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Bielefeld

Experte erklärt, warum Europa so viele Kritiker hat und Populisten erfolgreich sind

Nationale Populisten stoßen mit ihren Parolen in vielen Mitgliedsstaaten auf offene Ohren. EU-Sympathisanten hatten es bislang schwerer, Begeisterung zu entfachen. Woran das liegt und welche Mitschuld die Bundesregierung trägt, erklärt Josef Janning

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"Europa ist nicht mehr sexy genug", sagt Josef Janning. | © picture alliance / empics

"Europa ist nicht mehr sexy genug", sagt Josef Janning. | © picture alliance / empics

15.03.2017 | 15.03.2017, 08:00

Bielefeld. Großbritannien schafft mit dem Brexit Tatsachen, in Polen und Ungarn haben Europa-Skeptiker die Macht – und am Mittwoch wählen die Niederländer. Warum hat die EU so viele Kritiker? Was sie insgeheim auszeichnet, ist zugleich ihr Problem: Frieden, Fairness und Zusammenleben werden als selbstverständlich wahrgenommen. Begeistern kann die EU ihre Bewohner damit nicht – Emotionen bleiben aus. Das sagt Josef Janning im Gespräch mit der NW.

Der Leiter des European Council on Foreign Relation in Berlin glaubt: „Im Normalfall funktioniert dieses Europa bei aller Kritik so hervorragend, dass wir es gar nicht bemerken." Und deshalb werde es nicht mehr als sexy genug wahrgenommen. Zugleich sei das Sprengpotenzial nationalpopulistischer Strömungen noch nie so groß gewesen. Diese Krisen bedrohten die Europäische Union aber nicht derart, als dass sich die Bewohner in ihrer friedlichen Existenz gefährdet fühlen.

Sorgenvoll: Der 60-jährige 
Europa-Experte Josef Janning. - © Josef Janning
Sorgenvoll: Der 60-jährige 
Europa-Experte Josef Janning. | © Josef Janning

Am Ehesten sei diese Gefahr noch während der Flüchtlingskrise spürbar gewesen – mit einer bitteren Erkenntnis: „Es wurde deutlich, dass die instinktive Haltung vieler Europäer nicht die ist, zusammenzurücken", sagt Janning.

Der ehemalige Leiter des Bereichs Internationale Verständigung der Bertelsmann Stiftung bemängelt: „Diese Krisen sollten uns eigentlich lehren, dass wir solche Situationen besser gemeinsam stemmen." Doch daran haperte es. Eine Mitschuld sieht Janning bei der Bundesregierung. Sie habe die Bedeutung der europäischen Solidarität angesichts der großen Flüchtlingszahlen hinten angestellt.

Stattdessen stand eine verbindliche Umsiedlungsquote der Flüchtlinge im Mittelpunkt – „kontraproduktiv". Wichtiger wäre es gewesen, in dieser Phase zunächst ein europäisches Gefühl der Zusammengehörigkeit zu entwickeln und möglichen desintegrativen Impulsen entgegenzuwirken. „Ich hätte die europäische Solidarität priorisiert und nicht die Verteilung der Flüchtlinge", sagt Janning.

Einige Mitgliedstaaten sitzen heute ihre Anforderungen aus – mit der Konsequenz, dass Deutschland nach anderen Lösungen suchen musste. Grund für dieses Verhalten: „Eine deutsche Vormachtstellung wird immer deutlicher wahrgenommen". Und die erzeuge Widerstände, weil eine Reihe anderer Staaten aus Prinzip dagegen sei, dass die Deutschen alles entscheiden. Außerdem hole die Bundesrepublik nun indirekt ein, dass sie sich seit der Jahrtausendwende nicht mehr so intensiv um eine Verbindung zu kleinen Mitgliedstaaten bemüht habe.

Und wo steht die EU in drei Jahren? Janning prognostiziert zwei Szenarien: Entweder wird der Zerfall stagnieren; die EU also nicht drastisch auseinanderbrechen. Oder aber es wird sich ein neues Handlungszentrum mit Deutschland in der Mitte bilden – mit eigenen Vereinbarungen in Bereichen wie Grenzschutz, Wirtschaft und Finanzen. Andere Staaten hätten dann die Möglichkeit, sich anzuschließen – wenn sie wollen. „Das wäre eine Alternative zum Zerfall."


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