Libyen am Scheideweg

Die Uno hat mit Vertretern der libyschen Konfliktparteien einen Friedensplan formuliert. Wenn die Parteien nicht unterzeichnen, ist wohl die letzte Chance auf eine Verhandlungslösung vertan.

Monika Bolliger, Kairo
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Steht Libyen vor dem Ende des blutigen Konflikts? Im Bild Regierungsanhänger Mitte Juni 2015 nahe der Stadt Derna. (Bild: Reuters)

Steht Libyen vor dem Ende des blutigen Konflikts? Im Bild Regierungsanhänger Mitte Juni 2015 nahe der Stadt Derna. (Bild: Reuters)

Just nachdem eine weitere Frist in den zähen libyschen Friedensverhandlungen verstrichen war, hat die Uno verkündet, dass der endgültige Text eines Friedensplans stehe. Dies erklärte der Uno-Sondergesandte für Libyen, Bernardino Leon, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Nun muss der Plan von den Anführern beider Lager unterzeichnet werden. Die Parteien und alle Libyer müssten verstehen, dass dies ihre einzige Option sei, sagte Leon und rief alle dazu auf, ihre eigenen Interessen hinter jene des Landes zu stellen. Er machte klar, dass die Uno als Vermittlerin das in ihrer Macht stehende getan habe und der Ball nun bei den Libyern liege.

Partner für Migrationspolitik

Leon sagte weiter, alle Parteien hätten sich bereit erklärt, nach dem islamischen Opferfest, welches am Dienstag beginnt, über Kandidaten für die Führung der neuen Einheitsregierung zu verhandeln. Die Konfliktparteien haben noch einen knappen Monat Zeit. Am 20. Oktober läuft das Mandat des in Tobruk stationierten international anerkannten Repräsentantenhauses aus. Damit verliert die nur noch sehr begrenzt operative Regierung im Osten Libyens ihren letzten Rest an Legitimität, den sie gegenüber der rivalisierenden Regierung in der Hauptstadt Tripolis hatte.

Die Staatenwelt brauche in Libyen Partner mit einem klaren rechtlichen Status, betonte Leon. Aus internationaler Sicht ist eine Stabilisierung in Libyen vor allem im Hinblick auf den Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Ströme von Bootsflüchtlingen und Migranten, welche von Libyen aus nach Europa gelangen wollen, wichtig. Eine Umsetzung des Friedensplans könnte den Grundstein für die Rückkehr internationaler Organisationen wie des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge nach Libyen legen. Einigen sich die libyschen Konfliktparteien, könnten sie auch mit gemeinsamen Kräften gegen den IS vorgehen.

Aus libyscher Sicht ist es vor allem die kriegsmüde Zivilbevölkerung, welche durch eine Beruhigung der Lage aufatmen könnte. Vielerorts führte der Bürgerkrieg eine humanitäre Krise herbei und liess die Sicherheitslage zusammenbrechen. Die Ölförderung ist wegen der Kämpfe eingebrochen, die Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Entsprechend ist der Druck der Bevölkerung auf die Kriegsparteien gestiegen, sich zusammenzuraufen.

Doch noch ist es zu früh, um aufzuatmen. Mattia Toaldo, Libyen-Forscher vom European Council on Foreign Relations, erwartet weitere Sabotageversuche der Hardliner in beiden Lagern in den kommenden Wochen. So hat der Warlord Khalifa Haftar, der mit dem Lager von Tobruk verbündet ist, am Tag vor Ablauf der Frist der Gespräche eine neue Offensive in Benghasi begonnen. Die Hardliner im Lager von Tripolis stellen dafür fast täglich neue Forderungen an das Abkommen, die offensichtlich einzig ein Scheitern des Friedensplans zum Ziel haben. Toaldo sagt, die Hardliner setzten auf den Status quo und glaubten fälschlicherweise, sie könnten so weitermachen, ohne Kompromisse einzugehen. Doch der IS breite sich aus, und die Wirtschaftslage werde sich weiter verschlechtern.

Sabotageversuche

Eine der grössten Herausforderungen in der Umsetzung eines Abkommens ist der Aufbau eines Sicherheitsapparats, der die zahlreichen Milizen im Land entweder integriert oder ihren Einfluss schwächt. Dazu müsste die Einheitsregierung eine neue Militärführung bilden, was Figuren wie Haftar, der von Tobruk zum «Armeechef» ernannt worden war, mit aller Macht zu verhindern suchen werden. Die Überwachung eines Waffenstillstandes wäre eine komplexe Angelegenheit. Europa muss sich bald entscheiden, ob und in welcher Form es einer allfälligen Einheitsregierung Friedenstruppen anbieten will.