ZEIT ONLINE: Herr Levy, seitdem Hassan Ruhani Präsident Irans ist, stehen die Chancen auf eine Lösung des Atomstreits besser denn je. Doch einer hat daran anscheinend überhaupt kein Interesse: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Warum?

Daniel Levy: Für Netanjahu scheint es schlichtweg keine realistische Lösung mit dem Iran zu geben. Zumindest keine, die er als vorteilhaft für Israel ansieht. Das iranische Atomprogramm ist dabei jedoch nur ein Aspekt. Im Hintergrund geht es dabei um viel mehr.

ZEIT ONLINE: Um was genau?

Levy: Für Netanjahu steht vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Wie lässt sich die Vormachtstellung Israels in der Region aufrechterhalten? Israel hat sich daran gewöhnt, der regionale Hegemon zu sein. Das Land kann so frei handeln wie kaum ein anderer Staat in der Welt. Und damit meine ich auch militärische Handlungen.

ZEIT ONLINE: Was begründet Israels Stellung?

Levy: Im ganzen Nahen und Mittleren Osten gibt es derzeit zwei Arten von Regimen: Die einen sind derart abhängig von den USA, dass sie nicht einmal diplomatischen Druck auf Israel ausüben können. Die anderen sind international weitgehend isoliert. Auch sie können Israel keinerlei Schaden zufügen. Es ist geopolitisch absolut verständlich, dass Israel nicht gewillt ist, diese Position ohne Weiteres aufzugeben.

ZEIT ONLINE: Und ein in die internationale Gemeinschaft eingebundener Iran würde das ändern?

Levy: Iran wäre eine dritte Art von Regime: unabhängig von Washington und mittelfristig vielleicht sogar ein wirtschaftliches, politisches und militärisches Schwergewicht. Für die israelische Führung ist solch eine Entwicklung absolut nicht wünschenswert.

ZEIT ONLINE: Netanjahu lehnt also aus ideologischen Gründen Gespräche über das iranische Atomprogramm ab?

Levy: Netanjahu ist ein zutiefst ideologischer Mensch. Er hat einen unerschütterlichen Glauben an ein Großisrael. Wenn man von dieser Lesart ausgeht, verheißen die ersten Reaktionen Israels auf die aufkeimenden diplomatischen Bemühungen zwischen den USA und dem Iran nichts Gutes. Netanjahu wird wohl alles versuchen, um einen Durchbruch zu verhindern. 

ZEIT ONLINE: Wie sieht es im Iran aus?

Levy: Die Vorherrschaft der Kräfte, die gegen den pragmatischen Kurs Ruhanis sind, scheint gebrochen. Der Hardliner sitzt in Jerusalem.

ZEIT ONLINE:  Gibt es in Israel eine breite Mehrheit für Netanjahus Haltung?

Levy: Bei dieser Frage gibt es zwei Ebenen: die öffentliche Meinung und die Debatte innerhalb der politischen Elite und Sicherheitskreise.  In der Öffentlichkeit ist Netanjahus Haltung durchaus Konsens. Und das ist auch vollkommen zu verstehen. Es geht bei der Iran-Frage um die nationale Sicherheit.