Nach Nawalny-Verhaftung: US-Sanktionen gegen Nord Stream 2

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, muss sich aktuell oft erklären. [CLEMENS BILAN/EPA]

Die Verhaftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny in Moskau entfachte erneut die Debatte um Nord Stream 2. Sie wird derzeit in der deutschen Ostsee fertig gestellt, und soll Gas von Russland nach Europa liefern. Nun verhängen die USA erstmals Sanktionen – als Gegenmittel wurde eine Stiftung gegründet, die eigentlich dem Klimaschutz dienen sollte.

Oppositionsparteien fordern von der Regierung, die Unterstützung für den Bau zurückzuziehen, doch die Koalition aus CDU/CSU und SPD hält an ihrer Entscheidung fest.

Auch den USA ist die Pipeline ein Dorn im Auge. Dahinter stecken auch wirtschaftliche Interessen: Die USA wollen ihr Öl an Europa verkaufen, doch bislang werden sie von Russland unterboten. Nun fühlen sich die USA in ihrem Vorhaben gestärkt: Die Verhaftung sei „ein weiteres klares Zeichen dafür, dass sich das Verhalten Russlands nicht ändert, und wir hoffen weiterhin, dass Deutschland seine Position zu der Pipeline neu bewerten wird“, so ein Pressesprecher der US-Botschaft in Berlin.

Am Montag ließ die US-Regierung ihren Drohungen Taten folgen und kündigte erste Sanktionen gegen die Pipeline an – bislang beschränkt auf ein russisches Bauschiff. Die scheidende Trump-Administration sah wohl eine perfekte Gelegenheit und schlug zu, so Jonathan Hackenbroich vom European Council on Foreign Relations.

Die Sanktionen schaffen nämlich ein Problem für Joe Biden, so der Experte. Sie werden ungern gesehen in einem Europa, das souverän sein will. Doch für Biden ist es innenpolitisch riskant, sie zurückzunehmen – denn das könnte innenpolitisch als Schwäche gegenüber Russland verstanden werden. Und in Richtung Europa könnte es als Zustimmung zur Pipeline gewertet werden. „Was einmal besteht, hat auch erst mal Bestand“, so Hackenbroich. Darum nutzte Trumps Regierung ihren letzten Tag im Amt für diese Aktion.

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„Die US-Sanktionen belasten den Neustart der transatlantischen Beziehungen“, sagte Oliver Hermes, Vorstandsvorsitzender der Wilo-Gruppe und Vorsitzender des Bundesverbandes der Ostwirtschaft.

Im Bezug auf die politischen Forderungen, das Projekt zu stoppen, betont er: „Investitionssicherheit ist eine wesentliche Errungenschaft des europäischen Binnenmarkts, diese sollte nicht in Frage gestellt werden.“ Er verweist dabei auf die verschiedenen europäischen Unternehmen, die Geld in Nord Stream 2 gesteckt haben.

Am Dienstag diskutiert das EU-Parlament über neue Sanktionen gegen Russland, die Abgeordneten fordern ein härteres Vorgehen der EU, die entsprechende Entschließung liegt am Donnerstag vor. Quellen aus deutschen Wirtschaftskreisen sagten gegenüber EURACTIV Deutschland, dass es bis jetzt keine konkrete Sorge vor negativen wirtschaftlichen Auswirkungen durch neue Sanktionen gibt. Allerdings habe sich das Geschäftsklima zwischen Deutschland und Russland generell verschlechtert.

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Falscher Zeitpnkt für Nord Stream-Stopp

„Wir sollten den Fall Nawalny nicht mit der Pipeline verknüpfen“, sagt der deutsche Europaabgeordnete Dietmar Köster (S&D) zu EURACTIV Deutschland. Er bezweifelt, dass ein Stopp von Nord Stream 2 in irgendeiner Weise zu Nawalnys Freilassung beitragen würde, und auch nicht zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Russland. „Diese Unternehmen haben Verträge abgeschlossen, der Staat sollte sie nicht einfach auflösen“, sagt Köster.

„Michael Gahler, der außenpolitische Sprecher der EVP, sagte gegenüber EURACTIV Deutschland, dass North Stream 2 auf lange Sicht gestoppt werden sollte, aber es werde eine Frage des Timings sein. Die Verhaftung Navalnys sei politisch nicht ausreichend als Auslöser für den Rat, erwartet er. Aber die nächste Gelegenheit, die Nutzung der Pipeline zu stoppen, sollte ergriffen werden, denn „die politische Natur des Projekts ist offensichtlich: Es ist ein Werkzeug, um die Ukraine zu schwächen“, sagt Gahler. „Ohne die geforderte Entflechtung nach der EU-Gasrichtlinie könnte die Pipeline ohnehin nicht betrieben werden, selbst wenn sie fertiggestellt wäre“.

Tatsächlich glaube Außenpolitik-Experte Hackenbroich, dass die US-Sanktionen paradoxerweise dazu führen, dass Europa eher an Nord Stream 2 festhalten wird. Denn die EU müsse aufpassen, dass sie nicht das Signal sendet, „dass die USA durch wirtschaftliche Macht europäische Projekte beeinflussen können“, so Hackenbroich.

USA verurteilen Festnahme von Kreml-Kritiker Nawalny scharf

Nawalnys Festnahme sei der jüngste Versuch Russlands, „Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die kritisch gegenüber den russischen Behörden sind, zum Schweigen zu bringen“, so US-Außenminister Mike Pompeo.

Aufregung um Stiftung

Den deutschen SozialdemokratInnen bereitet die Pipeline aktuell besondere Kopfschmerzen. Das Bundesland, in dem das Gas erstmals EU-Boden erreichen wird, ist Mecklenburg-Vorpommern, regiert von Manuela Schwesig (SPD).

Vergangene Woche hat ihre Landesregierung die Stiftung „Klima- und Umweltschutz MV“ gegründet. Sie wurde mit 200.000 Euro aufgestockt, hinzu kommen 60 Millionen, gespendet von der Nord Stream 2 AG, die vollständig Gazprom gehört.

Neben der Unterstützung von Umweltprojekten wurde die Stiftung auch gegründet, um den angekündigten US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 entgegenzuwirken. Sie soll den „Weiterbau der Pipeline Nord Stream 2 ermöglichen, soweit dies nach den Gesprächen der Bundesregierung mit der neuen amerikanischen Administration weiterhin notwendig sein sollte“, wie es auf der Website von Schwesigs lokaler SPD heißt.

Dies brachte ihr heftige Kritik ein. Die Grünen nehmen Anstoß am Greenwashing, während die Russland-Falken (vor allem in der FDP) die Stiftung als Vehikel für die geopolitischen Interessen des Kremls sehen. Umweltverbände lehnten Sitze im Stiftungs-Gremium ab, die ihnen per Gesetz zustehen würden.

Theresia Crone, eine prominente Klimaaktivistin in Mecklenburg-Vorpommern, hat ihren Posten als Vorsitzende des von Schwesig initiierten „Rates für Umwelt und Nachhaltigkeit“ 2019 aufgegeben. „Ich muss meine Integrität und meine Glaubwürdigkeit bewahren“, sagte Crone auf Anfrage gegenüber EURACTIV. In ihren Augen könnte der Rat dazu dienen, Schwesigs weniger klimafreundliche Politik zu legitimieren, wie etwa ihre Unterstützung für Nord Stream 2. Sie startete eine Petition gegen die Stiftung.

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