Wird der Westen in Libyen intervenieren?

Das international anerkannte Parlament von Tobruk will von der neuen libyschen Einheitsregierung nichts wissen. Das nützt dem IS.

Ulrich Schmid
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Kurz gefreut: Der Kompromiss mit der Einheitsregierung wird abgelehnt. (Bild: STR / EPA)

Kurz gefreut: Der Kompromiss mit der Einheitsregierung wird abgelehnt. (Bild: STR / EPA)

Man hatte es kommen sehen. Kaum je war eine Einigung auf der Weltbühne mit mehr Skepsis aufgenommen worden als die zwischen den verfeindeten libyschen Machtzentren in Tobruk und Tripolis. Mitte Dezember hatten die beiden Gruppen in Marokko die Bildung eines Übergangsrats beschlossen und diesen beauftragt, innert Monatsfrist eine Regierung der nationalen Einheit unter Führung von Fayez al-Sarraj zu bilden. Allgemein wurde geargwöhnt, dieser Kompromiss sei weniger Resultat wahren Einigungswillens als des Drucks der Uno, der Vereinigten Staaten und verschiedener europäischen Länder.

Ein geschätzter Warlord

Letzte Woche verkündete der Übergangsrat Vollzug und präsentierte im benachbarten Tunesien, wo er tagt, ein mehr oder minder paritätisch zusammengesetztes Kabinett aus 32 Ministern. Die Uno bestätigte den Deal, und Martin Kobler, Chef der Uno-Unterstützungsmission in Libyen, rief die beiden Parlamente auf, die Regierung zu unterstützen. Vergeblich. Aus Tobruk kam am Montag ein klares Nein. Wichtigster Grund für den Refus ist eine Klausel im Einheitsvertrag, die die Entmachtung Khalifa al-Haftars vorsieht, eines Warlords, der seit März 2015 offiziell als Oberbefehlshaber der libyschen Streitkräfte fungiert. Das Parlament in Tobruk schlug zudem vor, die recht umfangreiche Regierung der Nationalen Errettung von 32 auf 17 Minister zu reduzieren.

Im Westen wünscht man sich die libysche Einigung aus einer Vielzahl von Gründen. Im Land herrscht Anarchie. Rivalisierende Clans, Milizen und kriminelle Gangs haben bereits Hunderttausende in die Flucht getrieben, viele möchten aus den Nachbarländern Tunesien und Ägypten nach Europa weiterziehen. Vor allem aber konstatiert man in Brüssel und Washington mit Sorge, dass vom Dauerkonflikt seit Ghadhafis Sturz in erster Linie die Terrormiliz Islamischer Staat profitiert hat. Der IS hat sich in der Hafenstadt Sirte eine neue Machtbasis erschaffen, greift in regelmässigen Abständen Ölterminals in der Umgebung an und konstatiert gewiss nicht ohne Befriedigung die Zerstrittenheit seiner Gegner im Osten und im Westen. Bereits betrachten manche Beobachter Libyen als mögliche neue IS-Hochburg.

Eine ideale Ausgangsbasis

Solange Tripolis und Tobruk nicht an einem Strang ziehen, hat die Terrormiliz ein leichtes Leben. Dass Khalifa al-Haftar dem IS demnächst den Fehdehandschuh hinwirft, ist zu bezweifeln. Der Warlord scheint derzeit vor allem damit beschäftigt, seinen Untergebenen Mahdi Ibrahim al-Barghathi zu bekämpfen, den der Übergangsrat zum Verteidigungsminister ernannt hat. Al-Haftar befürchtet laut Insidern, al-Barghathi könnte ihm gefährlich werden. Für den IS ist das Territorium um Sirte, gleichsam vor der Eingangstür zu Europa, natürlich ein idealer Stützpunkt für terroristische Expeditionen. In europäischen Hauptstädten fürchtet man Schlimmes, und allem Anschein nach wächst auch die Bereitschaft, selber in Libyen zu intervenieren, so, wie man es im Irak und in Syrien getan hat. Mattia Toaldo, Nordafrika-Spezialist am European Council on Foreign Relations, weist darauf hin, dass sowohl Italien, Frankreich, Grossbritannien als auch die USA in dieser Hinsicht einen gewissen «Appetit» an den Tag legen. Es gab etliche Berichte über französische Aufklärungsflüge über libyschem Gebiet, und al-Jazeera zitiert die algerische Zeitung «Al-Khabar», welche behauptet, Washington, Paris und London hätten die algerische Regierung davon in Kenntnis gesetzt, dass sie Luftangriffe in Libyen vorbereiteten.

Offiziell wird diese Meldung in den genannten Hauptstädten nicht bestätigt. Immer wieder bekräftigt wird hingegen, dass eine allfällige Intervention nur auf Bitte der libyschen Regierung hin erfolgen könne. Zwar klären Juristen derzeit ab, ob Schläge gegen den IS in Libyen zur Not auch auf Grundlage einer Uno-Resolution vom letzten November erfolgen könnten, in der die Regierungen aufgerufen wurden, im Kampf gegen den IS «alle nötigen Massnahmen» zu treffen. Doch ob dies klappt, ist unsicher, denn die Resolution bezieht sich auf den Irak und Syrien.

Allein schon deshalb wird man in Europa und den USA weiter auf eine rasche Versöhnung der libyschen Streithähne dringen. Wie das Parlament in Tobruk dazu zu bringen wäre, die Regierung der nationalen Einheit doch anzuerkennen, steht allerdings in den Sternen. Selbst wenn das gelänge, könnte sich der nächste Schritt als noch diffiziler entpuppen. Dann nämlich ginge es darum, die Einheitsregierung in der libyschen Hauptstadt Tripolis zu etablieren.