Ungarn und Polen fürchten sich vor Bidens kalter Schulter

Die rechtsnationalen Regierungen in Ostmitteleuropa hatten in Donald Trump einen ideologischen Verbündeten. Von dessen Nachfolger im Präsidentenamt gibt es deutlich mehr Kritik – realpolitisch deutet aber vieles auf Kontinuität.

Ivo Mijnssen, Wien
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Im Weissen Haus wird Viktor Orban wohl künftig auf deutlich weniger Sympathien stossen als bei Donald Trump anlässlich seines Besuches im Jahr 2019.

Im Weissen Haus wird Viktor Orban wohl künftig auf deutlich weniger Sympathien stossen als bei Donald Trump anlässlich seines Besuches im Jahr 2019.

Kevin Dietsch / Imago

Wenn die neue amerikanische Regierung im Januar ihre Amtsgeschäfte aufnimmt, stehen zwei Personen mit engen persönlichen Verbindungen nach Ungarn und Polen an der Spitze der Aussenpolitik. Joe Biden verbrachte 1977 die Flitterwochen mit seiner zweiten Frau Jill am Balaton-See. Als Senator wurde er in den neunziger Jahren zu einem entschiedenen Verfechter der Nato-Mitgliedschaft Warschaus und Budapests. Noch direkter sind die biografischen Bezüge des zukünftigen Aussenministers Antony Blinken. Die Familie seiner Mutter ist ungarischstämmig, sein Vater war Botschafter in Budapest, dessen zweite Frau ist ebenfalls Ungarin. Blinkens Stiefvater war ein Holocaust-Überlebender aus Polen, der das Wertesystem des Diplomaten prägte.

Loyalität zu Trump

Doch die Nähe der neuen Führung im Weissen Haus zu ihren Ländern ist für die Regierungen in Warschau und Budapest kein Grund zur Freude, denn politisch verbindet sie wenig. Entsprechend liessen sich Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban lange Zeit, ehe sie Biden etwas gewunden «zu einem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf» gratulierten. Regierungsnahe Medien gaben Donald Trumps Wahlfälschungsvorwürfen zudem viel Raum.

Mit dem Republikaner hatte die rechtsnationalen Regierungen ein freundschaftliches Verhältnis verbunden. Orban war der einzige europäische Spitzenpolitiker, der Trumps Kandidatur 2016 unterstützte; dessen Berater Steve Bannon bezeichnete ihn damals als «Trump vor Trump». Als erster ungarischer Regierungschef seit 2005 gastierte Orban letztes Jahr im Weissen Haus. 2017 war Trump nach Warschau gereist, und er empfing Duda dreimal in Washington, letztmals im Juni, wenige Tage vor der polnischen Präsidentschaftswahl.

Andrzej Duda im Weissen Haus, kurz vor der Präsidentschaftswahl im Sommer 2020.

Andrzej Duda im Weissen Haus, kurz vor der Präsidentschaftswahl im Sommer 2020.

Erin Schaff / Imago

Die Kritik aus Washington an Polens Justizreform oder Orbans Machtballung blieb leise. Stattdessen feierten sich die drei Politiker als Verteidiger traditioneller Werte gegen Liberale und Linke sowie als Bollwerk gegen Migrationsbewegungen, hinter denen sie den Milliardär George Soros wähnen.

«Totalitäre Regime»

Dass das wichtigste Archiv der einst von Soros gegründeten Central European University in Budapest nach deren grosszügigen Unterstützern benannt ist – den Eltern von Aussenminister Blinken –, dürfte Orban und Duda ebenso wenig gefallen haben wie die neuen Töne von Biden: «Totalitäre Regime befinden sich auf der ganzen Welt im Aufschwung», erklärte dieser im Oktober, «Sie sehen ja, was von Weissrussland über Polen bis nach Ungarn passiert.»

Die Aussage sorgte zu Recht für Aufregung, da Warschau und Budapest im Gegensatz zu osteuropäischen Diktaturen immerhin Nato-Partner mit gewählten Regierungen sind. Doch Ungarns Aussenminister goss lustvoll weiter Öl ins Feuer: Obama und Biden hätten seine Regierung acht Jahre lange mit «Belehrungen, Anschuldigungen und Angriffen» eingedeckt. Damals mündete die Abkühlung der bilateralen Beziehungen sogar in Sanktionen gegen hochrangige Beamte.

Während Biden stets klargemacht hat, dass er aktiv gegen demokratische Rückschritte vorgehen will, sahen die Aussenminister unter Trump Ostmitteleuropa primär als geopolitisches Bollwerk: So rechtfertigte der einflussreiche Assistenzstaatssekretär Wess Mitchell die Annäherung an Ungarn damit, dass die USA auch problematische Partner näher an sich binden müssten, um zu verhindern, dass Russland und China ihre Position ausbauten.

Pragmatik und Ideologie

Der Primat der Eindämmung strategischer Konkurrenten im Osten Europas ist heute unter Demokraten wie Republikanern unbestritten. Ungarn muss somit zwar damit rechnen, dass der Empfang in Washington kühler und die Kritik lauter wird, doch realpolitisch dürften die Veränderungen beschränkt bleiben. Dies galt auch für die Ära Trump, dessen Aussenpolitik trotz allen Sympathien für starke Männer in der Region die Demokratieförderung ausbaute. In Ungarn wurde zudem der Sender «Radio Free Europe» neu lanciert, mit dem Ziel, Defizite in der Medienfreiheit auszugleichen.

In den Beziehungen der USA mit Polen spielen politische Sympathien noch weniger eine Rolle: Warschau ist hinter London und Berlin zum zentralen militärischen Verbündeten in Europa geworden. Die Nato baute unter der Führung der Amerikaner zahlreiche neue Basen, die USA verlegten tausend zusätzliche Soldaten nach Polen; Trumps offenkundige Sympathien für Wladimir Putin änderten nichts daran, dass seine Administration zielstrebig jene Pläne ausführte, die Biden als Vizepräsident geprägt hatte.

1
Posen: Forward Command 1st Infantry Division
2
Drawsko Pomorskie: HQ Combat Training Center
3
Zagan / Swietoszow / Boleslawiec: Komponenten für Panzerbrigade
4
Skwierzyna: Komponenten für Panzerbrigade
5
Torun: Komponenten für Panzerbrigade
6
Powidz: HQ Luftwaffen-Brigade, auch durch Panzerbrigade und Spezialkräfte benutzt
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Breslau: Transportbasis der Luftwaffe
8
Lask: Drohnen
9
Miroslawiec: Drohnen
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Lubliniec: Spezialeinheiten
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Orzysz: Enhanced Forward Presence
12
Krakau: Spionageabwehr

Piotr Buras, der Leiter des European Council on Foreign Relations in Warschau, glaubt allerdings, dass Biden wieder stärker auf die EU und Deutschland als Ordnungsmächte in Europa setzen wird. Sein Umfeld sehe «die gegenwärtigen Spannungen im polnisch-deutschen Verhältnis als unnötiges Hindernis». Biden werde die Militärkooperation als Hebel nutzen, um den Druck auf Warschau zu erhöhen, sich innerhalb der EU kooperativer zu verhalten. Spätestens hier dürfte der Konflikt zwischen Ideologie und Realpolitik aber aufbrechen, denn es sind massgeblich weltanschauliche Gräben – vom Umgang mit sexuellen Minderheiten über den Rechtsstaatsmechanismus bis zur Migration –, die Polen, Ungarn und den Rest Europas trennen.