Wie Russland Trolle und Hacker im Internet einsetzt

Verschiedenste Internet-Akteure in Russland wetteifern um die Gunst des Kreml – auch Cyber-Kriminelle. Es ist ihr Gegenschlag in einem eingebildeten Krieg gegen den Westen.

Julia Smirnova
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Diverse Internet-Akteure wetteifern um die Gunst des Kremls, auch Kriminelle.  Andrey Rudakov / Bloomberg

Diverse Internet-Akteure wetteifern um die Gunst des Kremls, auch Kriminelle.
Andrey Rudakov / Bloomberg

Zu Zeiten des Kalten Krieges wollte die sowjetische Führung den Rassenkonflikt in den USA eskalieren lassen. Die Verwaltung «A» des Geheimdienstes KGB setzte dafür sogenannte «aktive Massnahmen» ein – Propaganda und Desinformation. Als Martin Luther King an Popularität gewann, versuchten sowjetische Geheimdienstler, ihn zu diskreditieren, ihm Absprachen mit der Regierung vorzuwerfen und sogar eigene Organisationen der Schwarzen zu gründen, die King kritisieren und zu radikaleren Schritten aufrufen sollten. Sie schickten gleichzeitig gefälschte rassistische Pamphlete, angeblich im Namen einer «Jewish Defence League» verfasst, an militante Gruppierungen von Schwarzen.

Auch heute gibt es in den USA vermeintliche Kämpfer gegen den Rassismus und ihre Gegner, die in Wirklichkeit von Russland aus agieren. Das Internet macht es ihnen leichter. In St. Petersburg, in einem grauen Gebäude an der Sawuschkina-Strasse, hat bis vor kurzem die sogenannte Trollfabrik residiert. Laut Recherchen der russischen Zeitung «RBK» eröffneten Akteure dieser Organisation in den vergangenen zwei Jahren mindestens 120 Gruppen und Konten bei Facebook, Twitter und Instagram, die auf das Publikum in den USA abzielten.

In den Gruppen namens Blacktivist, BlackMattersUS oder Black4Black gaben sich viele russische Trolle als schwarze Aktivisten aus, andere dagegen als rechte Patrioten und Kriegsveteranen. Die Arbeit beschränkte sich nicht nur auf Posts in sozialen Netzwerken: Die Mitarbeiter prüften auch, wie gut man von St. Petersburg aus die öffentliche Meinung in den USA vor den Wahlen beeinflussen und dort über das Internet Protestaktionen auf der Strasse organisieren könnte. Trolle nahmen Kontakt auf mit echten amerikanischen Aktivisten und baten sie, Werbung für ihre Veranstaltungen zu machen oder vor Ort mit der Organisation zu helfen. In anderen Fällen boten russische Mitarbeiter finanzielle Unterstützung an, etwa Geld für den Transport der Demonstranten.

«Motivierte» Unternehmer

Seit Jahren predigt die russische Fernsehpropaganda, der Westen nutze Medien und zivilgesellschaftliche Aktivisten in Russland, um Unruhe zu stiften und das Land zu destabilisieren. Die Aktivität der Trolle ist als ein Gegenschlag in diesem eingebildeten Krieg gedacht. Schon 2014 brachten sie falsche Informationen in Umlauf, etwa ein Video, in dem ein vermeintlicher amerikanischer Soldat auf eine Ausgabe des Koran schiesst.

Das Budget der Trollfabrik beziffert «RBK» auf 2,3 Millionen Dollar in den vergangenen zwei Jahren. Der grösste Teil davon wurde für die Gehälter von 80 bis 90 Mitarbeitern, der Rest für Werbung und technische Mittel ausgegeben. War das eine gute Investition? Offenbar schon: Alleine bei Facebook hätten 126 Millionen Nutzer Beiträge der russischen Trolle gesehen, teilte das soziale Netzwerk bei einer Anhörung im amerikanischen Senat mit.

Es gibt jedoch einen Unterschied zu den Zeiten des Kalten Krieges: Dieses Geld kam nicht direkt aus dem Staatshaushalt, und die Trolle waren keine staatlich angestellten Mitarbeiter. Unabhängige russische Medien berichten seit langem, dass hinter Firmen wie der Internet Research Agency der St. Petersburger Unternehmer Jewgeni Prigoschin steht. Prigoschin ist auch als «Putins Koch» bekannt, er gehört zu den Vertrauten des russischen Präsidenten. Ihm gehören mehrere Luxusrestaurants, und seine Firmen beliefern Gipfeltreffen, Schulen, ja selbst die russische Armee mit Essen. Prigoschin soll auch die sogenannte Wagner-Gruppe finanzieren – eine private Sicherheitsfirma, die Söldner nach Syrien und in die Ostukraine schickt.

