Juncker-Wahl: „EU-Parlament hat sein Gesicht gewahrt“

Jean-Claude Juncker vor seiner Wahl zum Kommissionspräsidenten im EU-Parlament. Foto: EP

Mit der Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten endet ein monatelanger Streit zwischen den europäischen Staats- und Regierungschefs und dem Europaparlament. Zum Schluss sei es schon lange nicht mehr um politische Inhalte gegangen, meinen Kritiker.

Parteiübergreifende Begeisterung nach der Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten am heutigen Dienstag in Straßburg:  „Ein gutes Zeichen für die Handlungsfähigkeit Europas“, erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Er erhält unsere volle Unterstützung“, sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier

Und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht von einem „historischen Tag für die europäische Demokratie“. Erstmals hätten die europäischen Bürger direkten Einfluss auf die Benennung des EU-Spitzenamtes gehabt – und sie hätten sich erfolgreich durchgesetzt. 

Die Euphorie der politischen Spitzenpolitiker ist nach Ansicht von Kritikern unbegründet: „Der Prozess der zur Nominierung Junckers geführt hat, war heikel. Das war genau so ein Kuhhandel wie einst mit Junckers Vorgänger Barroso“, kritisiert Felix Mengel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin gegenüber EURACTIV.de. 

Der Luxemburger Juncker erhielt 422 von insgesamt 751 Stimmen. Nötig waren 376 Stimmen.

Juncker sei im Vorfeld von mehreren Staats- und Regierungschefs angefeindet worden, erinnert sich Mengel. Die nötigen Stimmen der Sozialdemokraten habe der frühere Luxemburger Premier nur bekommen, weil seine Partei, die Europäische Volkspartei (EVP), zuvor Martin Schulz zum Parlamentspräsident wählte, so Mengel. 

„Das Europaparlament konnte sich eine Ablehnung Junckers nicht leisten. Man wollte sein Gesicht wahren und Geschlossenheit zeigen“, glaubt Mengel.

Auf dem Spiel stand ein Experiment: Die europäischen Parteifamilien stellten zur Europawahl Spitzenkandidaten auf und versprachen, dass einer von ihnen Kommissionspräsident wird. Dabei sieht Artikel 17(7) im Lissabon-Vertrag einen solchen Automatismus nicht vor. 

„Die europäischen Spitzenkandidaten spielten nur in Deutschland eine einschlägige Rolle. In anderen Ländern, wie Großbritannien, war davon kaum die Rede“, erklärt Mengel. 

Das Projekt „Spitzenkandidat“ gerettet

Auch Linken-Politiker Andrej Hunko, Mitglied im Ausschuss für EU-Angelegenheiten im Deutschen Bundestag, kritisiert die Wahl: „Die Tatsache, dass die Sozialdemokraten für Juncker gestimmt haben, zeigt, dass die Abstimmung nichts mit politischen Inhalten mehr zu tun hatte. Das EU-Parlament wollte einfach nur das Experiment ‚Spitzenkandidat‘ retten“, so Hunko zu EURACTIV.de.

„Die Spitzenkandidaten-Idee funktioniert derzeit einfach nicht“, sagt EU-Experte Mengel. „Dafür sind die strukturellen Probleme in der EU zu groß. Etwa das Europaparlament, das ist noch immer kein richtiges Parlament.“ Man müsse immer noch die Frage diskutieren, was für ein Europa wir wollen.

Grünen-Politiker: „Juncker ist gute Wahl“

Deutlicher Zuversichtlicher ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin: „Auch wenn Teile der Grünen-Fraktion im Europaparlament anderer Meinung sind, für mich ist Juncker eine gute Wahl. Europa ist damit ein Stück weit demokratischer geworden“, so Sarrazin gegenüber EURACTIV.de.

Der neu gewählte Kommissionspräsident habe viel Erfahrungen in der Europäischen Politik. Und er werde die die supranationalen EU-Institutionen stärken und die Gemeinschaftsmethode hervorheben, glaubt Sarrazin.

In der Tat vertrete Juncker nicht alle grünen Positionen. „Doch wir dürfen jetzt nicht zu kleingeistig sein. Für inhaltliche Diskussion haben wir die nächsten fünf Jahre genug Gelegenheit“, so der Grünen-Politiker. 

„Mit Juncker stellt die EVP einen ihrer erfahrensten Europapolitiker an die Spitze der EU-Kommission“, erklärt der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Friedrich. „Wir erwarten, dass Junckers Arbeit die klare Handschrift der EVP tragen wird. Dabei werden wir Juncker nach Kräften unterstützen“, so der CSU-Politiker. 

In seiner Bewerbungsrede ging Juncker auf einschlägige Forderungen der politischen Gegner ein. So will der 59-Jährige ein 300 Milliarden Euro schweres Investitionspaket schnüren, ein Transparenzregister für alle EU-Institutionen einführen und legale Zuwanderungswege für Migranten ermöglichen.

„Weder Aufbruch noch frischer Wind“

„Juncker gibt den mitfühlenden Konservativen, aber inhaltlich unterscheidet er sich kaum von den Hardlinern in seiner Partei“, kritisiert Hunko. Juncker rede von legalen Zuwanderungswegen, will aber gleichzeitig die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX ausbauen. Das Wachstumspaket sei keine klassische Investitionspolitik, sondern zielt lediglich darauf ab, private Investitionen zu stimulieren, sagt Hunko.

Für ECFR-Experte Mengel ist klar „Juncker steht weder für Aufbruch noch für frischen Wind. Er steht am Ende seiner Karriere.“ Die Frage sei nun, ob Juncker die hohen Erwartungen erfüllen kann.

Juncker kündigte an, als Kommissionspräsident unabhängig und „politisch“ zu handeln. Er werde kein „Diener des Europäischen Parlaments“ und auch nicht „Sekretär der Regierungschefs“ sein. Laut Mengel sind die institutionellen Rahmenbedingungen jedoch unverändert. „Juncker kann theoretisch nicht mehr machen, als sein Vorgänger Barroso.“

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