Deutschland sucht seine Rolle in der EU-China-Politik

China-Expertin Janka Oertel hofft, dass Deutschland seine besondere Beziehung zu China nutzen wird, um eine gesamteuropäische Agenda voranzuebringen. [MSC / Kuhlmann]

Deutschland steht vor neuen europäischen Aufgaben. Nicht nur, weil im Juli die deutsche Ratspräsidentschaft beginnt, sondern auch, weil der Brexit den Deutschen noch mehr Gewicht in der EU gab. Im Interview erklärt Dr. Janka Oertel, wieso das besonders die Beziehungen der EU zu China verändern könnte – und spricht dabei auch über den möglichen Ausschluss von Huawei beim 5G-Ausbau.

Dr. Janka Oertel ist Direktorin des Asien-Programms beim European Council of Foreign Relations. Davor arbeitete sie als Senior Fellow für das Asien-Programm im Berlin-Büro des German Marshall Fund der USA. Sie erhielt ihren PhD an der Universität von Jena.

Ursula Von der Leyen’s Kommission ist heute genau 100 Tage im Amt. Sie will eine „geopolitische Kommission“ sein – haben Sie dafür schon Beweise gesehen?

Die neue Kommission hat klare Ziele abgesteckt, wieviel davon letztlich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Wenn man die Reaktion auf die Krise an der griechisch-türkischen Grenze betrachtet, gibt es durchaus noch Zweifel, wie genau geopolitische Handlungsfähigkeit aussehen soll. In der Neudefinition des Verhältnisses zu den USA und China haben wir noch keine großen Schritte gesehen – aber dafür sind 100 Tage auch zu kurz. Für diese große Frage, wie man Europa in einer sich verändernden Welt positionieren will, sollte man sich die nötige Zeit nehmen.

Inwiefern befindet sich die EU in einer neuen, unsicheren Welt?

Einerseits haben wir veränderte Verhältnis zu den USA, man ist sich ferner und vertraut sich weniger. Außerdem hat sich Chinas Rolle gewandelt. Peking fordert selbstbewusst eine neue Position ein und verändert die Spielregeln. China drängt nach mehr Unabhängigkeit und entkoppelt sich zum Teil ganz bewusst von Globalisierungsprozessen. Eine Liberalisierung des chinesischen Marktes ist derzeit nicht zu erwarten – ganz im Gegenteil. Dieser Prozess geht schon einige Jahre, aber dass wir unsere Beziehung zu China nicht mehr vor dem Hintergrund einer starken transatlantischen Partnerschaft gestalten, das ist neu. Und es übt Druck auf Europa aus.

Worin zeigt sich das in der Praxis?

Ein Beispiel sind die immer wieder angedrohten US-Sanktionen auf deutsche Autos. Für die Automobilnation Deutschland sind sowohl die USA als auch China wichtige Absatzmärkte. Die US-Drohungen haben die Märkte und auch die Politik verunsichert.  Damit steigt die Bedeutung des chinesischen Marktes zusätzlich an. Wählen zu müssen zwischen den USA und China bleibt eine katastrophale Vorstellung. Allen voran für Deutschland. Konzerne müssen diese Situation der Unsicherheit tagtäglich bewältigen und unternehmerische Entscheidungen treffen. Doch die Politik versucht, Entscheidungen zu vermeiden.

Steinmeier wirft China, Russland und USA gefährlichen Egoismus vor

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den USA, China und Russland vorgeworfen, durch egoistisches Vorgehen die internationale Ordnung zu gefährden.

Eine politische Entscheidungen gab es aber doch, auf EU-Ebene und von deutschen Parteien: Den chinesischen Telekom-Anbieter Huawei nicht prima facie vom 5G-Ausbau auszuschließen. Im Oktober schrieben Sie deshalb den Artikel „Germany chose China over the West“…

..nein, das war nur der Titel, den das Foreign Policy Magazin meinem Artikel gab. Das steht aber so nicht im Text. Nur, dass diese Gefahr besteht. Wichtig ist, festzuhalten: In ganz Europa haben wir noch keine finale Entscheidung zu Huawei und ZTE. Bislang haben sich einzelne Anbieter festgelegt und einzelne Regierungen Möglichkeiten zu einem Ausschluss geschaffen. In Deutschland haben sich die Parteien im Bundestag – großteils sehr kritisch – positioniert. Europa blickt nach Berlin und wartet, dass endlich eine konkrete Lösung vorgelegt wird. Derzeit müssen wir uns in Geduld üben, bis aus den Ministerien ein Vorschlag kommt. Eine Übergangsphase wäre sinnvoll und vor allem ein koordinierter europäischer Ansatz.

Als die CDU/CSU-Fraktion ihr Positionspapier veröffentlichte, interpretierten das die meisten Nachrichtenportale – unsere eingeschlossen – als Entscheidung für Huawei. Aber bei näherer Lektüre, wie unser Folgeartikel sagte, merkte man: eigentlich nicht, oder?