Erprobtes Geschäftsmodell

Ein solcher Einsatz von nichtstaatlichen Akteuren scheint in Putins Russland üblich: Auch der konservative Millionär Konstantin Malofejew soll Separatisten in der Ostukraine in der Anfangsphase des Krieges finanziert haben; Alexander Borodai, der erste «Regierungschef der Volksrepublik Donezk», war Malofejews PR-Berater.

Nicht jede Operation heckt Putin persönlich aus. Jewgeni Wyschenkow, ein ehemaliger Polizist und Sportler und nun stellvertretender Chefredakteur der St. Petersburger Zeitung «Fontanka», kennt Prigoschin noch aus den neunziger Jahren. Er vermutet ein System von informellen Absprachen, bei dem jeder staatsnahe Unternehmer intuitiv versteht, dass er eine Art «Kirchensteuer» an den Staat zahlen muss, wenn er weiter lukrative Aufträge bekommen möchte. Klar ist auch, dass Prigoschin nicht Nein sagen könnte. Von Unternehmern wie ihm wird erwartet, dass er die Signale des Kreml richtig versteht und dementsprechend handelt. Begeht er einen Fehler, trägt er die Verantwortung und nicht der russische Staat.

Der Sicherheitsexperte Mark Galeotti formuliert es so: Der Kreml verfolge einen «innovativen und sparsamen Ansatz», gemäss dem die Ambitionen und Vorstellungskraft diverser Akteure mobilisiert würden. Oft gebe der Kreml nur eine breite Strategie vor: Russlands Grossmachtstatus zurückzugewinnen, den Westen zu schwächen oder die Nato und die EU zu spalten. Die konkrete Umsetzung bleibe den diversen Akteuren innerhalb und ausserhalb der Regierung und der Geheimdienste überlassen, die um die Gunst des Kreml wetteifern. Andere, besonders wichtige Operationen brauchten jedoch eine engere Abstimmung oder Absprache mit der Zentralregierung.

Tauschgeschäft im Cyberspace

Im Cyberbereich haben die russischen Geheimdienste schon längst gelernt, wie effizient und kostengünstig es ist, technische Kenntnisse von privaten Unternehmen und Hackern zu nutzen. Insider der russischen IT-Szene erzählen im Gespräch von regelmässigen Versuchen des Geheimdiensts FSB, kriminelle Hacker anzuwerben. Sie werden vor die Wahl gestellt: entweder Gefängnis oder Arbeit für das «Kontor», wie der FSB umgangssprachlich genannt wird. Im Tausch für Loyalität wird Kriminellen Schutz versprochen.

Ein klassischer Fall der Zusammenarbeit zwischen Kriminellen und dem russischen Staat sieht etwa so aus: Vor drei Jahren wurden in den USA mehrere hundert Millionen Konten des Internetdienstes Yahoo gehackt. Die amerikanischen Behörden sind sicher, dass der FSB den Angriff in Auftrag gegeben hat; ausgeführt wurde er angeblich von den Hackern Alexei Belan und Karim Baratow. Der Geheimdienst bekam Zugang zu den Konten, die ihn interessierten; die Hacker wiederum nutzten die erbeuteten Daten, um sie weiterzuverkaufen und Kreditkartenbetrug zu betreiben. Belan soll vom FSB ausserdem Informationen darüber bekommen haben, mit welchen Methoden russische Cyber-Ermittler arbeiten, um sich selbst künftig besser zu schützen.

Ein russischer Fachmann, der ganz offen über die Zusammenarbeit des Staates mit Kriminellen spricht, ist Ruslan Stojanow. Der ehemalige Mitarbeiter der IT-Firma Kaspersky Lab wurde in einem dubiosen Fall wegen Landesverrats angeklagt und sitzt seit Dezember 2016 in Untersuchungshaft in Moskau. In offenen Briefen aus dem Gefängnis schreibt er, dass wegen dieser Taktik eine ganze Klasse «patriotischer Diebe» entstehe, die straffrei im Internet Geld stehlen dürften, wenn sie gleichzeitig für den FSB spionierten.

Dem russischen Staat erlaubt diese Taktik, sich von den Aktionen zu distanzieren. «Wir wissen nicht, wer Werbung bei Facebook schaltet, wir haben das nie gemacht», sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zu den Vorwürfen der Einflussnahme hinsichtlich der amerikanischen Präsidentenwahl. Über den Angriff auf die Demokratische Partei in den USA sagte Putin, Hacker seien wie «Künstler»: Sie würden morgens aufstehen, die Nachrichten über die russisch-amerikanischen Beziehungen lesen – und wenn sie Patrioten seien, dann würden sie gegen jene kämpfen, die schlecht über Russland redeten. Doch diese Art von «Outsourcing» birgt auch Gefahren: Wie weit würden diese opportunistischen Privatakteure gehen, um dem Kreml zu gefallen?

Julia Smirnova ist freie Journalistin und hat lange in Moskau gelebt und gearbeitet.