard Gowan, Uno-Experte der International Crisis Group, im Gespräch mit der NZZ das Verhalten des Sicherheitsrats. «Statt Einheit hat das Gremium Spaltung demonstriert.»

Ganz anders als bei Ebola

Das Nichtstun des Rats sticht umso mehr hervor, als der Uno-Generalsekretär Guterres in den letzten Wochen zigmal unterstrich, wie wichtig eine globale Kooperation in der gegenwärtigen Situation wäre. Erst am Dienstag hat er die ungenügende internationale Zusammenarbeit zum wiederholten Mal kritisiert. «Ich fordere die Staats- und Regierungschefs der Welt auf, zusammenzukommen und dringend eine koordinierte Antwort auf diese globale Krise zu geben», sagte der Portugiese. Eine Wirkung zeigte sein jüngster Appell bisher nicht.

Stark ist auch der Kontrast zur Reaktion des Sicherheitsrats auf die Ebola-Krise in Westafrika vor sechs Jahren. Im September 2014 – beim Stand von knapp 6000 bestätigten Erkrankungen – erklärte das Gremium in einer Resolution den Ausbruch zu einer «Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit» – ein Novum in der Geschichte der Uno. Zudem wurde ein Uno-Sonderbeauftragter ernannt sowie eine Sondermission ins Leben gerufen. Viele Länder bestimmten daraufhin nationale Koordinatoren zur besseren Abstimmung ihrer Hilfsmassnahmen.

Von solchem scheint der Sicherheitsrat heute weit entfernt. Eine Überraschung sei dies nicht, sagt Richard Gowan. Der Rat funktioniere seit langem mehr schlecht als recht. Gerade das Verhältnis zwischen China und den USA habe sich in den letzten Jahren merklich abgekühlt und verhindere eine bessere Kooperation. «Die Corona-Krise zeigt nun sehr deutlich auf, was schon lange im Argen liegt.»

Braucht es ein neues Gremium?

Gowan geht dennoch davon aus, dass der Rat irgendwann nicht mehr darum herumkommen wird, sich zu der Krise zu äussern. Ein Schulterschluss der Ratsmitglieder wäre in der jetzigen Situation aus seiner Sicht insbesondere symbolisch bedeutsam. «Aus der Vergangenheit wissen wir, dass das einen grossen Einfluss darauf haben kann, wie wir ein Problem einschätzen», sagt der Uno-Experte. «Für den globalen Kampf gegen Corona bedeutete dies eine nicht zu unterschätzende Energiezufuhr.»

Letztlich geht es für den Sicherheitsrat aber auch darum, seine ohnehin arg ramponierte Glaubwürdigkeit nicht weiter zu schädigen. Denn wer sich bei einer Krise wie der gegenwärtigen blind stellt, setzt seine Legitimität auf lange Zeit hinaus aufs Spiel.

Bereits heute stellen verschiedene Experten die Frage in den Raum, ob es angesichts der Lähmung im Sicherheitsrat nicht angezeigt wäre, für die weltweite Abstimmung der Corona-Krisen-Massnahmen vorübergehend ein neues internationales Gremium zu etablieren. Das Mandat der Weltgesundheitsorganisation ist hierfür zu eingeschränkt; zudem kämpft auch sie mit Kritik und hat politisch zu wenig Gewicht. Gowan hält die Idee zumindest für prüfenswert. Er erinnert an die Finanzkrise von 2009: Damals habe die Gründung der G-20 mitgeholfen, Interventionen international besser zu verzahnen. «Vielleicht müssen wir in dieser aussergewöhnlichen Situation etwas Neues denken.»

Die Uno-Generalversammlung versucht in die Bresche zu springen

urf. · Über 130 Uno-Mitgliedsländer, unter ihnen die Schweiz und Deutschland, haben der Uno-Generalversammlung diese Woche eine Resolution vorgelegt, die zu einem solidarischen und koordinierten Handeln der Weltgemeinschaft gegen die globale Corona-Krise aufruft. Die Uno solle eine Führungsrolle in der Bekämpfung der Pandemie einnehmen, wird darin gefordert.

Der Vorstoss, über den das Gremium bis Ende Woche entscheiden soll, ist auch als Reaktion auf den Stillstand im Uno-Sicherheitsrat zu verstehen. Resolutionen der Generalversammlung haben im Vergleich zu solchen des Sicherheitsrats aber nur empfehlenden Charakter und sind völkerrechtlich nicht bindend.

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