Genau, eigentlich nicht. Das Positionspapier nannte zwar die chinesischen Konzerne nicht namentlich, ließ aber die Tür offen für den Ausschluss von sogenannten Hochrisiko-Anbietern. Bei 3G und 4G nutzen wir Huawei und ZTE Technologie in Europa – neu ist aber, dass Sicherheit jetzt anders bewertet wird. Dahinter kann man auch nicht mehr zurückfallen. Die Diskussion allein hat schon Veränderungen gebracht. Natürlich galten schon vorher Sicherheitskriterien, doch erst jetzt debattieren wir in Europa ernsthaft über Vertrauen in Hersteller und Sicherheit entlang der Lieferkette. Die Regierungsform und die Rechtslage im Herkunftsland von Ausstattern ist zu einem wichtigen Faktor geworden. Das ist eine positive Entwicklung.

Und wieso ist das heute plötzlich ein Faktor?

Klar ist, wir führen diese Debatte auch weil die USA uns dazu gezwungen haben. Ohne den massiven Druck aus Washington hätten wir die Diskussion sicher nicht in dieser Form gehabt. Wobei die USA auch gemerkt haben, dass der Druck nur bedingt erfolgreich war.

In den USA findet eine kritischere Haltung gegenüber China sowohl bei den Demokraten als auch bei den Republikanern breite Unterstützung. Das wird sich auch nach der Präsidentschaftswahl nicht ändern. Die  Bedrohungswahrnehmung ist eine andere geworden. Die Hoffnung, dass China sich öffnet und an Regeln hält, hat sich so nicht erfüllt. Deswegen nimmt man auch in Europa eine Neubewertung der Beziehung vor.

Ein wichtiges chinesisches Projekt in Europa war die „17+1“-Gruppe aus südost-europäischen Staaten plus China. Bei der Entstehung vor zwei Jahren sorgte es für Aufregung – wie ist der Stand?

Die chinesische Führung mag dieses Format, denn es sieht aus wie Multilateralismus, ist aber eigentlich nur „multipler Bilateralismus“. So bekommen auch kleinere Staaten die gewünschte Aufmerksamkeit. Doch das Format ist nicht gerade effektiv, die Gruppe verbindet wenig. In einzelnen Fällen mag sich eine Beteiligung lohnen, doch für viele europäische Mitgliedstaaten ist die Bedeutung deutlich gesunken. Polen und Tschechien sind hier interessante Beispiele.

Das Coronavirus als Bedrohung für das geplante EU-China-Abkommen

Der Abschluss eines Investitionsabkommens zwischen der EU und China in diesem Jahr wird eine „echte Herausforderung“. Dabei dürfte der Ausbruch des Coronavirus die Situation weiter erschweren, da er beide Seiten zwingt, Verhandlungsrunden abzusagen.

Kommen wir zu Deutschland. Außenminister Heiko Maas sagte auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar, Deutschland werde global eine stärkere Rolle einnehmen. Was erwarten Sie?

Von mehr Verantwortung sprechen wir in Deutschland seit 2014, aber es hat sich nicht so viel verändert. Der Brexit gab Deutschland mehr Gewicht in der EU. Daher sucht Berlin noch nach der eigenen neuen Rolle in Europa. Mit Blick auf China ist dies nicht einfach. Als Chinas wichtigster bilateraler Handelspartner innerhalb der EU kommt Berlin eine besondere Rolle zu. Wichtig wird nun sein, dieses Potential nicht für eine deutsche, sondern für eine gesamteuropäische Agenda zu nutzen. Besonders während der deutschen Ratspräsidentschaft ab Juli.

Wie könnte Deutschland während der Ratspräsidentschaft die EU-China-Beziehungen gestalten?

Jenseits der angekündigten hochrangigen Treffen und Gipfel könnte Deutschland die Ratspräsidentschaft nutzen, um einen Rahmen für künftige EU-China-Beziehungen zu schaffen. Die Strategiedokumente des letzten Jahres  haben China als  „strategischen Partner, wirtschaftlichen Wettbewerber, und systemischen Rivalen“ definiert. Diese Zustandsbeschreibung muss nun mit Inhalten und einer konkreten Agenda gefüllt werden. Was sind unsere Interessen? Welche Kommunikationskanäle funktionieren am besten? Welche Rolle spielen dabei Menschenrechte?

Der EU-China-Gipfel im September findet im Land des Ratspräsidenten Deutschland statt. Welche Signalwirkung erwarten Sie sich davon?

Im September ist ein „Leaders Meeting“ der europäischen Staats- und Regierungschefs mit Chinas Staatspräsident in Leipzig geplant. Das ist eine interessante Ortswahl: Eine Stadt im Herzen Europas, zwischen Ost und West, die wegen der Montagsdemonstrationen zu DDR-Zeiten für friedlichen Widerstand gegen autoritäre Herrschaft steht. Berlin und Brüssel sind gut beraten, von hier ein starkes Signal für ein möglichst einiges Europa ausgehen zu lassen. Ein Europa, dass eben nicht nur für gute wirtschaftliche Beziehungen zu China steht, sondern sich stark macht für Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und multilaterale Lösungen für globale Probleme.

Aber gibt es nicht die Verlockung, es als deutschen Gipfel darzustellen, um die eigene Bedeutung zu untermauern?

Verlockungen gibt es immer, das heißt nicht, dass man ihnen nachgeben muss.

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